Heldburg
v. Reinhold Albert, Sternberg
Das Heldburger Unterland und
seine Bemühungen,
zu Bayern zu kommen
Helmuth Steltzner, * 1897, gebürtig aus Frankfurt am Main, war ab 1915 als Dentist zunächst in Coburg und ab 1921 in Nordhausen/Harz. Ab 1925 betätigte er sich politisch bei den Jungdemokraten. Steltzner wurde ein bekannter Wahl- und Versammlungsredner gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Infolge Boykotts seiner Praxis übersiedelte er im Frühjahr 1930 nach Heldburg. Da er von der Unfähigkeit der politischen Parteien der Weimarer Republik überzeugt war, Adolf Hitler und die NSDAP in ihrem Machtstreben aufhalten zu können, enthielt sich Steltzner nunmehr der aktiven politischen Tätigkeit in einer Art „innerer Emigration“.
Heldburg konnte durch die mutige Handlungsweise einiger Männer und Frauen die letzten hundert Stunden bis zum Einmarsch der Amerikaner ohne Opfer in der Zivilbevölkerung überstehen. Prinz Georg von Sachsen-Meiningen hatte verabredungsgemäß einige Stunden vor der Ankunft der amerikanischen Truppen eine große weiße Fahne auf dem Turm der Veste Heldburg gehisst, die weit im Land sichtbar war und entscheidend dazu beitrug, dass großes Unheil abgewendet wurde. Weniger glimpflich kamen die benachbarten Städte Ummerstadt (die alte Bergkirche fiel den Angriffen zum Opfer), Rodach und Coburg davon.
Der Heldburger Zahnarzt Helmuth Steltzner wurde im April 1945 als kommissarischer Bürgermeister von Heldburg eingesetzt. Er trat für einen Anschluss des Heldburger Unterlandes an Bayern ein, zumal sich die Rote Armee im Oktober 1945 zurückzog und das Unterland quasi in die Zonenfreiheit entließ.
Sofort nach dem Einmarsch der US-Kampftruppen im Heldburger Unterland am 10. April 1945 wurde Steltzner von den Amerikanern als kommissarischer Bürgermeister von Heldburg eingesetzt. Etwa zehn Tage später fuhr er mit dem Fahrrad nach Coburg. Eine weiße Armbinde mit dem Dienstsiegel der Stadt Heldburg und „ok-Ausweisen“ der amerikanischen Kommandantur Heldburg ließen ihn die zahlreichen Straßensperren passieren. In Coburg sprach er mit Landrat Bauer und dessen Vertreter Eduard Schmidt insbesondere über das ihm am Herzen liegende Thema des Anschlusses des Heldburger Unterlandes an Bayern. Steltzner intensivierte seine Bemühungen insbesondere nach der am 8. Mai 1945 erfolgten Kapitulation der Deutschen Wehrmacht.
Wie ein starkes Erdbeben erschütterte Ende Juni 1945 Südthüringen und damit den Bezirk Heldburg die Nachricht über die Besetzung von Sachsen-Anhalt, Teilen des Landes Sachsen und von ganz Thüringen durch sowjetische Truppen, was die Einbeziehung auch des Heldburger Unterlandes in die russische Besatzungszone bedeutete. Die Amerikaner gaben das von ihnen besetzte Gebiet bis zur Grenze Landesgrenze Bayerns frei – eine Tatsache, die nahezu von allen als großes Unglück empfunden wurde.
Die ersten glaubwürdigen Nachrichten über den Rückzug der Amerikaner und das Nachrücken der Russen erfuhr man aus Coburg. Die Amerikaner holten gelagerte Rohstoffe in Millionenwerten aus Weimar und Erfurt zurück. Stets gut informiert war der mit seiner Familie auf der Veste Heldburg wohnende Prinz Georg von Meiningen, im Zivilberuf Amtsgerichtsrat in Römhild und Heldburg, der Steltzners Pläne unterstützte. Der Prinz besaß einen erstklassigen Radioapparat und hatte auf der Burghöhe einen ungewöhnlich guten und weitreichenden Empfang von Nachrichten aus dem Ausland.
Mit konkreten Nachrichten kam Helmuth Steltzner nun nach Coburg zu Landrat Bauer. Er unterrichtete ihn, dass er zusammen mit Prinz Georg nach München fahren wolle, um mit Hilfe hochgestellter, einflussreicher Persönlichkeiten in der bayerischen Landeshauptstadt dem amerikanischen Hauptquartier den Vorschlag zur sofortigen Ausklammerung des sackartigen Grenzgebietes Heldburg aus der Sowjetischen Besatzungszone zu unterbreiten.
Die Fahrt musste aber zunächst verschoben werden, da die Rote Armee am Montag, 5. Juli 1945, das Unterland besetzte und Steltzner mit seiner Anwesenheit verhindern wollte, dass ein nach seinen Worten „dubioser Altkommunist“, der zudem bereits bei den Nazis einmal Bürgermeister in Heldburg werden wollte, zum neuen Bürgermeister ernannt werde.
