Eine Seite für Hildburghausen

Küche, Kinder, Kontor und Klassiker

Minna Meyer

von Gerhard Steiner


Hermine „Minna“ Meyer, geborene Grobe (1804 – 1874) als junge Frau.

Das Gemälde befindet sich im Stadtmuseum Hildburghausen.

Meiner Frau

 

Wenn ich, von Sorgen erdrückt,

            am umnachteten Himmel der Zukunft

Suche umsonst nach dem Glanz freundlicher

            Sterne umher.

Wenn bei den Schlägen des Zufalls im Herzen,

            dem starken, der Mut bricht.

Täuschung die Hoffnung betrog, Bosheit

            Vertrauen entgalt: –

Gute, dann find’ ich zu Dir, Du Quelle

            Des Trosts und des Lichts mir,

Niemals noch kam ich umsonst; preise dafür

            Dich mein Lied.

 

Man hat festgestellt, dass die großen Dichter wenig Verse über ihre Ehe und wenig an die Ehefrau gerichtete Liebesgedichte geschrieben haben. Diese Hexameter stammen nicht von einem berühmten Poeten, aber von mindestens einem in der ganzen Welt mit mindestens einem seiner Werke bekannten Mann – Carl Joseph Meyer. Seine mit Recht gepriesene tüchtige Frau Hermine, genannt Minna, kennt kaum einer. Und doch war sie nicht nur eine liebevolle eheliche Lebenshilfe, sie hatte auch einen entscheidenden Anteil an allem, was ihr Mann schuf.

Der Weg zu dieser bedeutsamen Ehe begann in einem kleinen Dorf an der heutigen südwestlichen Grenze Thüringens, in dem zum damaligen Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach gehörenden Weilar bei Bad Salzungen. Dort lebte zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Pfarrer und Schulinspektor Johann Salomo Grobe. Seinen vier Kindern, unter ihnen die 1804 geborene Minna, wollte er die bestmögliche Erziehung und Ausbildung geben. Begeistert von der fortschrittlichen Bewegung des Philanthropismus gründete er ein Philanthropinum im Kleinen und nahm auch auswärtige Schüler auf. Sein pädagogisches Geschick sprach sich herum, und so wurde ihm 1807 ein elfjähriger Brausekopf von dessen verständnisvollen Eltern, einem Gothaer Schuhmachermeister und seiner Frau, zugeführt. Der Junge, Carl Joseph Meyer, hatte sich mit aller Entschiedenheit geweigert, weiterhin das Gothaer Gymnasium zu besuchen. Und man konnte ihm deswegen nicht gram sein. Er hatte einen jüngeren Bruder etwas heftig gegen die Angriffe eines Mitschülers verteidigt, so dass diesem der Arm brach, und war dafür zu einer harten Züchtigung verurteilt worden. Die hatte er nicht auf sich genommen, und der Schulmonarch hatte dem vermeintlichen Tunichtgut zum Abschied zugerufen: „Aus dir wird im Leben nichts, Junge!“ In der Familie Grobe fand der junge Meyer ein Paradies liebevoller Betreuung und sinnvollen Lebens. Er empfand den humanistischen Pädagogen wie einen Vater.

Deshalb suchte der vierundzwanzigjährige Meyer, Kaufmann in England, im Frühjahr 1820 erneut Zuflucht in Weilar. Er hatte in Kaffee spekuliert und sein gesamtes Vermögen verloren. Dem Londoner Schuldgefängnis konnte er sich nur durch die Flucht entziehen. Die einstige kindliche Spielgefährtin Minna stand ihm nun als sechzehnjähriges gebildetes und tatkräftiges Mädchen gegenüber.

In Weilar fand der Heruntergekommene Verständnis bei seinem Gönner, Unterkunft und Arbeit als Lehrer für Fremdsprachen an Grobes Philanthropinum. Aus der zunehmenden Beachtung, die Minna Grobe ihm schenkte und er ihr, wurde Liebe. Minna erkannte seinen liebenswerten Charakter und sein im Grunde gute Ziele ansteuerndes Streben. Sie war bereit, ihn bei jeder Tätigkeit mit allen Kräften zu unterstützen und von weiteren verhängnisvollen Wegen abzuhalten. Am 26. September 1820 verlobte sie sich mit ihm, bevor sie mit ihrem Vater in dessen neuen Pfarrort Maßbach in Unterfranken übersiedelte. Von dort verfolgte Minna mit starkem Mitgefühl, wie der Verlobte in Weilar durch nützliches Tun die moralische und ökonomische Grundlage für die Ehe schaffen wollte.

