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Die Bettelfrau

Joseph Meyer

An jedem Samstag für und für
Klopft ein alt Weib an meiner Tür,
Und für den Kreuzer, für's Stückchen Brot
sagt sie: „Schön Dank, ach wär ich tot,
Ich wär so gern
Bei Gott dem Herrn.“
Die Luft ist trüb, der Wind bläst kalt,
Die Raben fliegen nach dem Wald,
Die Knaben tummeln sich im Schnee,
Dicht fallen die Flocken aus der Höh';
Das Spätzchen schreit vom Dach nach Brot,
Das Täubchen klagt des Winters Not;
Der Arme in Lumpen und ohne Trost
Matt schleicht er hin, er klappert vor Frost.
Ich steh am Fenster und schaue drein:
Was kömmt daher? Was mag das sein?
Ein schlechter Schlitten, zwei Öchsle dran,
Ein Bauer mit Kittel, mit der Peitsche voran,
Und drauf ein Sarg von Brettern roh,
Und drunter eine Hand voll Stroh –
Und drüber her das Bahrentuch
Und hinterdrein ein Leichenzug –
Das Kreuzlein in des Knaben Hand,
die Totenfrau im schwarzen Gewand,
ein Greis, das weiße Haupt gesenkt,
Ein kleines Mägdlein, das ihn lenkt,
Zuletzt ein schluchzend junges Weib,
Ein Trauertuch um Kopf und Leib: –
So geht der Zug die Straße fort
Hinaus ins Feld zum Friedhof dort,
Der nach vollbrachtem Lebenslauf
Nimmt uns in seinem Schoße auf –
Wo alle gleich,
Ob arm, ob reich. –
Der Samstag kömmt, das Weib bleibt aus,
Ich blick vergebens nach ihm aus. –
Es klopft nicht mehr, die Tür bleibt zu,
Ich höre nicht hüsteln, es lässt mich in Ruh.
Da schau ich hinauf zum Himmel blau: –
Da schaut sie herab – die Bettelfrau."

Es ist einfacher, Menschen zu täuschen, anstatt sie davon zu überzeugen, dass sie getäuscht worden sind.

Mark Twain, 1835-1910, amerikanischer Schriftsteller
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