In den Mittagsstunden des genannten Tages kamen größere Militärlastwagen und Jeeps mit russischen Offizieren und Mannschaften auf dem Heldburger Marktplatz an. Quartiere für die Unterbringung der Truppen wurden beschlagnahmt. Es folgten weitere Last-, Mannschafts- und Materialwagen, ferner über hundert der kleinen offenen Wägelchen mit doppelter Bespannung von überaus flinken und genügsamen Panjepferden, die Grenzbewachungssoldaten in die unmittelbaren Grenzdörfer brachten.
Im Gegensatz zu den Amerikanern suchten Offiziere und Mannschaften der sowjetrussischen Soldateska sofort Kontakt zu allen Bevölkerungsschichten. Und so schwanden Angst und Scheu vor ihnen überraschend schnell. Bald blühte ein lebhafter Tauschhandel mit der Bevölkerung, wobei sich die Russen trotz Sprach- und Leseschwierigkeiten immer freundlich gaben. Nur im Dienst waren sie unerbittlich hart und unberechenbar. An allen Ortsausgängen wurden bewachte Schlagbäume errichtet. Die Straßen, wie auch Waldwege und Schneisen an der Demarkationslinie, erhielten festgefügte Baumstamm-Sperren. Da die Grenze inmitten des weiten Ummerstädter Waldes verläuft und hier der Grenzverlauf sehr schwer erkennbar war, hatte sich eine russische Grenzwache einmal fast fünf Kilometer auf bayerisches Gebiet verirrt und war bis nach Gersbach bei Weitramsdorf gekommen. Das Gebiet blieb einige Wochen von ihnen besetzt. Dann „regulierten“ robuste amerikanische Grenzsoldaten diese Grenzverletzung, wobei es viele Drohungen auf beiden Seiten der „Waffenbrüder“ gab.
Helmuth Steltzner begab sich viele Male auf Waldwegen nach Rodach und Coburg, um dort über die Lage im Heldburger Bezirk und Kreis Hildburghausen zu berichten. Einmal gelang es ihm sogar, einen russischen Offizier, der sein Patient war, zu überreden, mit ihm im Kraftwagen illegal nach Coburg zu fahren. Es war eine Sensation, als er mit dem russischen Offizier auf dem Coburger Schlossplatz erschien. Im Raum Coburg waren ja immer wieder Gerüchte laut geworden, dass womöglich auch die Russen dieses Gebiet besetzten, da es bis 1919 thüringisches Gebiet war.
Die Bevölkerung des Heldburger Unterlands hatte sich bald den neuen Gegebenheiten angepasst und wusste sie auch zu nutzen. Mit der Wiederinbetriebnahme der Schmalspurbahn von Hildburghausen nach Lindenau/Friedrichshall setzten bald ein starker illegaler Grenzverkehr und Flüchtlings-Grenzübertritte ein. Bei den Beteiligten handelte es sich meist um politisch Verfolgte, um Wehrmachtsoffiziere und -mannschaften mit und ohne Familienangehörige, die in größter Not waren; manche führten einige Habe bei sich. Viele übernachteten in Heldburg oder in unmittelbaren Grenzorten, um dann unter geländekundiger Führung beim Morgengrauen die rettende bayerische Grenze zu erreichen. Nicht jeder dieser Flüchtlinge entging der Verhaftung, die für manchen eine Tragödie bedeutete.
Die Russen verließen das Heldburger Unterland
Im Oktober 1945 trat für den Bezirk Heldburg eine große Wende ein, die einmalig in der Sowjetischen Besatzungszone war und deren Gründe und Auswirkungen völlig undurchsichtig blieben und bleiben - ab dem 6. Oktober brachten die Grenztruppen im Bezirk Heldburg – und nur in ihm – ihre immer sauber gehaltenen militärischen und Verwaltungsunterkünfte auf Hochglanz, wobei sogar einzelne Zimmer frisch getüncht wurden. Man glaubte bei der Grenztruppe sowohl an eine Inspektion von hohen Offizieren, als auch an eine Ablösung durch eine andere Einheit. Am 10. Oktober kamen große russische Lastwagen an. In allen Grenzorten und in der Heldburger Kommandantur wurden alle militärischen Utensilien verladen. Die Offiziere und Mannschaften fuhren anschließend in Richtung Hildburghausen davon.
Das Ganze war für den Heldburger Bezirk urplötzlich eingetreten, was angesichts der Ungewissheit über die russischen Absichten wildesten Gerüchten Tür und Tor öffnete. Erst als am Abend der Kleinbahnzug aus Hildburghausen in Heldburg eingetroffen war, brachten Augenzeugen authentische Nachrichten mit.