Minna Grobe erfuhr zu ihrer Freude, dass Meyer der ganz daniederliegenden Barchentproduktion der Weilarer Gegend, wo zahlreiche Weber ohne Nahrung waren, aufhelfen wollte. Den Gutsbesitzer des Ortes, Freiherrn  von Boyneburg, veranlasste er, eine gemeinnützige „Gewerbe- und Hülfs-Anstalt“ zu gründen. Minna fand Meyers Plan genial, als Leiter dieses Unternehmens die Ausfuhr der Barchentproduktion nach England mit der Einfuhr von Lebensmitteln zu verbinden, eine Kooperation der Hersteller mit gemeinsamer Bleiche und Färberei zu organisieren und durch die Entwicklung der manufakturellen zu industriellen Methoden die Fabrikation ökonomischer zu gestalten und das Gespinst erheblich zu verbessern. Auch von der Anlage einer Sparbank, einer Prämienkasse und eines Schulfonds berichtete ihr der Verlobte. Das alles bedeutete 1821 für Thüringen eine bedeutsame vorwärtsweisende Initiative. Es erfreute Minna, dass Meyer nicht nur den Weberfamilien entscheidend helfen, sondern auch einen Hausrat für 2.000 Gulden anschaffen konnte.

Wie bitter war der Sturz aus der Höhe! Ohne Meyers Schuld kam es zu Unglücksfällen und Fehlschlägen, und zwei Jahre später war das Meyersche Unternehmen zwar schuldenfrei, musste aber liquidiert werden. Allerdings hatte der Leiter zur Aufstockung  des Kapitals der Anstalt wieder – letzten Endes erfolglose – Spekulationsgeschäfte gewagt.

Carl Joseph Meyer war erneut gescheitert. Boyneburg ließ die Einrichtung der Weilarer Wohnung pfänden. Aber er honorierte doch die Leistung seines einstigen Mitarbeiters, indem er Minna den angeschafften Hausrat schenkte und ihr außerdem eine Geldsumme überließ. Dieses kleine Vermögen sollte eine riesengroße Bedeutung nicht nur für die Verlobten, sondern für Hunderte von Beschäftigten und für die ökonomische und kulturelle Entwicklung Deutschlands gewinnen.

Joseph Meyer war ohne jede Habe und ohne eine auskömmliche Stellung, als ihn Minna am 23. Mai 1823 in Maßbach heiratete.

Als Trauzeugen nennt das Kirchenbuch die gesamte Dorfgemeinde. Die Braut war beliebt. Vierzehn Monate später, am 18. August 1826, Sohn Hermann war gerade drei Monate alt, gab die zweiundzwanzigjährige Minna Meyer von Gotha aus der Geschäftswelt folgendes bekannt: „Ich habe die Ehre, Ihnen anzuzeigen, dass ich unter heutigem Tage, für meine alleinige Rechnung, und mit den nöthigen Fonds ausgestattet, ein literärischen Zwecken gewidmetes Institut unter der Firma „BIBLIOGRAPHISCHES INSTITUT“ dahier errichtet habe. Die alleinige Geschäftsführung desselben ist HERRN JOSEPH MEYER, meinem Gatten, übertragen, dessen Unterschrift Sie sich bemerken und keiner anderen Glauben beimessen wollen. Ergebenst MINNA MEYER Eigenthümerin des Bibliographischen Instituts/Unterschrift des Disponenten, Herrn Joseph Meyer.“ Mit dem kleinen Vermögen der Frau wagte das Ehepaar einen großen Schritt in die turbulente Geschäftswelt. Die industrielle Revolution hatte in Deutschland gerade begonnen. Das Unternehmen blühte auf und hatte Bestand. Minna Meyer war die erste deutsche Frau, die einen großen, weltweiten Verlag besaß.

