Thüringer Volkszeitung 28.12.1945
Die „Thüringer Volkszeitung“, das Organ der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), veröffentlichte am Freitag, dem 28. Dezember 1945, Ausgabe 114, in einem eineinhalbseitigen Artikel den Rechenschaftsbericht von Bürgermeister Dr. Hermann Zschaeck, Bürgermeister der Stadt Hildburghausen, unter der Schlagzeile
Demokratischer Aufbau der Stadt Hildburghausen
Der totale Zusammenbruch des Hitlerstaates brachte von der ersten Minute nach der Besetzung der Stadt am 7. April 1945 der Stadtverwaltung ein Ausmaß an Arbeit, das trotz aller früheren Belastungen kaum für möglich gehalten werden konnte. Die Stadt war zunächst ganz auf sich gestellt, mußte vor allem die Ernährung sichern und die primitivsten Lebensaufgaben erfüllen, bis ein größerer Staatsverband wieder wuchs. Heute läuft alles in festeren Bahnen; eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht und die Anspannung aller Kräfte wird auch weiterhin den Boden festigen, auf dem wir eine bessere Zukunft bauen wollen.
Der Heranziehung aller Aufbauwilligen diente vor allem
die Demokratisierung der örtlichen Verwaltung.
Der Aktionsausschuß der antifaschistischen Parteien bestimmte acht Mitglieder für den städtischen Beirat, der ähnlich dem früheren Stadtrat seit Juli jeden Mittwoch im Rathaus beratschlagt. Seine Mitglieder sind Albin Römhild (KPD.), August Kahl (KPD.), Erich Mitzenheim (SPD.), Anton Schneider (SPD.), Fritz Möller (Dem.), Karl Schüerholz (Dem.), Otto Schön (Christl.), August Schneider (Christl.).
Auch eine Reihe von Ausschüssen wurde eingesetzt (bei dem betreffenden Sachgebiet werden sie behandelt), sie gewährleisten, daß nun das Volk wieder in breiterer Form an den örtlichen Aufgaben mitwirkt.
Zu Beigeordneten wurden August Gerau (SPD.) und Ewald Grüter (KPD.) bestellt.
Die Belegschaft des Rathauses erfuhr wesentliche Umgestaltungen; sie umfaßt heute außer der Polizei 41 Männer und Frauen. Von den früheren Kräften sind im Zuge der politischen Umbesetzung 11 Beamte, 9 Angestellte und 6 Arbeiter ausgeschieden. Das Rathaus steht in vorderster Linie in der Betreuung der Bevölkerung; jeder Tag bringt ungezählte Menschen mit vielen, vielen Wünschen und Sorgen an diese Stätte.
Das Rathaus wird auch im neuen Rahmen Helfer in allen Nöten sein und sich durch rastlose Pflichterfüllung das Vertrauen der Bürgerschaft zu erhalten suchen.
Es ist ein großer Vorteil einer Stadtverwaltung auf den verschiedensten Gebieten des menschlichen Lebens tätig zu sein; diese Vielseitigkeit gibt den besten Überblick über die Nöte und Möglichkeiten des Gemeinwesens. Es liegt viel an der Bevölkerung selbst, durch eine gewisse Rücksichtnahme, durch Einhaltung von gestellten Fristen, durch wirkliches Lesen aller Bekanntmachungen und durch Beachtung der Bürostunden zu helfen, daß die Verwaltung ihren Pflichten genau nachkommen kann. Nachmittags sind die Büros grundsätzlich geschlossen, um die schriftlichen Arbeiten erledigen zu können.
Der folgende Überblick soll einen Eindruck von der Vielseitigkeit der Verwaltung bringen und damit Verständnis für die zu bewältigenden Aufgaben im Sinne demokratischer Volksverbundenheit wecken. Er soll das Bekenntnis enthalten, daß es wohl die schönste Aufgabe ist, der Bevölkerung zu dienen und nach Kräften zu helfen.