Diese besagten, ab sofort ist die sowjetrussische Grenzüberwachung von der fast 90 km langen Demarkationslinie des Heldburger Bezirks auf die engste, neun Kilometer lange Linie unterhalb von Streufdorf zurück gezogen worden. Die Grenzkontrolle finde nur noch durch fahrende oder reitende Truppenteile statt. Das Gebiet Heldburg ist aber nach wie vor der russischen Kommandantur Hildburghausen unterstellt, und die Stadt- und Gemeindeverwaltungen, auch die Polizei unterstehen dem Landratsamt Hildburghausen.
Auf diese Linie (mit Kugelschreiber eingezeichnet) zog sich die Rote Armee im Oktober 1945 zurück.
Von der Straßenabzweigung südlich von Streufdorf nach Heldburg und Westhausen, wo neben der Landstraße auch die Bahnstrecke verlief, war ein Grenzkontrollpunkt für Personen-, Wagen- und Eisenbahnverkehr eingerichtet. Die Einreise in das Heldburger Gebiet war für dort nicht wohnhafte Personen nur mit befristeten Sonderausweisen der Militärkommandantur Hildburghausen auf schriftlich begründeten Antrag hin möglich. Deutsche Dienststellen durften keine Besuchserlaubnis ausstellen. Der im Bezirk Heldburg sesshaften Bevölkerung wurden ab sofort Sonderausweise mit Bild und amtlichen Kennzeichen ausgestellt, damit sie jederzeit ohne Antrag aus dem Gebiet ausreisen und wieder einreisen konnten. Die „Passierschein“ waren sowohl in russischer als auch in deutscher Sprache abgefasst. Deren Inhalt lautete: „Der/die deutsche Staatsangehörige NN, wohnhaft in ..., Kreis Hildburghausen, hat das Recht, die neutrale Zone im Kreis Hildburghausen und zurück zu betreten zur Ausführung von dienstlichen (landwirtschaftlichen) Arbeiten. Datum, Militärkommandant Kreis Hildburghausen, Oberstleutnant Nikonow, Dienstsiegel.“
Diese Passierscheine mussten die Bewohner des Heldburger Unterlandes ab Oktober 1945 mit sich führen, wenn sie z. B. von ihrer Kreisstadt Hildburghausen kommend, in ihre Heimatdörfer, bzw. -städte zurückkehren wollten. In Russisch und Deutsch ist vermerkt, dass sie das Recht haben, die neutrale Zone im Kreis und zurück betreten zu dürfen.
Das Überschreiten der jetzt nahezu unbewachten Demarkationslinie des Heldburger Bezirks war aber nach wie vor bei Strafe verboten. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Nachricht im Bezirk, zumal nahezu hundert Einwohner aus fast allen Dörfern mit Rädern gekommen waren, um bei der Ankunft des abendlichen Zuges die aufklärenden Nachrichten zu hören. Am Tag darauf kamen fast alle Bürgermeister der 19 Ortschaften des Unterlandes nach Heldburg, um sich Auskunft zu holen, ging es doch um die Freigabe der beschlagnahmten Wohnungen, Gehöfte und Truppenplätze.
Fast ungläubig stand man vor der neuen Situation, und überall feierte man das Ereignis als „den Tag der Befreiung“! Viele Bewohner des Bezirks besuchten sofort ihre Verwandten in den nahen bayerischen Grenzorten. Andere aber, die sich in Gefahr fühlten oder nicht unter dem sowjetrussischen Regime leben wollten, zogen mit ihrem Hausrat und anderer beweglicher Habe nach Bayern oder in entferntere westdeutsche Gebiete. Die wenigen deutschen Polizeikräfte waren ja zur Ausübung der Grenzkontrolle viel zu gering an Zahl; von russischen Soldaten aber war so gut wie nichts mehr zu hören und zu sehen.
Tags darauf, am 13. Oktober 1945, war Helmuth Steltzner schon frühzeitig nach Coburg gekommen, um im Landratsamt Bericht über die völlig neue Lage im Bezirk Heldburg zu geben und weitere gemeinsame Maßnahmen zu besprechen. Das Landratsamt informierte die amerikanische Militärregierung.
Als entscheidend sah man die Tatsache an, dass die Räumung des Heldburger Gebietes auf Befehl der russischen Grenzarmee erfolgt war. Diese Art einer Ausklammerung betraf eine Bevölkerung, die nunmehr aus lebensnotwendigen Gründen den Anschluss an das Land Bayern anstreben musste. Auf keinen Fall aber konnte diese Einstellung als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der russischen Besatzungsmacht oder gegen das neue deutsche Verwaltungssystem betrachtet werden, erinnern sich Zeitzeugen. Mitte Oktober 1945 standen die vier Siegermächte noch in einem verständlichen Erfolgsrausch und waren untereinander von einer gewissen Konzilianz, zumindest was die höheren Stellen anging. So bestanden also begründete Aussichten für eine Realisierung des Wunsches der Bevölkerung des Heldburger Unterlandes, zu Bayern zu kommen.