Wenn auch der Name Joseph Meyer allein in die Welt ging, vor allem getragen von „Meyer’s Conversations-Lexikon“, so war doch Minna Meyer keineswegs tatenlose oder bloß nominelle Besitzerin. Von Anfang an entfaltete sich eine fruchtbare gleichberechtigte Zusammenarbeit des Ehepaares. Die von ihrem Vater vielseitig ausgebildete und nicht allein zur Hausfrau und Mutter erzogene Minna führte die Bücher. Das verschaffte ihr ökonomischen Einfluss, war aber nicht leicht angesichts der Großzügigkeit ihres Mannes in Finanzdingen. Minna besaß wie ihr Mann die Neigung und die Fähigkeit  zu autodidaktischer Ausbildung. Ein Freund des Hauses berichtet: „Nie sah ich ein glücklicheres Ehepaar … Die junge hübsche Frau arbeitete mit ihrem Manne als Buchhalter; es war ein ungemein wohltuender Anblick, sie emsig schreibend ihm gegenüber am Schreibpulte stehen zu sehen.“

Es war weitgehend Minnas Mithilfe zu verdanken, dass der Verlag aus den Anfangsschwierigkeiten heraus und in Schwung kam. Mit einer auflagenstarken und billigen „Groschen-Bibliothek der Deutschen Classiker für alle Stände“ sollte es jedem Arbeiter möglich sein, wertvolle Lektüre zu erwerben. Meyers wollten dem  Anwachsen der Trivialliteratur entgegenwirken, wollten ein Werkzeug zur intellektuellen Emanzipation schaffen nach dem Grundsatz „Bildung macht frei!“ Das Bewusstsein, der Volksbildung und dem damit eng verbundenen Verlagswesen zu dienen, half Minna Meyer, mancherlei Verdruss und Rückschläge zu verkraften. Neben der Buchhaltung übernahm sie die Aufgaben des Lektorats. Hören wir wieder den Zeitgenossen. „Kann man sich ein wohlgefälligeres Bild denken als das einer jungen anmutigen Frau, die, wenn sie in der Küche und Kinderstube treu und emsig gewaltet, auf dem Kontor des Gatten Berge von Arbeit bezwingt und dann in den Mußestunden aus den Gesamtwerken deutscher Schriftsteller die treffende Auswahl für das deutsche Volk trifft?“. Wer heute die seltenen zierlichen Groschenbändchen in die Hand bekommt, findet darin den literarischen Geschmack, die humanistische Einstellung und das volkserzieherische und politische Anliegen dieser Frau widergespiegelt.

Minna Meyer schloss am 1. November 1828 mit dem Bevollmächtigten des Herzogs von Sachsen-Meiningen einen Vertrag über die Ansiedlung in Hildburghausen. Der Verlag bezog dort ein stattliches, heute noch vorhandenes Gebäude und erweiterte sich gewaltig. Vor dem Stadtgericht zu Hildburghausen wurde erneut festgelegt, dass für das Ehepaar nicht die landesübliche Gütergemeinschaft gelten solle, sondern Minna Meyer alleiniges Eigentumsrecht am Familienbesitz zustehe. Es ist allgemein bekannt und schon oft dargestellt worden, welchen Aufschwung das Bibliographische Institut mit seiner bedeutenden Verlagspalette in Hildburghausen bis 1874 nahm, den Minna mit ihrer Arbeit, ihren Ratschlägen und ihren Sorgen begleitete. Sie zog sich aus dem angewachsenen Unternehmen nicht zurück. Ein Buchbinder des Verlages schwärmt von ihr und schreibt, man dürfe neben Meyer „einen Hauptfaktor nicht vergessen, das war seine ihn zärtlich liebende Gattin, eine ebenso schöne als geistreiche Dame, liebevolle Mutter ihrer Kinder, tätige Mitarbeiterin auf dem Kontor …“ Die hochgewachsene Frau wird uns als eine glücklich veranlagte Natur von einfacher Lebenshaltung geschildert, die klug und energisch war, mit hellem Auge alles verfolgte, was in der Welt und Literatur vorging, und ihren Verlag den Freunden, Mitarbeitern und Geschäftspartnern gegenüber würdig vertrat.