Das Einwohnermeldeamt
ist das Kernstück der allgemeinen Verwaltung: der Bürgermeister muß genauestens wissen, wie sich die Bevölkerung zusammensetzt, wie sie zu- oder abnimmt. Die Art und Größe der zu erfüllenden Aufgaben wird durch diese Zahlen bestimmt. Der Wechsel in der Bevölkerung ist heute sehr groß; 500 bis 600 Anmeldungen und 300 bis 400 Abmeldungen im Monat, die alle registriert und bearbeitet werden müssen, bringen eine ungeheure Arbeit, dazu treten im Monat über 200 Ummeldungen im Ort. Ein Meldeamt, das nicht auf dem laufenden ist, verfehlt seinen Zweck; viele Auskünfte, Statistiken, Berechnungen jeder Art fußen auf seinen Aufgaben. Daher muß jeder Einwohner seiner Meldepflicht genau nachkommen.
Die Personenstandsaufnahme vom 1. Dezember 1945 hat ergeben, daß hier 7.389 Einwohner leben; darunter sind 1.000 Ostumsiedler. Es sind 2.983 Männer und 4.406 Frauen. Wir haben hier 2.200 Haushaltungen in etwa 900 Häusern. Im Januar 1945 hatte die Stadt fast 10.000 Einwohner, darunter 1.000 Ausländer aller Nationen, ohne Lazarette und Soldaten gerechnet; mit diesen leben hier rund 11.500 Menschen. Das war gegenüber der Vorkriegszeit mit etwa 6.700 Menschen zuzüglich 500 Soldaten schon ein gewaltiger Anstieg, der zahlreiche Probleme mit sich brachte. Große Sorgen machte im Sommer das Ausländerproblem; heute leben nur noch 14 Ausländer unter uns, sie sind zum Teil schon seit Jahrzehnten hier.
Das Standesamt
bucht Leben und Sterben und das Glück neu geschmiedeter Ehen; auch aus diesen Zahlen zieht der Kommunalpolitiker seine Schlüsse für die praktische Arbeit.
Die Geburtenzahl, die um 1922/1925 ebenso wie 1940 etwa 110 jährlich betrug, sank 1942 auf 81 und stieg entsprechend der Zunahme der Bevölkerung 1943 auf 97 und 1944 auf 145; 1945 sind es bis jetzt 127 Geburten. Die Heiratsziffer erreichte in den letzten 20 Jahren einen Höchststand 1936 mit 59 neuen Ehen, diese Zahl wurde nur 1939 anläßlich zahlreicher Eheschließungen bei Kriegsbeginn auf 71 gebracht; 1944 waren es nur 35 Ehen, 1945 bis jetzt 38 Ehen. Sehr stark ist die Ernte des Todes gestiegen.
Außer den beurkundeten Gefallenenmeldungen waren in den drei letzten Kriegsjahren des ersten Weltkrieges jährlich durchschnittlich 85 Todesfälle zu verzeichnen; diese Ziffer sank am tiefsten 1931 auf 56 und steigt 1944 auf 100; 1945 sind es bis jetzt 196, davon die Hälfte infolge von Kriegshandlungen in der Heimat. Zu diesen Hildburghäusern kommen noch die Auswärtigen, die hier in der Heilanstalt und im Krankenhaus sterben und hier beurkundet werden, sowie die Orte Birkenfeld, Wallrabs und Sophienthal, für die wir mit zuständig sind. Hiernach wurden insgesamt im Durchschnitt der Vorkriegsjahre 150 Todesfälle beurkundet, 1943 235, 1944 210, und 1945 sind es bis jetzt schon 401.