Die Fahrt nach München
Nun holte Helmuth Steltzner seine Fahrt nach München nach. Es fand ein Gespräch mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Wilhelm Hoegner statt. Dieser war nach Kenntnis der eingetretenen Tatsachen sofort bereit, auch von sich aus die Absichten zur Angliederung des Bezirkes Heldburg an das Land Bayern tatkräftig zu unterstützen. Bei der vierzehn Tage später erfolgten zweiten Unterredung teilte Dr. Hoegner Steltzner mit, dass man a) die amerikanische Militärregierung informiert, b) an die thüringische Landesregierung geschrieben und c) er verfügt habe, dass bei einer Genehmigung des Anschlusses an Bayern der Heldburger Bezirk dem Kreis Coburg zugeteilt würde.
Im Heldburger Unterland hatte sich nach dem Abzug der Besatzungstruppen das Leben weiterhin normalisiert. Man wusste den „zonenfreien Zustand“ zu nutzen und erhoffte sich die baldige Erfüllung des Anschlusses. Helmuth Steltzner legte Ende Oktober 1945 sein Bürgermeisteramt in Heldburg nieder, da er sich wieder mehr seiner beruflichen Existenz in Heldburg widmen wollte. Bei dieser Entscheidung aber war für ihn von besonderer Bedeutung, dass er sich ohne Loyalitätserklärung gegenüber dem Hildburghäuser Landrat ganz seinen Bemühungen um den Anschluss des Bezirks Heldburg an Bayern bemühen konnte.
Nach einem gewissen Druck auf den Landrat durch die russische Kommandantur wurde der Heldburger Altkommunist Ernst Schmidt Steltzners Nachfolger. Schmidt vertrat eine überaus praktikable soziale Auffassung, so Steltzner in seinen Erinnerungen. Weniger lobend äußerte er sich jedoch über Schmidts Stellvertreter, den 2. Vorsitzenden der Heldburger KPD, der unter den Nazis 1938 schon einmal Bürgermeister von Heldburg werden wollte.
Helmuth Steltzners außerberufliche Arbeit galt jetzt außerdem dem Aufbau der FDP im Coburger Gebiet, die kurz zuvor mit seiner Hilfe gegründet worden war. Er trat dort mehrfach bei bedeutenden Veranstaltungen ohne Nennung seines Wohnortes als Redner auf.
Steltzner schrieb: „Obwohl die nichtsozialistische LDP unentwegt als krasser Gegner der Werktätigen diffamiert und bekämpft wurde, war deren erfolgreiche politische Arbeit besonders in der Stadt Heldburg spürbar. Als liberale Partei hatte sich die LDP bewusst von der einseitigen und brutal durchgeführten Bodenreform völlig distanziert, die auf Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht mit dem 12.9.1945 auch für das Land Thüringen durchgeführt werden musste. Das hinderte die KPD-Spitze nicht, jede negative Äußerung aus der Bevölkerung der GPU (dem sowjetischen Geheimdienst) zu hinterbringen, wobei es jedesmal hieß, der Steltzner mit seiner LDP steckt dahinter. Nachdem sich die Heldburger KPD-Spitzenfunktionäre auch ohne landwirtschaftlichen Besitz einige „fette Brocken abgezweigt“ hatten, wurde die Bodenreform mit einer „Verteilung“ durchgeführt, die auch mit dem Anmeldeformular zur KPD und SPD – später SED – gekoppelt war. Das Gut Neuhof und das der Familie Sperle gehörende Gut Einöd auf Heldburger Flur wurden aufgeteilt, ebenso das Waldgebiet und die Heldburger Veste, die zum Besitz des Prinzen von Meiningen gehörten. Wie großzügig man bei der Verteilung verfuhr, zeigte sich im Nachbarort Holzhausen, wo man auf den Befehl zur Bodenreform hin sogar den Staatswald verteilte, den man auf die Klage des Landwirtschaftsamtes Hildburghausen (Dr. Karl Hamann, Mönchshof, und dessen Leiter Woldemar Chilian, einem gebürtigen Ummerstädter – beide LDP-Mitglieder) wieder herausgeben musste.“
Steltzners erste Verhaftung
Nun wurde Helmuth Steltzner erstmals verhaftet und in Hildburghausen eingesperrt. Da er aber mit dem dortigen Polizeichef und dem Referenten des Landrats gut bekannt war, wurde er nach drei Tagen wieder frei gelassen. Der Heldburger Bürgermeister und sein Stellvertreter erhielten die Aufforderung, künftig derartige Anzeigen zu unterlassen.