Eine starke politische Belastungsprobe hatte Minna 1848/49 zu bestehen. Ihr Mann, ein radikaler Demokrat, stand mitten in der revolutionären Bewegung. 1850 wurde er auf Veranlassung des Königs von Preußen wegen Majestätsbeleidigung zu einer Gefängnisstrafe und einem Buchverbot verurteilt. Er schrieb damals an seinen Sohn: „Deine gute Mutter … hat nicht ein einziges Wort der Schwäche fallen lassen und mit Stolz jeden Versuch von teilnehmenden Freunden zurückgewiesen, sie zu einem Schritt zu vermögen, der aussehe oder interpretiert werden könnte wie Anerkennung der Gewalttat als einen Akt des Rechts und meine Begnadigung zur Folge haben könnte. Mit dem Stolze einer Römerin der Republik wird sie es lieber sehen, dass ich breche als dass ich biege.“ Als Meyer Ende 1851 die Strafe antreten musste, besuchte ihn Minna, obwohl selbst krank, jeden Tag in seinem Kerker. Sie besprach die Geschäftsdinge mit ihm, damit ihnen die schwer zu haltenden Zügel des Verlags nicht aus den Händen glitten.

War die Verlagsarbeit nach der gescheiterten Revolution schon recht problematisch geworden, so hatte Minna besondere Mühe, ihren eigenwilligen Ehe- und Geschäftspartner positiv zu beeinflussen, als er zunehmend großzügigere technisch-industrielle Unternehmen neben dem Verlag betrieb, zahlreiche Bergwerksgruben und Lagerstätten kaufte, die alle nach und nach Einbußen erlitten. Es war ungeheuer schwer für sie, bei der immer größeren Hektik ihres gesundheitlich angeschlagenen Mannes, ihm, wie Freunde sagten, „als Stützen und Ergänzungsmittel zu dienen“ und ihn von manchem gefährlichen Wagnis abzuhalten. Er wollte 1851 den Verlag wegen der Schwierigkeiten, die ihm die Reaktion bereitete, in die Schweiz verlegen, musste 1852 wieder, diesmal für drei Monate, ins Gefängnis. Schließlich fügte sich Minna in ihr Schicksal. Ihrem Sohn Hermann, der in New York ein eigenes Geschäft aufgetan hatte, schrieb sie 1853 über ihren Mann: Wie er es für Recht und Pflicht gegen Dich und die Seinen hält, darein füge ich mich mit stiller Resignation, ob mir auch das Herz dabei blutet.“ Doch verlor sie ihre Hoffnung nicht. Die galt dem Sohn, der zurückkehren und den Vater unterstützen sollte: „Du wirst viel zu ordnen finden, darauf mache Dich nur gefasst, es wird dem alten Geschäft wohl tun, wenn junge Kräfte hereinkommen, die den alten Sauerteig ausfegen.“ 1855 erhielt sie ihren Hermann wieder, 1856 verlor sie ihren Mann. Minna verkündete der Geschäftswelt, dass sie alle Vollmachten des Verstorbenen als alleinigem Disponenten ihrer Firma ihrem Sohn Hermann Julius Meyer übertragen habe.

Aus dem Konkurs der Gruben und Werke ihres Mannes erlöste sie sehr wenig, aber in harmonischer Zusammenarbeit mit ihrem kaufmännisch gewandten Sohn war sie noch weitere 15 Jahre als Eigentümerin für den Verlag verantwortlich und erlebte dessen Aufwärtsentwicklung. Ihr Sohn und ihre Tochter Meta erfreuten sie mit sieben Enkeln. Mit 66 Jahren gab sie 1870 das Bibliographische Institut „erb- und eigentümlich“ in die Hände ihres Sohnes bei stiller Vermögensbeteiligung ihrer Tochter. Sie hatte dem Verlag 44 Jahre ihres Lebens gewidmet. Als ihr Sohn 1874 den Verlag in die Buchstadt Leipzig verlegte, blieb sie in der liebgewordenen Hildburghäuser Umgebung zurück, starb aber bereits am 16. November 1874. Sie wurde neben ihrem Mann auf dem Friedhof zu Hildburghausen begraben.

 

Ein Bändchen der berühmten Meyer’s Groschen-Bibliothek der Deutschen Classiker für alle Stände – Lessings Nathan der Weise, Zweiter Theil. Hildburghausen. Druck vom Bibliographischen Institut. New-York: Hermann J. Meyer. Format: 11,8 cm x 7,2 cm

Der Aufsatz wurde 1986 von Professor em. Dr. phil. habil. Gerhard Steiner verfasst,

Ehrenbürger der Stadt Hildburghausen

(2014 leicht bearbeitet, Hans-Jürgen Salier)

 

Es ist einfacher, Menschen zu täuschen, anstatt sie davon zu überzeugen, dass sie getäuscht worden sind.

Mark Twain, 1835-1910, amerikanischer Schriftsteller
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