Das Lebensmittelamt
Hängt organisatorisch mit dem Meldeamt zusammen, denn jeder hier Ansässige will sein Quantum haben. 7.303 Lebensmittelkarten wurden für Dezember von ehrenamtlichen Helfern ausgetragen. Sie wurden an folgende Berufsgruppen verteilt: 159 Schwerst- und Schwerarbeiter, 1.023 Arbeiter, 923 Angestellte, 2.014 Kinder und 2.949 Sonstige, außerdem 225 Selbstversorger. Hierzu kommen die Durchwandernden, die es gerade in den letzten Monaten sehr viel gab; man muß annehmen, daß monatlich über 1.400 Durchwanderer hier vorsprechen, um für ein bis zwei Tage Verpflegung in Empfang zu nehmen, das sind täglich etwa 50, im Sommer ist diese Zahl noch weit höher gewesen. In hiesigen Gaststätten, die für warme Verpflegung in Frage kommen, werden täglich fast 900 Essen abgegeben. Die Sorge, daß hinter den Lebensmittelkarten auch die Ware steht, obliegt nicht der Stadt; die Verteilung wird aber mit Fürsorge überwacht; so war zur Vermeidung von Schlangen vor Gemüsehandlungen die Buchstabeneinteilung angeordnet worden. Wenn sich Publikum und Händler an diese Einteilung genau hielten, würde viel Wartezeit gespart. Die Einrichtung eines Großhandelsgeschäftes für Gemüse wird hoffentlich bald eine Warenverteilung auf alle Geschäfte sichern!
Das Wirtschaftsamt
Würde sehr gern viel mehr helfen, als es möglich ist. Da die Ware einfach nicht vorhanden ist, hat es auch keinen Zweck, Bezugsscheine im Übermaß auszustellen. Bei 2.200 Haushaltungen, 2.000 Evakuierten und vielen Fliegergeschädigten ist der Bedarf beim besten Willen nicht zu decken. Im Sommer konnten monatlich über 2.000 Bezugsscheine für Spinnstoffe ausgeschrieben werden, in den letzten Monaten 160 je Monat; über 800 Anträge liegen vor, nachdem bereits vorher völlig aussichtslose Anträge in großer Zahl abgelehnt waren. Die Lage auf dem Schuhmarkt ist ähnlich; 600 Anträge warten auf Erfüllung. Vom Januar bis September 1945 gab es nur 214 Paar Lederschuhe und 920 Paar leichte Schuhe. Es gilt also völlige Einschränkung, damit die geringen Vorräte wirklich dorthin gelenkt werden können, wo sie am allerdringendsten nötig sind. Ein Ausschuß der vier Parteien prüft und bewilligt jeden einzelnen Fall, so daß die Bevölkerung von gerechtester Verteilung überzeugt sein kann. Mitglieder des Ausschusses sind unter Vorsitz des 1. Beigeordneten Gerau: Karl Dressel (SPD.), Friedrich Reif (KPD.), Herm. Eschrich (Christl.) und Karl Rieneck (Dem.). Zur Schuhnot kommt die Schwierigkeit, daß die Schuhmacher mit den Reparaturen nicht nachkommen. Anfang Dezember 1945 liegen in unseren Schuhwerkstätten 2.700 Paar Schuhe, die der schnellsten Ausbesserung harren; wöchentlich können insgesamt nur 700 Paar Schuhe geschafft werden, auf vier Wochen ist also der Handwerkszweig besetzt. Hier sind dringend Maßnahmen der zuständigen Stellen nötig.
Das Wohnungsamt
hat die überaus wichtige Aufgabe, den knappen Wohnraum genau zu erfassen und gerecht zu verteilen. Die Tätigkeit ist schwer; mit mehr Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung könnte noch besser geholfen werden. Um ein planvolles Arbeiten zu ermöglichen, wurde von 16 ehrenamtlichen Helfern in einer Wohnungskartei der gesamte Wohnraum genau erfaßt; dabei wurden 692 Zimmer beschlagnahmt. Die Vermittlungstätigkeit muß mit großer Überlegung erfolgen, damit zufriedenstellende Verhältnisse geschaffen werden. Der erhöhte Wohnbedarf entsteht durch Evakuierte, Ostumsiedler, Schüler der höheren Schulen und der Landwirtschaftsschule und Studierende der Ingenieurschule, ferner durch Einquartierungen. Jetzt sind noch 150 Bewerber für Familienwohnungen vorgemerkt. Für zu erwartende Ostumsiedler standen Ende Oktober etwa 500 Zimmer zur Verfügung; wenn wir den uns zugedachten Anteil an Umsiedlern erhalten werden, müßte jeder dieser Räume mit vier Menschen belegt werden; da dies nicht geht, gilt es den letzten Raum wirklich zu erfassen und alle Westevakuierten zur Heimkehr zu bewegen. Von den erfaßten Zimmern sind über 10 Prozent unmöbliert; sie werden mit dem Nötigsten ausgestattet werden.