Am 20. Dezember 1945 rief der kommunistisch gelenkte Beirat der Stadt Heldburg eine öffentliche Versammlung ein, in der gegen die „Verschacherungsabsicht des Bezirks Heldburg“ an Coburg protestiert werden sollte. Steltzner erinnerte sich: „Auffallend war, dass weder der politische Offizier noch GPU/NKWD-Offiziere sich einschalteten, obwohl ich sie von Beginn der Räumung des Bezirkes Heldburg über meine Bemühungen informiert hatte, die prekäre wirtschaftliche Lage durch einen Anschluss an das Land Bayern zu ändern.“
Die „besatzungsfreie Zeit“ für den Bezirk spielte sich trotz vieler Behinderungen zum Kreis Hildburghausen immer besser ein, da der „Auslauf nach Bayern“ für beide Teile vorteilhaft war. Die Grenzkontrolle bei Streufdorf für den Übergangsverkehr pendelte sich auf der Landstraße wie bei der Eisenbahnkontrolle ohne größere Widerstände ein. Der Riether Pfarrer Michael Ackner schrieb über diese Zeit nieder: „ ... Trotzdem waren wir froh, als die ganze Schar Russen einmal unversehens in aller Morgenfrühe aufbrach. Seither sind wir im Heldburger Zipfel sozusagen Niemandsland, wohl unter russischer Oberhoheit, aber es ist keine Besatzung da. Patrouillen kommen ab und zu. Wir empfinden das als eine große Erleichterung, wenn wir andererseits auch wieder durch die Sperre bei Streufdorf von dem übrigen Thüringen abgeschnitten sind und noch Scherereien mit den Übertrittscheinen haben. Die Menschen aus dem Osten sind unberechenbar, und Anordnungen ändern sich fortwährend und oft ganz plötzlich, dass man auf einmal in die größte Verlegenheit geraten kann. So war mir unlängst am Schlagbaum in Streufdorf folgendes passiert: Ich war bei einer Pastoralkonferenz in Hildburghausen, anstandslos dorthin gelangt. Bei Heimkehr hieß es plötzlich, seit zehn Minuten sind die öfters verlängerten Ausweise ungültig. Wir können nicht zurück. Anderthalb Stunden wurden wir schikaniert, im Ungewissen gehalten, natürlich waren wir aus dem Autobus ausgestiegen. Mein kleiner sechsjähriger Junge weinte, der russische Soldat tröstete ihn. Vielleicht hat uns das gerettet, denn plötzlich machte der Posten eine großartige Gebärde der Wurstigkeit und Uninteressiertheit und hieß uns alle über den Schlagbaum laufen, aber rasch: Gnade vor Recht.“ So weit der 1946 niedergeschriebene Zeitzeugenbericht des Riether Pfarrers.
Der Güterverkehr ins Unterland hatte rapide zugenommen, da man mit seiner Hilfe Waren und Hausrat aller Art an die Grenzorte bringen konnte, von wo sie dann „rüber geschafft“ wurden, was auch für die umgekehrte Richtung galt. Die vorgesehenen Besuchsregelungen wusste man zu erweitern, wenn viele Flüchtlinge auch den Umgehungswegen im Straufhain-Bergwald oder den Waldwegen bei Westhausen den Vorzug gaben. Bäuerliche Betriebe benutzten Grenzübertritte nach Bayern zur Beschaffung von Maschinenersatzteilen und Mangelwaren, wie Bindegarn und Nägeln aller Art, wie auch von Saatgut. Es wurde sogar Viehhandel betrieben. Dabei stand selbstverständlich das Tauschgeschäft im Vordergrund.
Die Grenze zwischen der russischen und amerikanischen Zone, wurde auf westdeutscher Seite von deutschen Grenzbeamten im Auftrag des US-Besatzungsarmy bewacht. Das widerrechtliche Überschreiten der Demarkationslinie war trotz allem eine nicht ungefährliche Angelegenheit. So wurde der Landwirt Edwin Schild aus Westhausen in der Nacht des 29. März 1947 an der Weinstraße zwischen Ermershausen und Schweickershausen von einem deutschen Grenzbeamten im Dienste der amerikanischen Militärregierung erschossen, als er mit einem in Hofheim in Unterfranken gekauften Pferd die Grenze überschreiten wollte.
Karfreitag 1946 – der „Schwarze Freitag“ für das Unterland
Auch im Jahre 1946 weilte Helmuth Steltzner mehrfach in Coburg, um Auskünfte über die Anschlussmöglichkeiten zu erhalten. Doch der Briefwechsel zwischen Bayern und Thüringen stagnierte; man erwog in München den Tausch von Waldgebieten mit Schieferbrüchen, die im Grenzgebiet lagen.
Der Karfreitag 1946 wurde zum wahrhaft „schwarzen Freitag“ für den Bezirk Heldburg, da auf Befehl der Kommandantur Weimar die gesamte Kleinbahnstrecke von Hildburghausen bis Lindenau/Friedrichshall abgebaut werden musste. Die Bevölkerung sah darin einen weiteren Beweis für das Desinteresse der russischen Verwaltung am Heldburger Gebiet. Damit setzten wieder größere Hoffnungen zu einer endgültigen Angliederung an Bayern ein, die auch in Coburg geteilt wurden. Ab Mai 1946 war Helmuth Steltzner bei seinen Besuchen in Coburg zu größerer Vorsicht gezwungen, da er von der amerikanischen Militärregierung ein Redeverbot bei öffentlichen Versammlungen erhalten hatte und mit seiner Festnahme rechnen musste.
