Seizinger, Karl
© Eine Biografische Skizze von Hans-Jürgen Salier
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Karl Friedrich Wilhelm Seizinger * 23.03.1889, Hildburghausen
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Kupfer- und Stahlstecher, Banknoten- und Briefmarkenstecher
Er wurde am 23. März 1889 als Sohn des Fotografen Heinrich Seizinger in Hildburghausen geboren. Nach dem Besuch der Volksschule lernte und arbeitete er sechs Jahre im berühmten Kartographischen Institut von Metzeroth in Hildburghausen. In Berlin arbeitete er am Kartographischen Institut, auch seine Frau Elisabeth lernte er dort kennen. Als Militärfreiwilliger diente er bei den Gardejägern in Potsdam. Der Weltkrieg ließ die künstlerische Entwicklung des Hochtalentierten abbrechen. Der Krieg verschlug ihn an die Front nach Frankreich und von dort für achtzehn Monate zur Fliegerabteilung nach Breslau. Immer ein wenig Abenteuer im Blut ging er in die Türkei und nach Bagdad zur Kaiserlich Osmanischen Fliegertruppe. Kurz vor Kriegsende lernte er den berühmten Weltreisenden und Asienforscher Sven Hedin (1865 – 1952) kennen. Für dessen Buch “Bagdad – Babylon – Ninive“ bearbeitete er grafisch Bildmaterial. Übrigens, auch die langjährige Leiterin des Stadtmuseums, Wilfriede André, war für den Forschungsreisenden grafisch tätig.
Seizinger kehrte nach Kriegsende in seine Vaterstadt zurück. Hier fand er nicht mehr die erhoffte künstlerische Perspektive. Hildburghausen als bedeutende Verlagsstadt und Standort des grafischen Gewerbes war nahezu zur Bedeutungslosigkeit abgesunken und nur noch schwacher Abglanz einstiger Blüte.
Seizinger zog es wieder in die Welt. 1921 stellte ihn die finnische Staatsbank in Helsingfors in der Wertpapierdruckerei als Banknotenstecher ein, und schnell erwarb sich der Künstler Anerkennung.
1924 folgte er der Einladung der tschechoslowakischen Staatsbank nach Prag. Neben seiner Tätigkeit als Banknotenstecher studierte er drei Jahre an der Kunstakademie bei Professor Max Švabinsky, der in die Kunstgeschichte als eine der hervorragenden Persönlichkeiten der tschechischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts einging.
Den großen Traditionen der tschechischen Grafik verpflichtet, gestaltete Seizinger vorwiegend historische Ereignisse, Stadtansichten sowie Landschaften. Berühmt wurden die Ausgaben „Hrady, krajiny, mĕsta“. Zu den bekanntesten und finanziell hoch dotierten philatelistischen Sammelgegenständen zählt der Sonderblock mit der tschechoslowakischen Nationalhymne. Bis 1934 gravierte er alle Postwertzeichen des Landes, ab diesem Zeitpunkt im Wechsel mit Bohumil Heinz, weil es zu Auseinandersetzungen mit der Staatsdruckerei kam, die vielleicht auch politisch motiviert waren. Nach außen kritisierte man seine stecherischen Leistungen, trotzdem arbeitete Seizinger als freier Mitarbeiter weiter. Wie seine künstlerischen Leistungen aber zeigen, war er nicht entbehrlich. Seine letzte Ausgabe erschien 1938 als Block zur 1. Briefmarkenausstellung PRAGA.
Mit seinen künstlerischen Leistungen trug Seizinger dazu bei, dass die Marken der ersten Republik der Tschechoslowakei (1918 – 1938) noch heute in der Philatelie zu den beliebten Sammelgebieten in Europa zählen.
Bis 1938 schuf er allein 56 Postwertzeichen für die Tschechoslowakei.
Er verließ die Tschechoslowakei freiwillig in Richtung Belgrad, weil er fürchtete, von seinen eigenen Landsleuten, den Nationalsozialisten, nach der Okkupation zur Verantwortung gezogen zu werden. So äußerte er sich auch in einer „Was-bin-ich?“-Sendung“ mit dem Moderator Robert Lemke im Bayerischen Fernsehen. Nach seinen Worten war nur noch eisiges Schweigen feststellbar, so hat es der Verfasser noch in Erinnerung.
Nachdem die okkupierten Gebiete der Tschechoslowakei zum Protektorat Böhmen und Mähren erklärt wurden, überdruckte man die von Seizinger meisterhaft gestalteten Briefmarken mit „Böhmen und Mähren“ / „Cechy a Morava“ in Deutsch und Tschechisch sowie in der Slowakei nur in der Landessprache Slowakisch.