Das Kernstück aller Hilfsmaßnahmen für notleitende Teile unserer Bevölkerung ist
das Fürsorgeamt.
Bei der großen Not in unserem Volke kommt diesem Amt allergrößte Bedeutung zu. Im November wurden fast 700 Haushaltungen unterstützt, das ist etwa ein Drittel der gesamten Stadt. Da zahlreiche weitere Haushaltungen sich mit Mühe aus eigenen Kräften über Wasser halten, kann man ersehen, welch furchtbares Ergebnis die Politik der letzten Jahre gebracht hat. Im November wurden 50 Rentner unterstützt, 190 sonstige Hilfsbedürftige, darunter der größere Teil solcher Frauen, deren Männer noch in Kriegsgefangenschaft sind; ferner 140 Ostumsiedler-Familien und 312 Westevakuierte, durch deren Heimkehr zwar eine spürbare Entlastung eintritt, die aber durch erwarteten Zustrom aus dem Osten mehr als ausgeglichen werden wird. Der monatliche Aufwand mußte im Oktober infolge Finanznot von Stadt und Kreis stark gesenkt werden; im Januar kamen zur Auszahlung 105.000 Mark, im März 130.000 Mark. Damals kam diese hohe Summe auch nur 700 Haushaltungen zugute; allerdings trieb damals der Staat eine ausgesprochene Katastrophenpolitik und zahlte unsinnige Familienunterstützungen, im Durchschnitt 200 Mark je Fall monatlich. Im November konnten für 700 Haushaltungen nur noch 29.000 Mark zur Verfügung gestellt werden, im Durchschnitt also 41 Mark. Heute merken wir, daß wir nicht einmal den Ärmsten der Gemeinde nachhaltig helfen können. Jeder wird aus diesen Zahlen ersehen, welche große Bedeutung der „Thüringen-Aktion gegen Not“ zukommt, die aus freiwilligen Spenden die Fürsorge des Wohlfahrtsamtes ergänzen muß. –
Um eine gerechte Verteilung der Fürsorgeleistungen zu sichern, wurde ein Ausschuß eingesetzt, dem folgende Vertreter unter Vorsitz des 1. Beigeordneten Gerau angehören: August Kahl (KPD.), August Schneider (Christl.), Wilh. Pohle (SPD.) und Karl Schüerholz (Dem.).
Schutz und Hilfe will der Bevölkerung
das Polizeiamt
bringen; es soll bei weitem nicht nur der verfolgende und rächende Arm der Behörde sein, sondern denen helfen, die den starken Schutz des Staates gegen alle brauchen, die den Frieden der Gemeinschaft stören. Die Polizeigewalt war mit dem Aufhören des Hitlerstaates völlig zusammengebrochen; lange Zeit mußte es auch bei uns ohne Polizei gehen, die langen Sperrstunden schützten im wesentlichen vor Übergriffen. Die Stadt richtete sich schon kurz vor der Besetzung durch die Amerikaner einen Bezirksordnerdienst ein, der gewisse Polizeibefugnisse übernahm, Bekanntgaben vermittelte und Erhebungen anstellte; die Ordner wurden fast täglich vom Bürgermeister unterrichtet und waren in schwerster Zeit eine Einrichtung, die sich bestens bewährt hat. Dann wuchs allmählich eine neue Polizei, die heute mit 15 Mann in einheitlicher Ausrüstung ein Abbild unserer wiedergewonnenen Ordnung ist. Ihre Bedeutung ist unermeßlich, ihr Aufgabenkreis besonders umfangreich, gilt es doch, in aufopfernder Kleinarbeit alles das zu tun, was die öffentliche Sicherheit fördert.