Bei Spaziergängen im Hainwald hinter der Veste Heldburg kam Steltzner öfters an die Gaststätte „Jägersruh“, die einen Kilometer von der Zonengrenze entfernt im Rodacher Wald lag. Dort nahm er insbesondere telefonisch Kontakt mit dem Bamberger Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. Thomas Dehler auf, dem maßgeblichen FDP-Vorstandsmitglied in Bayern. Dehler (1897 – 1967), gebürtiger Lichtenfelser, war von 1949 bis 1953 Bundesminister der Justiz und von 1954 bis 1957 FDP-Bundesvorsitzender. Bei den Gesprächen mit Dr. Dehler erfuhr Steltzner auch immer etwas über den zu seinem großen Bedauern verschwommenen Stand der Anschlussverhandlungen.
Steltzners dritte Verhaftung
Als Steltzner Mitte Mai 1946, aus Coburg zurückkommend, einem Holzhäuser von seinen Verhandlungen im Western berichtete, sorgten die Heldburger Stadtoberen für seine weitere Verhaftung. Der Hildburghäuser Landrat Lorz warf dem Heldburger Zahnarzt vor, er trage große Unruhe in die Bevölkerung des Unterlands. Erneut konnte der Verhaftete den Landrat von seinen lauteren Absichten überzeugen und das Kesseltreiben der Heldburger Genossen brandmarken. Lorz zeigte Verständnis für Steltzners Bestrebungen und ließ ihn mit seinem Dienstwagen zurück nach Heldburg bringen, was in dem Städtchen für allerhand Aufregung sorgte.
Die Gemeindewahlen im September 1946 endeten mit einem blamablen Ergebnis der Heldburger SED – hatte sie doch weniger Stimmen erhalten als sie Mitglieder besaß. Ohne Zweifel war diese Abstimmung auch als Zustimmung der Bevölkerung des ganzen Heldburger Bezirks für einen Anschluss an Bayern zu werten. Diese Meinung vertrat übrigens sogar der politische Offizier der sowjetischen Besatzungstruppen in Hildburghausen gegenüber Helmuth Steltzner.
Der Heldburger LDP stellte nach dieser Gemeindewahl den neuen Bürgermeister (Wilhelm Bauer II), der später für ein Jahr auch stellvertretender Landrat war. Sein Nachfolger wurde Franz Westphal (LDP), Helmuth Steltzner wurde Vorsitzender des Stadtrats Heldburg. Dies blieb er bis zu seiner Flucht aus der DDR 1950. Steltzners Intimfeind, der stellvertretende SED-Vorsitzende, wurde nun nicht einmal mehr in den Stadtrat gewählt.
Bei den Landtagswahlen in der SBZ am 20.10.1946 wurde die LDP zudem zweitstärkste Partei. Sie stellte im Heldburger Bezirk vier, die CDU ein Kreistagsmitglied, die SED ging leer aus. In den thüringischen Landtag wurden schließlich aus dem Landkreis Hildburghausen Helmuth Steltzner und Dr. Karl Hamann vom Gut Mönchshof (beide LDP) sowie Landrat Lorz (SED) entsandt.
Hamann (1903 – 1973) hatte nach Kriegsende das Landwirtschaftsamt im Kreis Hildburghausen übernommen. 1949 wurde er mit Dr. Kastner zum Parteivorsitzenden der LDP berufen und Minister für Handel und Versorgung der DDR. Dies blieb er bis zu seiner Verhaftung durch das Ulbricht-Regime am 9.12.1952. Ihm wurden „Wirtschaftsverbrechen“ und „feindliche Agentenarbeit“ vorgeworfen. Dr. Hamann wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt, die später auf zehn Jahre reduziert wurde. Nach vierjähriger Einzelhaft wurde er nach internationalen Protesten, besonders des FDP-Vorsitzenden und Justizministers der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Thomas Dehler, freigelassen und übersiedelte im Oktober 1956 in die Bundesrepublik. Im August 1991 wurde Dr. Karl Hamann vom Landgericht in Berlin rehabilitiert. Die FDP Brandeburgs richtete mittlerweile eine Dr.-Karl-Hamann-Stiftung ein.
Einige Monate nach den Wahlen besuchte ein hoher Offizier der sowjetischen Besatzungsmacht Zahnarzt Helmuth Steltzner in Heldburg. Er forderte ihn nach einer längeren Unterhaltung höflich aber bestimmt auf, seine unerlaubten Grenzübertritte nach Bayern künftig dringend zu unterlassen. Im Verlauf des Gesprächs bescheinigte der Offizier Steltzner, dass sein politische Tätigkeit in Coburg geduldet worden sei, weil diese vorbildlich für eine politische Mitarbeit gewesen sei. Diese Aufgabe sei aber nun erfüllt. Dem Heldburger Zahnarzt wurde zudem hoch angerechnet, dass er sich stets loyal und fair gegenüber der sowjetischen Besatzungsarmee verhielt.
