Texte „Dorfzeitung“
Dorfzeitung.
Sonnabend, den 2. Januar 1819
Ein Neujahrsbrief.
Es bleibt bei’m Alten, lieber Herr Schulz; Er und Seine Gemeinde schreiben die Dorfzeitung auch im neuen Jahre fort und ich, der Dorfzeitungsschreiber, lese sie und lasse Einiges davon drucken, gebe auch mitunter etwas von dem Meinigen, wenn’s nöthig ist, z. B. während der Schnitterndte. Ich kann’s Ihm und Seiner Gemeinde gerade nicht verdenken, wenn’s Euch Freude macht, daß Eure Waare, nämlich die Zeitung, Käufer gefunden hat; aber stolz braucht Ihr mir deswegen nicht zu werden. Auch dem ehrlichsten Kaufmann passirt’s, daß er einmal einige Bohnen schlechtern Kaffe unter den guten mischen muß, wenn er ihn los werden will. Braucht Euch deswegen auch gar nicht zu entschuldigen und etwa zu sagen, Ihr hättet das Beste noch für Euch behalten, und im nächsten Jahre würdet Ihr erst damit herausrücken.
Es ist doch nicht wahr. Sagt’s lieber gerade heraus, Ihr hättet’s leicht besser machen können, wenn Ihr’s hättet machen wollen wie die Schelmen; bekanntlich macht’s den Schelmen nicht viel Mühe, Besseres zu geben als sie selbst haben, weil sie es stehlen; Ihr aber hättet Euch kaum getraut, einmal etwas recht Gutes zu borgen; von den Welthändeln aber sey gar nichts von Euch; die mache Einer, der’s seit manchen tausend Jahren in der Übung habe und das Ding besser verstehe, als Ihr. Bei mir aber muß Er sich bedanken, wohlachtbarer Herr Schulz und College, daß ich, als ich in diesem Jahre zuerst (1818 Nr. 1.) an Ihn schrieb, ausdrücklich sagte: „vorausgesagt und versprochen wird nichts; wem die Zeitung nicht recht ist, der braucht sie nicht zu lesen.“ Da ist leicht Wort halten, wenn man nichts versprochen hat. Nur höflicher, wenn’s Ihm anders recht ist, wollen wir jetzt seyn, und lieber sagen: wem die Zeitung nicht recht ist, der mache sie besser, oder sage, was ihm nicht recht ist.
Die Dorfzeitung kostet 1819 nicht mehr als 1818, weil Seine Gemeinde ihre Schulden noch nicht ganz bezahlt hat; wer eine für seine Frau hält, bekommt sie wohlfeiler. Daß Er die Zeitung schreiben und auch bezahlen soll, braucht Er sich nicht wundern zu lassen. Bei einer lateinischen Zeitung, die in Jena verkauft wird, haben sie die gute Einrichtung lange schon gemacht, und es hat sich’s auch sonst mancher gescheidte Mann einen Thaler kosten lassen, sich gedruckt zu sehen.
Ich hab’ gehört, lieber Herr Schulz, Er hätte Bedenken wegen der Vettern u. dergl., die bös werden könnten, und fürchte sich, daß es ihm so gehe, wie jenem – ich denke es war ein Bader, der in einer großen Gesellschaft Einen auf die Füße getreten, und während er sich mit vielen Bücklingen vorn entschuldigte, hinten schon den Zweiten getreten hat und indem er sich auch da entschuldigt, den Dritten, und so fort. Ich denke, drum ist’s am besten, man geht ohne sonderliche Bücklinge gerade aus; wenn die Vettern keine Narren oder Schurken sind, werden sie immer bald wieder gut.
