Andreas Hofer
Hans-Jürgen Salier
Tod im Eisacktal –
Nach Andreas Hofers Alarmierung in Südtirol treffen sich am 2. August 1809 vier führende Aufständische der Brixner Gegend in der Gastwirtschaft "Zum Goldenen Kreuz" zu einer geheimen Beratung: der Mahrwirt Peter Mayr, der Kapuzinerpater Joachim Haspinger und der Schabser Wirt Peter Kemenater. Sie beschließen, den immer weiter ins Land vordringenden Feind, im konkreten Fall das unter Napolèons Fahnen kämpfende Rheinbund-Kontingent "Regiment der Herzöge von Sachsen" zu vernichten. Die Tiroler Patrioten sehen in der Eisack-Talenge bei Unter- und Oberau eine Chance, ihrer Heimat die Freiheit zu sichern.
Was bislang geschah
Das Tiroler Land, das seit dem ersten Koalitionskrieg (1792 – 1797) Österreichs gegen Frankreich – und in der Folge immer wieder Kriegsschauplatz ist – wird zwischen den Mächten hin- und hergerissen. Nach dem dritten Koalitionskrieg und dem Frieden von Pressburg (1805) wird Tirol dem jungen im Bündnis mit Napoléon geschaffenen Königreich Bayern zugeschlagen. Der Handel kommt nahezu vollständig zum Erliegen, ein dramatischer Währungsverfall ist zwangsläufige Folge, die Steuerschraube wird auf das Doppelte emporgedreht, der Gebrauch des Namens Tirol wird unter Strafe gestellt.
Die stolzen Tiroler Bergbauern sind nicht nur unzufrieden, sie sind zum Kampf gegen die verhasste Fremdherrschaft entschlossen. An der Spitze des Befreiungskampfes steht der Volksheld Andreas Hofer (1767 – 1810), der Sandwirt aus dem Passeiertal; seit 1791 ist er Abgeordneter des Tiroler Landtags. Es kommt zu Erhebungen, zu mehrmaligen Befreiungen und auch zu Wiederbesetzungen des Landes durch die Bayern und Franzosen.
Am 1. August 1809 bricht die Division Rouyer von Innsbruck in Eilmärschen in Richtung Brenner und von dort nach Brixen auf, um Südtirol endgültig zu erobern und Verbindung mit dem aus dem Pustertal anrückenden General Rusca herzustellen. Die Eroberer stoßen kaum auf Widerstand. Der vogelfreie Andreas Hofer hat sich in einer Felsenhöhle beim Schindleregg versteckt und mobilisiert mit aufmunternden und treuherzigen Schreiben seine Landsleute.
Tiroler ("Rütli")-Schwur
Die vier Tiroler Patrioten reichen sich in der Gaststätte "Zum Goldenen Kreuz" die Hände, schwören ihren Tiroler ("Rütli")-Schwur, nicht aber wie auf so manchem Historienbild in großer Öffentlichkeit und mit Pathos, sondern eher in Hinterzimmerromantik. Ihre Entschlossenheit hat jedoch unauslöschliche geschichtliche Folgen und Signalwirkung für die Völker Europas gegen die Fremdherrschaft des Franzosenkaisers und seine Vasallen.
Der Kapuzinermönch Haspinger, Hofers eifernder Kampfgefährte mit dem Christuskreuz, ruft anschließend die Männer von Klausen, Latzfons, Villanders zu den Waffen, der Mahrwirt den Landsturm um die Bischofsstadt Brixen.
Die "Sachsen" auf dem Marsch nach Brixen
Napoléons General Rouyer bricht nach den Kämpfen in Sterzing nach einem Ruhetag in Richtung Brixen auf, um den Hort des Widerstandes ohne Pardon zu vernichten. An der Spitze, als Avantgarde, lässt er die knapp 2.500 Offiziere und Mannschaften des Regiments der Herzöge von Sachsen marschieren, die tapferen Thüringer Männer aus Coburg, Weimar, Hildburghausen, Meiningen, Gotha unter dem Befehl des Obersten Egloffstein aus Weimar, und voran u. a. auch die Heldburger Musiker Machold, Bräcklein und Grauf. Sie alle müssen ihre Haut für fremde Interessen zu Markte tragen, ihnen bleibt die militärische Drecksarbeit.
Die 156 Hildburghäuser bilden die 6. Füsilierkompanie und sind Teil des 3. leichten Bataillons unter Hauptmann v. Münch, Premierleutnant v. Koppenfels und Sekondeleutnant v. Schierbrandt, die in den folgenden Ereignissen als Vorhut die härtesten Auseinandersetzungen zu führen haben.