Helmuth Steltzner (rechts) flüchtete zusammen mit seiner Familie 1950 in den Westen, nachdem er von den neuen sozialistischen Machthabern mehrfach verhaftet worden war. Der Bamberger Oberlandesgerichtspräsident Dr. Thomas Dehler (links im Bild), von 1949 bis 1953 Bundesminister der Justiz und von 1954 bis 1957 FDP-Bundesvorsitzender, informierte ihn stets über den zu seinem großen Bedauern verschwommenen Stand der Anschlussverhandlungen des Heldburger Unterlandes zu Bayern.
Der Thüringer Landtag wie der Hildburghäuser Kreistag begannen nun mit der Neuordnung des Landes auf parlamentarischer Grundlage. Steltzner gehörte im Landtag sowohl dem Neubürger- (so wurden in der SBZ die Vertriebenen genannt) wie dem Strafvollzugsausschuss an, später noch dem Polizeiausschuss, was die neue Vopo-Grenzpolizei bei ihren Übergriffen gegenüber Bewohnern in den Grenzorten des Heldburger Bezirks zu spüren bekam.
Die Währungsreform brachte das Ende der Bemühungen
Mit der Währungsreform im Juni 1948 kam die West-, wie die Ost-Mark. Mit dem Ende der Reichsmark fand auch die „grenzenlose“ Zeit für das Heldburger Gebiet nach knapp dreijähriger „besatzungsfreier Zeit“ ebenso ihr Ende wie die so hoffnungsvoll begonnenen Möglichkeiten für einen Anschluss an das Land Bayern. Kaum war die westdeutsche Währungsreform Realität, wurden die bayerischen Grenzen zur SBZ schärfer als je zuvor bewacht und bald durch Zollbeamte verstärkt. Sofort wurden nun an die Grenze im Heldburger Unterland Volkspolizisten versetzt, die ursprünglich in den sächsischen Grenzgebieten zur Tschechoslowakei stationiert waren. Die Grenzbewachung wurde zwar human gehandhabt, aber man war nun wieder eingesperrt.
Als nach einigen Monaten die inzwischen ausgebildete thüringische Grenz-Volkspolizei mit dem Hauptkommando im ehemaligen Heldburger Amtsgerichtsgefängnis die Grenzbewachung übernommen hatte, führte sie ihren Dienst mit einer Härte durch, die jene der Russen brutal übertraf, erinnerte sich Steltzner. Frauen mit Kindern, die zu Besuch bei bayerischen Verwandten waren, wurde von den Vopos mit geladenen Gewehren zum Fußmarsch nach Heldburg gezwungen, wo man sie samt den Kindern in Zellen einsperrte.
Als Landtagsabgeordneter und Mitglied des Strafvollzugsausschusses organisierte Helmuth Steltzner daraufhin einen privaten Meldedienst mit Hilfe zuverlässiger Einwohner. So wusste er sofort, wenn Frauen mit Kindern ins Gefängnis gekommen waren und griff energisch gegen diese Unmenschlichkeiten ein. „Dass ich dadurch mitsamt meinen Familienangehörigen von den Vopos gehasst wurde, versteht sich!“, hielt er fest.
Aus den Waldgebieten waren oft Gewehrschüsse zu hören, die angeblich von „amerikanischen Gangstern“ gekommen sein sollten, weshalb zurückgeschossen werden musste. Jeder aber wusste, dass bei den Schießereien Rehe und Hasen ihr Leben lassen mussten, weil sich die Vopos auf diese Weise Zusatzverpflegung verschafften.
Wie sah nun die SED die Entwicklung jener Jahre?
In einer um das Jahr 1985 verfassten, unveröffentlichten „Betriebsgeschichte der Kooperation Heldburg“, die lediglich in Manuskriptform vorliegt, ist nachzulesen: „Immer wieder tauchte das Gerücht auf, dass der Heldburger Zipfel gegen Westberlin eingetauscht würde. Vorrangig kursierten diese Gerüchte im Herbst, wenn es um die Ablieferung der pflanzlichen Produkte ging. Viele Bauern verzögerten die Pflichtablieferung, und große Mengen Lebensmittel und andere Gebrauchsgüter wurden nach dem Westen verschoben und der Volkswirtschaft entzogen. Die durch die Grenzgänger betriebene Flüsterpropaganda schuf eine Atmosphäre des Misstrauens und der Isolierung fortschrittlicher Kräfte. Der „Rias“ (Westberliner Radiosender) „warnte“ die Bevölkerung vor Funktionären der Partei und anderen fortschrittlichen Kräften, da sie „Agenten des russischen Geheimdienstes“ seien.