Ungezählt sind die positiven Kritiken in der zeitgenössischen Presse. 1929, also fünf Jahre nach Beginn seines Wirkens in Prag, würdigte die Zeitschrift „Die Briefmarke“ sein Schaffen: Briefmarken sind die ‚Visitenkarten’ eines Staates. Die gegenwärtigen Visitenkarten der Tschechoslowakischen Republik gehören mit zu den schönsten in der Welt. Das Verdienst daran gebührt in erster Linie dem Schöpfer derselben, Meister Seizinger, nicht zuletzt aber auch jenen weitblickenden Faktoren in der Tschechoslowakei, welche es, frei von aller Engherzigkeit, verstanden haben, einen so hervorragenden Künstler ins Land zu rufen und ihn mit der Herstellung der staatlichen Wertzeichen zu betrauen.
Die Philatelie kann sich gratulieren zu dem neuen Stern am Himmel der Markenstecherkunst.“
Karl Seizinger enttäuschte in den folgenden Jahrzehnten weder die Postverwaltungen noch die Briefmarkensammler. In Südosteuropa war er in der Folgezeit für mehrere Postverwaltungen künstlerisch tätig, zunächst in Belgrad. Sein erster Briefmarkensatz erschien dort bereits am 6. September 1939. Nach der Besetzung Jugoslawiens durch die Deutsche Wehrmacht und der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens am 1. April 1941 setzte er sich nach Zagreb ab und war dort künstlerisch auf höchstem Niveau tätig. In Expertenkreisen zählen beispielsweise Sonderblock und -marke zur 3. Philatelistischen Ausstellung 1943 in Zagreb, auf denen die Alte Marienkirche und das Zisterzienserkloster nach einem Gemälde von Vladimir Kirin aus dem Jahr 1650 dargestellt sind, als bester Stich in der Geschichte der Postwertzeichengravur. Aus dieser Zeit stammen auch bereits gedruckte, aber nie an die Postschalter gelangte Postwertzeichen für das Generalgouvernement (= nicht ins Reichsgebiet eingegliederte Gebiete der Zweiten Polnischen Republik, 1939 – 1945). Grand Prix und Goldmedaillen in vielen Ländern Europas waren der Lohn für seine hohe künstlerische Meisterschaft.
Nach Beendigung des Krieges, der Machtübernahme der Kommunisten unter dem Partisanenführer, Marschall Josip Broz Tito und der Vertreibung verlor Seizinger Hab und Gut, und er schlug sich bis Hildburghausen durch. Für den kreativen, inzwischen 59-Jährigen gab es aber kaum noch Arbeit, geschweige künstlerische Bewährungsproben. Er folgte 1948 dem Ruf einer der bekanntesten Banknoten- und Briefmarkendruckereien der Welt, der Firma Joh. Enschede en Zonen nach Haarlem in die Niederlande. Bis ins Alter von 73 Jahren stach er dort Briefmarken, aber vor allem Banknoten für die Niederländischen Antillen, für Portugal, Curaçao, Syrien, Indonesien, Neu Guinea, für die UN-Postverwaltung in New York u. a. Länder und Postgebiete.
Ende der sechziger Jahre kam es in Hildburghausen zum Eklat. Professor Seizinger machte seiner Vaterstadt Hildburghausen ein wertvolles Geschenk mit Probedrucken und verausgabten Postwertzeichen, die wegen der DDR-Abgrenzungspolitik in einem Tresor verschwanden. Weder Stadtverwaltung noch Rat des Kreises hielten es für nötig, dem in der Welt hoch geehrten Künstler eine Empfangsbestätigung zu senden. Kalter Krieg oder ideologische Dummheit? Der Künstler lebte bekanntlich in dem NATO-Staat Niederlande, das war Feindesland. Der Kreisvorsitzende des Kulturbundes der DDR, Robert Klopf, und die Arbeitsgemeinschaft Philatelie unter Leitung von Wolfgang Heymann unternahmen wiederholt Versuche, die Schenkung zu begutachten. Ohne Erfolg, der Vorsitzende des Rates des Kreises Hildburghausen, A., betonte, dass das künstlerische Material in seinem Tresor verschimmeln werde. Beide Kulturbund-Funktionäre traten zurück. Das war für den Kulturbund ein weittragender Einschnitt. Auch Waldemar Klemm, der rührige Philatelist in Hildburghausen, der immer sehr engen Kontakt zu Professor Seizinger pflegte, zog sich ebenfalls von der ehrenamtlichen Arbeit zurück. – Das Stadtmuseum Hildburghausen ist heute Aufbewahrungsort der Schenkung Seizingers.
1978 verstarb Professor Seizinger in den Niederlanden. Er war einer der letzten großen Vertreter in der langen Traditionslinie der Hildburghäuser Kupfer- und Stahlstecher des 19. und 20. Jahrhunderts.
Das Ministerium des Post- und Fernmeldewesens der benachbarten Tschechoslowakei ehrte Karl (Karel) Seizinger zum „Tag der Briefmarke“ am 18. Dezember 1983 mit einem 1-Kronen-Sonderpostwertzeichen.