So wurden allein in den letzten Monaten 16 Diebstähle, 7 Betrugsfälle und 6 Unterschlagungen verfolgt und zu zwei Dritteln aufgeklärt. Tag und Nacht reißt hier der Faden von Ermittlungen, Hilfeersuchen, Aufträgen und Kontrollen nicht ab. Organisatorisch war die neue Polizei bis zum Oktober ein Teil der Kreispolizei; dieser untersteht sie auch heute noch, während sie personell ein Teil der Stadtverwaltung geworden ist. Zur Polizei gehört auch die Feuerwehr; sie wurde unter neuer Führung von Hauptbrandmeister Karl Müller neu organisiert und bildet heute mit etwa 70 Mann ein leistungsfähiges Instrument zur Bekämpfung von Katastrophen; auch das Gerät ist trotz vieler Schwierigkeiten in guter Verfassung.
Das Bauamt
ist im weitesten Umfang für das äußere Bild der Stadt und für die Inganghaltung des Tiefbaues verantwortlich.
Das Jahr 1945 hat dem Ortsbild schwer geschadet. Durch Bombenabwurf wurden am 23. Februar 26 Gebäude mit etwa 180 Wohnräumen völlig vernichtet, zahlreiche andere Häuser schwer getroffen; fast 100 Bombentrichter zerwühlten das Ortsviertel der Stadt. Dann kam der Artilleriebeschuß vom 7. April. Außer den Totalschäden wurden fast 500 Wohnräume so schwer getroffen, daß sie auf längere Zeit für Wohnzwecke nicht in Frage kommen; über 400 Schadenstellen wurden im Mai gezählt. Insgesamt fielen etwa 10 Prozent aller Wohnungen in der Stadt aus; eine ungeheure Raumnot war die Folge. Es war klar, dass dem Wiederaufbau das allergrößte Augenmerk zugewandt werden mußte. Der Handwerkerstand erwies sich als viel zu gering, um solche Schäden schnell zu beheben, an Material fehlte es allenthalben. Die Einrichtung einer genauen Planwirtschaft und die Einsatzbereitschaft aller Kreise hatte viele Schwierigkeiten überwinden lassen; 1946 wird aus dem Ertrag der vom Landrat ausgeschriebenen Opferbeiträge auch manches der völlig vernichteten Häuser wieder erstehen lassen. Die zerwühlten Gärten der Oststadt wurden größtenteils durch einen Arbeitseinsatz der ehemaligen Mitglieder der NSDAP eingeebnet; an 12 Wochenenden wurden 16.000 Arbeitsstunden geleistet. Zur Lenkung des Wiederaufbaues arbeitet unter Vorsitz des Bürgermeisters ein Wiederaufbauausschuss mit den Vertreter Ing. Huß (SPD.), Otto Lenz (Dem.), Willi Boxberger (KPD.) und Max Lang (Christl.).
Die Straßen der Stadt haben noch nie ein glänzendes Bild geboten; die Not der Finanzen drückte sich zuerst in den Straßendecken aus. Der Krieg hat erneut schwer geschadet. Dazu kommt, daß die Stadt ihren Bauhof an der Schäferei durch den Fliegerangriff fast völlig verlor und damit in der Zeit größter Materialknappheit vor einem Nichts stand. Nur dank des zähen Willens und der Einsatzbereitschaft der städtischen Arbeiter ist auch hier wieder eine Grundlage für den Wiederaufbau geschaffen worden. Die zerstörten Bürgersteige, die ungepflegten Anlagen, die Ufer der Wasserläufe harren noch der Wiederherstellung, sobald das erforderliche Material zur Verfügung steht. Ein kleiner Lichtblick ist die erwachende Straßenbeleuchtung; es brennen wieder 18 Lampen! Das ist zwar wenig gegenüber den 160 Laternen einer normalen Beleuchtung, soll aber auch ein Anfang zu besseren Zeiten sein.
Die Bevölkerung kann durch Sauberkeit und Beeinflussung der Kinder viel zur Verschönerung des Ortsbildes beitragen; es ist nicht nötig, daß die Anlagen in der wüstesten Weise zerstört werden, und daß an vielen Ecken der Flur Schuttplätze entstehen.
