Hildburghausen Mitzenheim II
1945 – Zur Aufbauschule Hildburghausen
Der aus dem „Thüringer Hof“ in Hildburghausen stammende Lehrer, Lehrerbildner und Universitätsprofessor Paul Mitzenheim (* 1930) ist Autor der 1997 von dem Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Manfred Scheler (* 1926) herausgegebenen und von der „Südthüringer Rundschau“ verlegten Publikation „Schulstadt Hildburghausen – Ein Ausflug in die Schulgeschichte unserer näheren Heimat unter besonderer Berücksichtigung des Gymnasiums Georgianum“. Im Teil II der Schrift veröffentlicht er den fundierten Aufsatz „Aufbauschulen in Thüringen 1922 – 1946“ und bezieht besonders die Aufbauschule Hildburghausen ein. Professor Hermann Röder ist Leiter des Gymnasiums bzw. der Staatlichen Oberschule und der seit 1927 aufgebauten Aufbauschule gewesen. Die Aufbauschule befand sich im Gebäude des ehemaligen Lehrerseminars, der heutigen Staatlichen Regelschule „Joliot-Curie“. Aus dem Aufsatz wird nachfolgend zitiert (S. 53 ff.):
In Thüringen wollten die Naziführer durch eine straffe Schulaufsicht sicherstellen, dass die Mittel- und Höheren Schulen „wahrhafte nationalsozialistische Erziehungsstätten“ werden. Die Neuregelung der Schulaufsicht des Höheren Schulwesens ergab sich aus dem Schreiben des Thüringischen Ministers für Volksbildung Marschler vom 10.03.1938, das die „Einbeziehung bewährter nationalsozialistischer Kämpfer und Erzieher als persönlich Beauftragte“ des Thüringischen Ministerpräsidenten betraf. Zur Begründung seiner Maßnahme erklärte Marschler: „Um die Gewähr dafür zu haben, daß an den Thüringischen staatlichen und privaten Mittel- und höheren Schulen der nationalsozialistische Erziehungswille im rechten Geist in die Tat umgesetzt wird, habe ich mich entschlossen, vom 01. April 1938 an vier als nationalsozialistische Kämpfer und Erzieher bewährte Oberstudiendirektoren als meine persönlichen Beauftragten zur Unterstützung der oberen Schulbehörde bei der Schulaufsicht heranzuziehen.“ Die Dienstanweisung Marschlers für die vier Aufsichtsbezirke verlangte von den Oberstudiendirektoren Fritz Hille (Gotha), Dr. Hermann Köhler (Meiningen), Paul Bücking (Weimar) und Dr. Hans Karge (Gera) regelmäßige Schulbesuche, die Kontrolle der Lehrer, Anfertigung von Gutachten, Erstattung von Berichten.“
Der Direktor der Aufbauschule in Gotha, Staatsrat Fritz Hille, gehörte zu den bewährten Kämpfern für die braune Barbarei in Thüringen. Er war langjähriges Mitglied der NSDAP vor 1933 und schon 1932 von den Nazis als Landtagspräsident in eine exponierte Position gebracht worden. Er wollte vor allen Dingen seine Schule zu einer Musterschule umwandeln und verfasste dazu ein Dokument, in dem er auf 12 Seiten ausführlich und in Details „die neuen Wege, die die Aufbauschule geht und seit 5 Jahren ausprobiert hat“, festhielt. Für Hille ist die Erziehung zum Soldaten der Ausgangspunkt aller Erziehung. Die Brutalität der Jugenderziehung, die er für seinen Aufsichtsbezirk kategorisch forderte, können wir aus wenigen Sätzen entnehmen: „Die Aufbauschule scheut, wenn nötig, auch vor preußischem ‚Drill‘ nicht zurück, die Schüler sind ‚Rekruten‘ des Führers in des Wortes preußischer Bedeutung. Für den ‚hochbegabten Schwächling‘ ist genau so wenig Platz wie für den ‚dummen Angeber‘.“
Die politischen Aktivitäten von Fritz Hille und der anderen „alten Kämpfer“ der NSDAP trugen dazu bei, dass die Erziehung zur „Wehrhaftigkeit“ und die Vorbereitung der Schüler der Höheren Schulen auf den Krieg als maßgebend und die von Hille eingeleiteten Maßnahmen als Beispiel hingestellt wurden: Montagsappell, Aula-Stunde, Parole, Kernspruch, Wochenlied, Wochendienst, Klassenwochendienst, politische Bildertafel, äußerer Schulschmuck wie auch Skizzen der beruflichen und politischen Fähigkeit und Haltung jedes Lehrers. Dadurch wurden die Schüler in den „magischen Zirkel der Machtanbetung“ einbezogen. Dienstbereitschaft, Uneigennützigkeit, Idealismus (ohne Ideale) propagiert und in Anspruch genommen.