Anmerkung
Hans-Jürgen Salier übernahm nach Wolfgang Heymann die Funktion des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Philatelie Hildburghausen.
Als bekannt wurde, dass die ČSSR das Postwertzeichen für Seizinger emittiert hatte, ist es immerhin „Freies Wort“ und vielen anderen DDR-Zeitungen zu verdanken, dass der Verfasser des Beitrages Texte über Seizinger veröffentlichen konnte. Der Ratsvorsitzende Hildburghausens, M., dagegen blieb auch 1983/84 unbeirrt seinem politischen Leitbild treu.
Für das Stadtmuseum Hildburghausen schrieb Hans-Jürgen Salier 1997 eine Publikation mit dem Titel „Arbeitserinnerungen des Kupferstechers Karl Seizinger“. Hier wertete er auch den handgeschrieben Lebenslauf sowie die Arbeitserinnerungen des Künstlers aus.
Unter der Überschrift
"Von den Mühen und der Kunst, Briefmarken zu stechen"
schreibt er zu Beginn sehr eindrucksvoll:
Dass ich Kupferstecher geworden bin, verdanke ich dem Umstand, in der Südthüringer Kupferstecherstadt Hildburghausen geboren worden zu sein. Dort wirkte ab 1828 Carl Joseph Meyer, der Gründer und Chef des Bibliographischen Instituts, das 1874 nach Leipzig verlegt wurde. In jener Zeit war die Fotografie noch nicht erfunden, bzw. sie steckte noch in den Kinderschuhen. Für seine vielfältigen verlegerischen Aktivitäten, so die Editionen des Conversations-Lexicons, des Universums u. a. Projekte benötigte Meyer eine Unmenge Illustrationen und Landkarten. Er richtete in seinem Unternehmen auch eine künstlerisch-geographische Abteilung ein, in der bedeutende Kupfer- und Stahlstecher wie beispielsweise Carl Barth wirkten. Der große Dichtergelehrte Friedrich Rückert bezeichnete ihn einst als „rnein lieber Freund und Kupferstecher“. Und wer kennt in Deutschland nicht dieses geflügelte Wort.
Künstler wurden beauftragt, in ferne Länder zu reisen, um an Ort und Stelle naturgetreue Zeichnungen von interessanten Objekten, wie den Niagara-Fällen in Nordamerika oder berühmten Bauwerken in Spanien oder Indien anzufertigen. Weder Kosten noch Mühen wurden gescheut. Um Zeichnungen zu vervielfältigen, wählte man den feinen Kupfer- und Stahlstich. Einer dieser vielgereisten Zeichner und Kupferstecher war der 82-jährige Plato Ahrens, den ich kennen lernte, als ich 15 Jahre alt war. Er bat mich damals, seine Erlebnisse nach Diktat niederzuschreiben. Als ich seine fesselnden und detaillierten Berichte vernahm, kam in mir der unbändige Wunsch auf, Kupferstecher zu werden. 1903, nach Absolvierung der Volksschule, beschloss ich, im Kartographischen Institut bei Metzeroth in die Lehre zu gehen. Dort arbeitete ich insgesamt sechs Jahre und erlernte das ABC der Gravur. Eine lange Zeit dauerte es, diese Kunst zu erlernen und noch weitere, um erfolgreich zu sein. Letztendlich konnte ich aber meine Jugendträume erfüllen, Banknoten und Briefmarken zu stechen.
18. Dezember 1983. Ersttagsbrief (First day cover – FDC) der Sonderausgabe der Tschechoslowakisch Sozialistischen Republik (ČSSR) anlässlich des „Tages der Briefmarke“ mit dem Porträt von „Karel“ Seizinger (Karl Friedrich Wilhelm Seizinger) zum Gedenken an seinen 5. Todestag.
Entwurf: Cyril Bouda
Stich: Miloš Ondráček
Die Porträtvorlage stammt von einem Foto anlässlich seines Besuchs an der Gesamtstaatlichen Nationalen Briefmarkenausstellung Brno 1974, als er erstmals nach 36 Jahren als 85-Jähriger das Land seines großen künstlerischen Wirkens besuchen darf. In der Tschechoslowakei und in der DDR ist der weltbekannte Künstler bis dahin totgeschwiegen worden.
Sonderblock zur 3. Philatelistischen Ausstellung 1943 in Zagreb. Alte Marienkirche und Zisterzienserkloster, nach einem Gemälde von Vladimir Kirin, 1650.
Die Arbeit Seizingers galt als bester Stich in der Geschichte der Postwertzeichengravur.Entwurf von Professor Seizinger für ein Postwertzeichen der OPD 16 (Oberpostdirektion Erfurt), Land Thüringen, für eine Briefmarkenausgabe 1945
Veste Heldburg
Entwurf von Professor Seizinger für ein Postwertzeichen für die Deutsche Reichspost, um 1930