Die städtischen Betriebe
Das Wasserwerk
Ist gut erhalten geblieben; immerhin kostete es erhebliche Mühe, die beiden Pumpwerke in Gang zu bringen, da es zunächst keinen Strom gab. Um die kostbaren Anlagen in besonderer Pflege zu wissen, wurde das Werk im Herbst 1945 an die Gas- und Elektrizitätsversorgung angeschlossen. Das Rohrnetz ist teilweise stark reparaturbedürftig; die Schwierigkeiten wurden bestens gemeistert. Die Gesamtabgabe an Wasser erreichte auch im Sommerhalbjahr 1945 mit 100.000 Kubikmeter etwa die Höhe des Vorjahres. Die im Wasserpreis von 50 Pf. enthaltene Kanalabgabe von 20 Pf. mußte ab 1946 auf 45 Pf. erhöht werden, weil die Finanznot der Stadt neue Einnahmen erzwingt.
Strom
Vertreibt die Gesellschaft Werratal, an der die Stadt zur Hälfte beteiligt ist. Die Stromverteilungsanlagen haben durch Kriegseinwirkungen nur wenig gelitten; lediglich im Bombengebiet gab es Reparaturen. Als dann der Strom wieder geliefert werden konnte, lief die Abgabe sehr schnell gut an und ermöglichte auch dem Gewerbe, sich bald wieder zu betätigen. Jetzt muß bei längerer Nachtzeit die Stromabgabe eingeschränkt werden, weil ein überaus trockener Herbst die Wasserkräfte stark verminderte und die Kohlenzufuhr noch ungenügend ist. Man bedenke, daß Breitungen allein für unsere Stadt monatlich bei einer Abgabe von 100.000 Kwstd. etwa 10 Eisenbahnwagen Kohlen zur Erzeugung diese Elektrizitätsmenge benötigt, und man wird einsehen, wie nötig es ist, überall mit Strom zu sparen. – Trotz vieler Schwierigkeiten ist die Gaserzeugung aufgenommen worden. Die Anlagen sind wieder in guter Verfassung. Die Gasbehälter wurden am 8. April 1945 zerschossen.
Der Stadtforst
Mit 875 Hektar bildet heute einen ganz wesentlichen Rückhalt für die Brennstoffversorgung der Bevölkerung. Leider ist der Wald in vielen beständen nicht sehr ergiebig, während gute Waldungen 4 bis 6 Festmeter je Hektar und Jahr schlagen lassen, sind es bei uns nur 2 Festmeter, da der Boden kümmerlich ist und in früheren Jahrzehnten manche Fehler im Anbau gemacht wurden. Der normale Hiebsatz beträgt jährlich etwa 2.200 Festmeter; seit Jahren wird sehr viel mehr geschlagen, in manchem Wirtschaftsjahr das Doppelte. In diesem Sommer muß nun der Wald die Lücke schließen, die bei der Kohle vorliegt; das große Loch am Fürstenweg zeigt deutlich den Eingriff. Seit Frühjahr wurde die Bevölkerung bereitwilligst in der Selbstwerbung angesetzt, um der großen Not zu steuern; in sieben Monaten wurden über 5.000 Raummeter Brennholz aus dem Wald gewonnen. In normalen Friedensjahren fielen jährlich nur 400 Raummeter, und oft war diese geringe Menge nur mit Mühe an den Mann zu bringen. Trotz dieses enormen Vermögenseingriffs war natürlich der Brennstoffbedarf von 2.200 Haushaltungen noch nicht zu befriedigen. Es wurden daher von 16 Gemeinde- und Staatsforstbetrieben weitere 4.000 Raummeter beschafft, die z. Z. mit sehr viel Schwierigkeiten angefahren werden; leider verteuert der Antransport das Holz außerordentlich. Wer weiß, wie schwer das Einschlagen von zwei Raummetern ist, wird die Unsumme von Mühe und Fleiß bewerten können, die in der Bereitstellung solcher Mengen liegt. Für die Fleischereien, Gaststätten und Bäckereien, die einen wöchentlichen Bedarf von 100 Zentnern Briketts haben, hat eine Stockholzgewinnung begonnen. Dem Fuhrgewerbe, das das Holz aus dem Wald anfahren muß, fällt bei solchen Mengen eine sehr große Arbeit zu; wir haben nur 12 Fuhrleute die für solche Fuhren in Frage kommen. Man ersieht aus diesen Zahlen, daß Schimpfen allein das Problem nicht lösen kann.