Er denkt vielleicht, weil’s morgen Neujahr und Er Schulz ist, so würde ich heute in zierlichen Versen Ihm und der Frau Schulzin und der ehrsamen Gemeinde Glück wünschen. Er ist mir auch aller Ehren werth, Herr Schulz, aber die Neujahrwünsche hat mir schon als kleinem Jungen ein Pfarrer verleidet, und heute am letzten Tage im Jahre habe ich Anderes zu thun als zu gratuliren. Da habe ich meine Rechnung abzuschließen mit dem alten Jahr, mit den Menschen und dem lieben Gott, und es macht mich immer gar wehmüthig, wenn ich sehe, wieviel die alle bei mir gut haben, zumal der liebe Gott, und höre ich dann neben mir vollends die leisen Töne einer Mutter:
„Mutter geht durch ihre Kammern,
Räumt die Schränke ein und aus,
Sucht und weiß nicht was mit Jammern,
Findet nichts als leeres Haus.
Leeres Haus, o Wort der Klage,
Dem, der einst ein holdes Kind
Drin gegängelt hat am Tage,
Drin gewiegt in Nächten lind.
Wieder grünen wohl die Buchen,
Wieder kommt der Sonne Licht,
Aber Mutter laß dein Suchen,
Wiederkommt dein Liebes nicht!“
da stehen dann Viele um mich herum, die ich doch vergeblich suche, und ich weiß, wem ich ein fröhliches, fröhliches Neujahr wünsche.
Nun leb’ Er wohl und grüße Er Seine Gemeinde.
Am letzten Tage des Jahres 1818.
Sein Freund
der Dorfzeitungsschreiber. [...]
Welthändel.
In dem Herzogthum Hildburghausen ist der erste Landtag, welcher nach der vor Kurzem der Landschaft gegebenen neuen Gestalt gehalten wird, nunmehr auf den 26. Januar ausgeschrieben worden.
Schon während des Congresses zu Aachen verbreitete sich das Gerücht, die von Sachsen abgerissenen Theile würden wieder an ihren angestammten König zurückfallen. Nachher wurde es wieder still davon. Jetzt besonders nach der Durchreise des Kaisers Alexander erneuert sich das Gerücht, daß wenigstens die Stifter und Thüringen wieder zu Sachsen kommen sollten.
In Rom sind Kanonen erfunden worden, die von hinten geladen werden, wodurch die Gefahr beim Laden, besonders auf Kriegsschiffen sehr vermindert wird. Es wundert mich, daß man die Erfindung nicht in Oberschnappel gemacht hat, wo man sonst alles von hinten anfängt.
Das herzogl. Amt Hildburghausen bemerkt, daß es in Nr. 52 d. DZ., Zeile 13, genauer hätte heißen müssen: „aus verschiedenen Dörfern des Herzogthums Hildburghausen,“ indem in dem Amte
Hildburgh. keine Gemeinde- und Kirchen-Rechnungen unerledigtseyen. Gern und der Wahrheit gemäß wird dieses hiermit angezeigt und berichtigt.
Der Dorfzeitungsschreiber.
Die Dorfzeitung auf das Jahr 1819 kann für die Hildburghausen nahe gelegenen Orte bei der unterzeichneten Buchhandlung, für entferntere bei jedem Postamte bestellt werden. Vierteljährliche Hefte werden auf Verlangen auch durch alle Buchhandlungen versendet. Der Preis ist vierteljährlich 30, auf feines weißes Papier 36 Kreuzer.
Kesselringische Hof-Buchhandlung in Hildburghausen.
Dorfzeitung. 1. Blatt. Sonnabend, den 2. Januar 1819. Hg. Karl
Ludwig Nonne u. a. Bd. 1. 1818, S. 1–4, hier S. 1–2; 4.