Der Unterricht an den Höheren Schulen in Thüringen wurde durch die Kriegsfolgen 1944/45 nur noch provisorisch und mit starken Einschränkungen abgehalten. Einen für die Zeit typischen Bericht schrieb der Direktor der Ober- und Aufbauschule Hildburghausen, Oberstudiendirektor Röder am 03.03.1945 an den Thüringischen Minister für Volksbildung. Der Unterricht konnte nur noch an einem Tag der Woche in meist schulfremden Räumen und mit Klassenstärken von teilweise über 60 – 80 Schülern abgehalten werden. Und gleichzeitig waren unter diesen Umständen sieben Lehrer entbehrlich.
Welche Folgen die Machtergreifung der Nazis für Erziehung und Unterricht tatsächlich hatten und wie diese sich in den zwölf Jahren von 1933 bis 1945 verändert haben, stellte Harald Scholz (1985) in einer „zusammenfassenden Geschichte der Erziehung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus“ dar. Für die Aufbauschulen in Thüringen scheint mir eine Passage besonders treffend zu sein:
„Von Anfang an hat die Hitlerbewegung ein Menschenbild propagiert, das den Menschen als leib-seelische Einheit interpretierte; ihre Polemik gegen den Intellektualismus in der Erziehung konnte der positiven Resonanz bei den ‚kulturkritisch‘ eingestellten Teilen der vermittelnden Intelligenz sicher sein. Doch Hitlers Technik der Collage fand auch gegenüber dem propagierten Menschenbild Anwendung. Kulturkritik und Reformpädagogik hatten psychische Gesundungsprozesse des frei entfalteten Individuums in einer neu zu konstituierenden Gemeinschaft zum Ziel. Einer solchen Identifizierung mit einem kulturellen Ideal wirkte jetzt die politisch begründete Forderung nach Disziplinierung und Härte und das Leitbild des ‚politischen Soldaten‘ entgegen.“ (Vgl. Scholz, Harald: Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz. – Göttingen 1985, S. 111).
Anmerkungen zu Fritz Hille: Er gehört zu den ersten Mitgliedern der NSDAP und gründet 1925 die Ortsgruppe Hildburghausen. Er ist ein fanatischer Einpeitscher der nationalsozialistischen Ideologie. Als Studienrat unterrichtet er an der Aufbauschule. Im Stadtrat Hildburghausen führt er die Fraktion der NSDAP.
Er ist 1932 – 1933 (bis zur Auflösung) Präsident des Thüringer Landtags (7. Wahlperiode, bis 14. Oktober 1933).
In der 2. Stadtratssitzung 1933 nach der Machtübernahme Hitlers gibt er die Erklärung ab, in der es heißt: „Nachdem die NSDAP den Staat restlos erobert hat und alle anderen Parteien beseitigt werden ... Deshalb muß jetzt überall klar die Durchführung unseres Führergedankens erfolgen und restlos alles beseitigt werden, was an das parlamentarische, liberalistische, demokratische System erinnert. Nirgends mehr finden Wahlen, Debatten und Abstimmungen statt. Weder in den noch vorhandenen Parlamenten noch in den Privatvereinen. Der Führer hört uns an, prüft und entscheidet. Hier im Stadtrat sind die Führer:
1. Der Fraktionsvorsitzende, 2. Der Gemeinderatsvorsitzende, 3. Der betreffende Ausschußvorsitzende. Im Ausschuß wird alles durchgesprochen und beraten und für das Plenum vorbereitet. Das Plenum wählt nicht mehr – das Plenum stimmt nicht mehr ab, sondern der Fraktionsvorsitzende sagt ja oder nein und fällt damit im Namen des Gemeinderats die letzte Entscheidung, die der Bürgermeister durchzuführen hat.“
Am 18.04.1933 schlägt er vor, auf einem Schulheftzettel notiert, dass Reichskanzler und Führer Adolf Hitler zu seinem Geburtstag am 20. April mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet wird. Er stellt auch den Antrag, Dr. jur. Wilhelm Frick (1877 – 1946), der am 16.10.1946 nach einem Urteil des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg als einer der Hauptkriegsverbrecher gehenkt wird, die gleiche Auszeichnung zuteil werden zu lassen. Bis 1931 ist er Staatsminister für Inneres und Volksbildung in Thüringen und damit erster NSDAP-Minister in der Weimarer Republik. Im Ersten Kabinett Hitlers wird er 1933 Reichsminister des Innern.
Auf sein eigenes Betreiben hin wird Fritz Hille am 11.11.1933 Ehrenbürger der Stadt Hildburghausen. Die Werra-Brücke in der heutigen Friedrich-Rückert-Straße (damals: Straße der SA) wird als Fritz-Hille-Brücke benannt. Auf Verfügung des Landrats beschließt der Finanz- und Verwaltungsausschuss am 25.10.1946, „den einzigen noch lebenden Ehrenbürger aus der Nazizeit, Fritz H i l l e von der Liste der Ehrenbürger zu streichen.“
Im Januar 1934 wird er Direktor der Aufbauschule in Gotha, die er zur nationalsozialistischen Musterschule entwickeln will.