Der Schlachthof
Ist eine etwas veraltete Anlage, die aber auch in diesem schweren Jahr die Arbeit meistern konnte. Der Schlachtbetrieb hat um ein Drittel gegenüber dem Vorjahr nachgelassen und sich vom Schwein und von den Kälbern auf Pferde, Schafe und Jungrinder verschoben. Es wurden geschlachtet:
Im November 1944 0 Pferde, 48 Kühe und Bullen, 21 Jungrinder, 117 Schweine, 7 Schafe, 110 Kälber;
Im November 1945 13 Pferde, 50 Kühe und Bullen, 31 Jungrinder, 39 Schweine, 24 Schafe, 40 Kälber.
1944 wurden hiervon zahlreiche Tiere für deutsches Militär, 1945 für die Besatzungsbehörde geschlachtet. Den 197 Schlachtungen im November 1945 stehen 429 Schlachtungen im Januar 1945 gegenüber. – Auf der Freibank kamen im November 17 Tiere zur Auswertung.
Das Schwimmbad
Konnte auch 1945 seine Pforten öffnen; während aber 1944 über 40.000 Einzelkarten verkauft wurden, waren es in diesem Jahr nur 12.000, allerdings war das Bad zeitweise gesperrt. Die Anlage hat in den zwölf Jahren ihres Bestehens in starkem Maße der Gesundheitspflege gedient; jeder hat daher Interesse daran, die Bauten zu schonen und die Kinder entsprechend anzuhalten. Von den 40.000 Besuchern waren 1944 10.00 Erwachsene, das übrige Kinder; 1945 sind bei 11.000 Kindern nur 1.000 Erwachsene.
Der Friedhof
Wurde im allgemeinen in gutem Zustand gehalten. Die im Kapitel Standesamt geschilderte Zunahme der Sterblichkeit läßt die Reihen schnell sich füllen. Seit 1927, dem Eröffnungsjahr des Krematoriums, teilte sich die Friedhofsbelegung in die Gräberviertel und die Urnenhaine. Etwa 40 Erdbestattungen und ebensoviel Einäscherungen fanden jährlich in der Vorkriegszeit statt; auch in den Kriegsjahren bis 1943 erhöhte sich die Gesamtziffer von etwa 80 nicht. 1944 sind es aber 140 Hiesige, die auf dem Friedhof die ewige Ruhe finden, und 1945 zählt das Totenbuch schon 327 Namen, darunter fast 120, die bei den Kriegshandlungen im Februar und April ums Leben kamen. Das Krematorium ruht infolge Koksmangels seit 17.11.1944; seit 1927 wurden 1.088 Einäscherungen vorgenommen.
Finanz- u. Steuerverwaltung
Wenn schon alle Ämter und Zweige in guter Ordnung sein müssen, so gilt dies in ganz besonderem Maße von der Finanzwirtschaft der Stadt als Grundlage aller Tätigkeit. Diese solide Grundlage war im Frühjahr überhaupt verlorengegangen. Erst allmählich, nach ein bis zwei Monaten, gelang es, einen Überblick zu bekommen, und sich wieder zurechtzufinden. Zunächst wurden Monatspläne, jetzt wieder Vierteljahres-Haushaltspläne aufgestellt, deren besonderes Kennzeichen ist, daß alle Zuschüsse vom Land und Reich wegfallen und die größten Steuern: Bürgersteuer und Gewerbesteuer, die jährlich 320.000 Mark brachten, uns entzogen sind. Es bleiben uns die Grundsteuer, mit vierteljährlich etwa 40.000 Mark nach der Erhöhung des Hebesatzes, die Vergnügungssteuer, von der wir im laufenden Vierteljahr 6.000 Mark erhofften, die aber in zwei Monaten schon 9.300 Mark brachte, und die Hundesteuer, deren Ertrag mit jährlich 2.000 Mark sehr gering ist; eine Erhöhung dieser Steuer wird erwogen. Mir den genannten Steuern allein auszukommen ist gänzlich unmöglich. Die Erhöhung der Kanalabgabe und des Lichtpreises war nicht zu umgehen. Wieweit diese neuen Einnahmen eine nur einigermaßen gesicherte Wirtschaft gewährleisten, muß erwartet werden; zur Zeit erfolgt der Ausgleich dadurch, daß alles, was nicht unbedingt sein muß, unterbleibt, selbst wenn das Bauwesen und die Vermögensbestände erneut stark vernachlässigt werden. Wir werden auf Schritt und Tritt merken, wie arm uns der Zusammenbruch gemacht hat.