Erste Kämpfe
Am 3. August kommt es in dem Dorf Mittewald und um die Peisserbrücke zu erbitterten Kämpfen. Hofers engster Mitstreiter, der Bauern-Major Joseph Speckbacher, lässt die enge Eisackstraße sperren, dort wo heute nahezu parallel die Brennerautobahn in Richtung Bozen und weiter nach Modena und die Staatsstraße 12 führen.
Talabwärts kommt es zunächst zu keinen nennenswerten Ereignissen. Wegehindernisse müssen beseitigt werden. Plötzlich überfluten die von den Aufständischen aufgestauten Wassermassen des Eisack das Feldlager. Die ersten "Sachsen" kommen in den Fluten um. Damit beginnt der dreitägige erbitterte Kampf in der später so benannten "Sachsenklemme". Am 4. August bricht die Hölle für das leichte Infanterie-Bataillon der Coburger, Weimarer und Hildburghäuser los. Aus den dichten Wäldern schießen die für ihre Feinde unsichtbaren Tiroler treffsicher ihre Kugeln ab. Die Männer dringen unter Verlusten bis Unterau, das heute von einem kleinen See bedeckt wird, vor.
Plötzlich erschallt von einem steilen Berg das Signal: "Hiasl, hau' o!" Axthiebe hallen, Steinlawinen und Baumstämme stürzen am "Sack", der engsten Talstelle, donnernd und den Feind mitreißend zu Boden. Die Eisackbrücke bei Franzensfeste ist das Ziel der Tiroler Freiheitskämpfer. Weitere Schleusen werden geöffnet. Hunderte "Sachsen" ertrinken im Eisack oder werden von den Scharfschützen hingestreckt. Chronisten berichten, dass der wilde Fluss vom Blut rotgefärbt gewesen sei.
Der gnadenlose französische General Rouyer lässt im Angesicht des drohenden Untergangs seiner Truppe vier gefangene und teilweise verwundete Tiroler an gut einsehbarer Stelle erschießen. Zorn und Kampfbereitschaft der Tiroler steigern sich durch die Untat.
Eine schreckliche Bilanz für die "Sachsen"
Am 5. August ist die Vorhut von der Haupttruppe nahezu abgetrennt. In den Häusern von Oberau finden noch einmal erbitterte Kämpfe statt, aber die Vorhut kommt nicht über das Dorf hinaus. Wer es schafft, flieht zurück nach Sterzing. Von dort wird der ehrgeizige Marschall Levebvre, Herzog zu Danzig, unterrichtet, der anschließend – wie Tiroler Quellen bezeugen – ein Strafgericht über den Rest der Truppe hält.
Die dreitägige Kampfbilanz für das Regiment der Herzöge von Sachsen ist schrecklich: Es verliert an der "Sachsenklemme" 7 Offiziere durch Tod, 38 durch Verwundung und Gefangenschaft, ferner 946 Unteroffiziere und Mannschaften. Von den Hildburghäusern sind es 60 Mann und 3 Offiziere, wobei Leutnant v. Schierbrandt getötet wird. Er und weitere drei Offiziere des Weimarer Kontingents werden unter drei Nussbäumen begraben. Der “1. Wiener Andreas-Hofer-Verein” errichtet 1902 ihnen zu Ehren ein Sandsteinkreuz. Ungefähr 280 Mann kommen in Gefangenschaft, die bis zu ihrer Entlassung im Spätherbst bei Tiroler Bauern arbeiten müssen.
Der maulheldige Marschall Lefebvre führt ab 5. August von Innsbruck her an der Spitze von 7.000 Bayern und 10 Geschützen den Gegenstoß in Richtung Sterzing, kommt aber am 7. August nicht über die Ortschaft Mauls hinaus, denn der Widerstand der Tiroler ist mit brachialer Gewalt nicht zu brechen. Er sucht sein Heil in Verhandlungen mit den Bauern und letztlich in der Flucht via Innsbruck. Zuvor verheert er die Gegend um Sterzing mit Plünderungen und Feuer. Nachdem es für die Truppe zu brenzlig wird, lässt er sich als Feldherr verleugnen und verkleidet sich als Dragoner zu Fuß. Der Rückzug fordert enorme Mannschaftsverluste. Zum militärischen Desaster trägt u. a. die vernichtende Niederlage des 10. bayerischen Fußregiments bei.