Nach der Verkündigung der Karlsbader Beschlüsse
(31. Oktober 1819)
Unter erheblichem Druck der beiden Großmächte Preußen und Österreich reagierte der „Deutsche Bund“ auf die Ermordung des Komödiendichters August von Kotzebue (vgl. Text 13 – 15)
mit den sog. „Karlsbader Beschlüssen“ (vom 20. September 1819). Sie richteten sich besonders gegen national-liberale Kräfte an den Universitäten (Überwachung von Professoren, Verbot studentischer Verbindungen u. a.) und jedwede Form der Pressefreiheit (Verschärfung von Zensurbestimmungen u. a.). Bis zum 31. Oktober 1819
akzeptierten auch alle thüringischen Bundesgebiete die „Karlsbader Beschlüsse“; eine „Demagogenverfolgung“ brach aus. Selbst harmloseste Druckerzeugnisse mit volksaufklärerischer Tendenz (vgl. Text 16 sowie Texte 23 – 26) wurden einer unbarmherzigen, teilweise ans Groteske grenzenden Zensur unterworfen; die politische Emanzipation des Bürgertums kam zum Stillstand. Baupläne des Weimarer Architekten Klemens Wenzeslaus Coudray (1775 – 1845) für einen Landtag mit Zuhörertribünen (vgl. Text 17) erledigten sich so von selbst.
Die Herausgeber der Dorfzeitung
Sonnabend, den 20. November 1819.
Die von der hohen Bundesversammlung für alle deutschen Staaten beschlossene, und in den meisten auch bereits eingeführte Censur über Bücher unter 20 Bogen und Zeitschriften wird von nun an auch bei der Dorfzeitung eintreten. Zum ersten Mal, seit das Fürstenthum Hildburghausen abgesondert besteht, ist hier eine gesetzlich angeordnete Censur, die, wenn sie nicht allgemein vorgeschrieben, bei uns unter einem freisinnigen und geliebten Fürsten wohl nie eingeführt worden wäre. Wir trauern, daß eine solche Maaßregel in Deutschland nöthig befunden wurde, aber wir vertrauen auch der Weisheit unserer Fürsten und ihrer Diener, daß sie für die gegenwärtige Zeit nothwendig war. Auf die Dorfzeitung hat die neue Maaßregel keinen wesentlichen Einfluß. Der Dorfzeitungsschreiber hatte bisher schon einen Censor, der strenger war als der strengste, – sein eignes Gewissen; mit diesem freilich nur strengen aber nicht ängstlichen Censor hat er sich bis jetzt ganz gut gestanden, so wird er ja mit einem andern, der auch seinen Censor in sich und über sich hat und ehrt, auch auskommen. Höchstens wird manches früher und in gewöhnlichen ruhigen Zeiten unbedenkliche und für eine Dorfzeitung gehörige Späßchen wegbleiben, weil’s jetzt gemißdeutet werden könnte. Aber es soll alles aufgehoben werden, und desto größer wird die Freude seyn, wenn einmal in bessern Zeiten alle die alten Scherze, wie die eingefrornen Töne in dem Waldhorn, aufthauen und nun auf einmal losbrechen. Einen solchen hat derjenige geneigte Leser, der das letzte Blatt (Nr. 46) nicht erhalten hat, jetzt schon gut; es ist ein alter wörtlich mitgetheilter und unschuldiger Schwank des nürnbergischen Meistersängers Hans Sachs, den man für zu vieldeutig hielt und mit Beschlag belegte. Da zeigte sich ja sogar die Wohlthätigkeit der Censur, die auch da, wo ein Vorsichtiger Mißdeutung gar nicht ahndete, darauf aufmerksam machen und davor sichern kann. Daran gedacht haben wir wohl auch, daß das Kürzeste, Sicherste und für uns auch das Bequemste und Liebste wäre, die Dorfzeitung ganz aufzugeben, aber dann ist uns wieder eingefallen, wie freundlich und geneigt viele von Euch, ihr Leser, waren und sind, und daß es sich wenig geziemt, sogleich auf den ersten Schuß das Gewehr wegzuwerfen und den Posten, auf den man gestellt ist, gerade in Zeiten der Gefahr feige zu verlassen, und so wollen wir denn, obwohl nicht ohne Besorgniß, wenigstens eine Zeitlang versuchen, ob wir ferner zusammen bleiben können.
Die Herausgeber der Dorfzeitung.
Dorfzeitung. Hg. Karl Ludwig Nonne u. a. 47. Blatt. Sonnabend,
den 20. November 1819, S. 187.