Die frühere Schuldenlast von 1 ¼ Millionen Mark drückt uns z. Z. nicht, da der Schuldendienst ruht. Allerdings sind auch wesentliche Kapitalrücklagen eingefroren. Erhalten blieb das Grundvermögen, darunter etwa 100 Wohnungen. Der Hoch- und Tiefbau wird aber bei hohen Unterhaltungsrückständen wesentliche Zuschüsse fordern.
Trotz aller Gespanntheit in der Finanzlage muß dafür gesorgt werden, daß Klarheit und Ordnung herrschen. Der Steuerzahler darf die Überzeugung haben, daß mit seinen Leistungen in der sparsamsten Weise umgegangen wird.
Das Kulturleben
Wird an letzter Stelle genannt, nicht weil es für uns von geringer Bedeutung wäre; das würde mit unserer Tradition als Stadt der Schulen schlecht übereinstimmen. Vielmehr treten die Ausgaben hierfür zur Zeit etwas zurück.
Die höheren Schulen, die Berufsschule, zu denen die Stadt früher erhebliche Zuschüsse gab, müssen sich selbst tragen, lediglich die Volksschule gilt es zu finanzieren. Die Stadt tritt aber durch organisatorische Bereitwilligkeit dafür ein, daß uns die wertvollen Kulturinstitute erhalten bleiben. Im Rahmen dieser Darlegungen soll nicht näher darauf eingegangen werden, da es sich weniger um unmittelbare Arbeit der Stadtverwaltung handelt; ein späterer Bericht wird Mitteilungen bringen.
Unser aller Freude über das Wiedererstehen des alten Seminars in Form der Lehrerbildungsanstalt sei hier vermerkt; Stadt und Kreis tragen finanziell zu dieser so wichtigen Einrichtung bei.
Auch daß die Ingenieurschule nach jahrelanger Pause ihre Pforten wieder öffnete, ist für die Entwicklung der Stadt von großer Bedeutung.
Ein eigenes Kulturamt wurde nicht geschaffen, sondern eine Zusammenarbeit mit der rührigen alten Volkshochschule und dem Kulturbund sichergestellt, so daß keine Bedürfnisse unbefriedigt bleiben.
Unser Theater, die Stadtbücherei, die nach Sichtung hoffentlich bald ihre Tore öffnen kann, das Heimatmuseum, das allerdings durch Beschuß schwer gelitten hat, werden auch weiterhin die Grundlagen einer recht regen städtischen Kulturarbeit abgeben.
*
Aus allen Kapiteln dieses ersten Aufbauberichts spricht die ungeheure Not, die nach der Katastrophenpolitik der letzten Jahre über uns gekommen ist; aber es soll zugleich überall der Ansatz zum Anstieg vermerkt werden, der mit Unterstützung der russischen Militärregierung ermöglicht wurde. Ohne einen gesunden und verantwortungsbewußten Optimismus wird es nicht gehen; also bejahen wir das Leben und helfen wir, wo es nötig ist. So soll dieser Bericht zugleich Aufklärung bieten, damit das Volk wieder mit Interesse seine eigenen Aufgaben erfüllen kann. Demokratie heißt Mitarbeit und Mitverantwortung!
Anmerkungen:
Im Text wurde die Originalschreibweise verwendet.
Klammerbegriffe: Dem. = Christlich Demokratische Union [CDU], Dem. = Liberal-Demokratische Partei [LDP])