Das Regiment der Herzöge von Sachsen, inzwischen zu zwei schwachen Bataillonen formiert, wird bis zum 11. August als Besatzung auf dem Brennerpass zurückgelassen und dann von Marschall Lefebvre nach Innsbruck zurückgeführt. Von den knapp zweieinhalbtausend Mann sind noch 1.105 am Leben. Napoléon inspiziert die Truppe. Oberst von Egloffstein erhält das Kreuz der Ehrenlegion, jeder Soldat ein Paar Schuhe, das gesamte Regiment 100.000 Francs, hierfür werden u. a. zwei gespannte Geschütze gekauft.
Andreas Hofer – Landesregent und Oberkommandierender
Inzwischen ist Andreas Hofer über die Kriegslage unterrichtet. In St. Leonhard, im heimatlichen Passeiertal, dem linken Seitental des Etschtals zwischen Timmelsjoch und Meran. Er hält mit seinen Getreuen Kriegsrat und bietet alle erreichbaren Tiroler zum Kampf gegen die französischen und bayerischen Eindringlinge sowie ihre Rheinbundvasallen auf. Dabei lässt sich der Sandwirt am 8. und 9. August in verlustreiche Kämpfe mit feindlicher Artillerie ein.
Der Sieg am Eisack beflügelt Andreas Hofer, er wird zum Fanal im Kampf gegen die Fremdherrschaft. Höhepunkt ist der Triumph über Marschall Lefebvre in der dritten Schlacht am Berg Isel bei Innsbruck am 13. August 1809. Lefebvre wird schmählich des Landes verwiesen. Am 15. August wird der Tiroler Volksheld Andreas Hofer Landesregent und Oberkommandierender Tirols.
Trotz Niederlage Signale für Befreiung von der Fremdherrschaft
Es folgen weitere Kämpfe, Friedensverhandlungen, Versprechungen und Verrat. Der Widerstand der Tiroler wird systematisch unterhöhlt und gebrochen, bis zur Niederlage des Aufstands im November und zur Teilung Tirols. Der Norden kommt an Bayern, der Süden an das Königreich Italien, der Osten zu den Illyrischen Provinzen. Erst ab 1814 gelangt Tirol vorerst wieder zum österreichischen Kaiserhaus.
Es konnte und durfte nicht sein, dass eine Handvoll wildentschlossener freiheitsliebender Bauern Frankreich, die "Grande Nation", an den Rand der Niederlage bringt. Inzwischen erregen Aufstand und Widerstand der Tiroler überall in Europa große Aufmerksamkeit, und die Anti-Napoléon-Koalition beginnt sich zu formieren und den Sturz des übermächtigen Feindes vorzubereiten.
Preußens kluge und tapfere Königin Luise, Schwester der Hildburghäuser Herzogin Charlotte, deren Kontingent gegen die Tiroler Freiheitsbewegung ins Feld geschickt wird, schreibt voller Bewunderung: "Welcher Mann, dieser Andreas Hofer! Ein Bauer wird ein Feldherr und was für einer! Seine Waffe – Gebet! Sein Bundesgenosse – Gott! Er kämpft mit gefalteten Händen, kämpft mit gebeugten Knien und schlägt wie mit dem Flammenschwert des Cherub! Und dieses treue Schweizervolk, ein Kind an Gemüt, kämpft gleich den Titanen mit Felsstücken, die es von seinen Bergen niederrollt."
Das Ende Andreas Hofers
Nach wechselvollem Kriegserfolg muss der Sandwirt am 24. November 1809 fliehen; am 28. Januar 1810 wird er auf der Pfandler-Alm bei Prantach durch Verrat gefangen genommen und über Meran, Bozen, Trient, Ala in die berüchtigte Festung Mantua verbracht und am 19. Februar 1810 auf Befehl Napoléons auf der Mantuaer Bastei standrechtlich erschossen.
Es gibt wohl kaum einen Tiroler, der das (oftmals auch nationalistisch missbrauchte) Lied des Vogtländers Julius Mosen (1831) nicht kennt:
Zu Mantua in Banden,
Der treue Hofer war,
In Mantua zum Tode
führt ihn der Feinde Schar,
Es blutete der Brüder Herz.
Ganz Deutschland ach!
In Schmach und Schmerz,
Mit ihm sein Land Tirol ...
Aus: Hans-Jürgen Salier und Bastian Salier: Hildburghäuser Lesebuch. – Verlag Frankenschwelle KG, Hildburghausen, 1999, S. 85 ff.
© Hans-Jürgen Salier und Bastian Salier
Im Kampf gegen Andreas Hofer