Besonders richtete sich diese Hetze gegen die Grenzpolizei, die aufgrund der westlichen Spaltungspolitik und zur Unterbindung des Schwarzhandels in unseren Dörfern stationiert werden musste. Über Jahre gelang es dem Klassenfeind immer wieder Spannungen zwischen der Grenzpolizei und der Bevölkerung zu erzeugen. So wurden Kulturveranstaltungen der Grenzpolizei boykottiert, und Jugendliche weigerten sich, gemeinsame Veranstaltungen mit der Grenzpolizei durchzuführen. ... Unter der massiven Feindpropaganda, ja sogar durch Drohungen und Erpressungen, dauerte es teils recht lange, bis die große Masse der ehrlich arbeitenden Bauern erkannte, wer ihre wahren Feinde und wer die echten Freunde waren.“
In dem 1986 erschienenen, nur in geringer Anzahl gedruckten Auftrags-Publikation, „Grenzregiment 'Conrad Blenkle‘ – Geschichte und Erinnerungen“, schreibt Autor Harry Gerlach (1927 – 1995): „Sommer 1945! Der Zweite Weltkrieg hatte in Europa sein Ende gefunden mit der bedingungslosen Kapitulation der Hitlerfaschisten am 8. Mai 1945. Der alte Staat war zerschlagen. Die Regierungsgewalt übernahm der Alliierte Kontrollrat und in den Besatzungszonen Militärregierungen. Für das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone war es die Sowjetische Militäradministration für Deutschland (SMAD). Unverzüglich begann der Aufbau von Selbstverwaltungsorganen. Bürgermeister, meistens bewährte Antifaschisten, wurden eingesetzt.
Aber all das Neue, das sich entwickelte, musste geschützt werden gegen die Ewig-Gestrigen. So entstand auf Befehl der SMAD bereits im Sommer 1945 die Schutzpolizei im Land Thüringen, in die nur bewährte Vertreter der Arbeiterklasse, erprobte Antifaschisten, überzeugte Demokraten aufgenommen wurden.
Da aber Kräfte existierten, die aus dem Bestehen der Besatzungszonen Profit zu schlagen versuchten, da es Kapitalisten und Junker gab, denen der Boden in der SBZ zu heiß wurde, die versuchten, Maschinen, Ausrüstungen, Vieh und Getreide in die Westzone zu bringen zum Schaden für die Menschen und die Wirtschaft bei uns, da es auch erbitterte Feinde der konsequenten Demokratisierung gab, die durch Anschläge, Brandstiftung, Mord und Diversion unsere friedliche Entwicklung zu stören versuchten, war es notwendig, die Demarkationslinie gegenüber den Westzonen zu überwachen.
Der Aufbau der Grenzpolizei an der DL Thüringen mit der englischen und amerikanischen Zone sollte am 1.12.1946 vollzogen sein, nachdem bereits seit dem 1.6.1945 einzelne Volkspolizeiangehörige von sowjetischen Streitkräften zur Regelung des deutschen Personen- und Warenverkehrs an der DL herangezogen worden waren. Zum Zeitpunkt des Entstehens der Grenzpolizei in der SBZ gab es schon in Bayern seit 15.11.1945 und in Hessen seit 3.5.1946 Grenzschutzeinheiten.“
Widerstand ungebrochen
Der Widerstand in Heldburg gegen die SED war aber trotz der gescheiterten Anschlussbemühungen an Bayern ungebrochen. So fand sich im Nachlass Helmuth Steltzners nachfolgende Notiz, die sein Sohn Gerhard dem Verfasser dieses Beitrags zur Verfügung stellte. Sie lautet: „1. Mai 1949 – Umzug der SED und LDP zur Maifeierkundgebung in Heldburg vom Sammelplatz zum Schützenhaus. Darunter befand sich eine kleine SED-Gruppe mit Musik, roter Fahne und Transparenten, die durch die Stadtstraßen zum Aufmarschplatz Hellinger Straße zogen. Bürgermeister Franz Westphal (LDP) kam 15 Minuten vor Abmarsch zu mir und teilte aufgeregt mit: Die zur Kundgebung auf den Straßen stehenden Männer und Frauen wollen nicht hinter der roten Fahne herlaufen. Drei sowjetrussische Offiziere von der Kommandantur Hildburghausen sind auf dem Marktplatz, wollen den Umzug sehen, die Kundgebung besuchen – wenn das kleine Häuflein SED allein bleibe, wäre das ‚Provokation gegen die SED‘. Ich erklärte: Die LDP zieht mit zur Kundgebung; ich trage die Fahne Schwarz-Rot-Gold, meine Frau Annemarie das Schild LDP. Die Heldburger haben 1946 bei geheimen Wahlen der LDP die absolute Mehrheit gegeben, die wissen, wohin sie gehören! Sofort zogen die Zuschauer mit der Schwarz-Rot-Goldenen Fahne zum Abstellplatz, es waren über 250 Personen – gegen 40 der SED.“
Die Flucht Helmuth Steltzners
Im Sommer 1950 wegen dauernden Widerstand gegen die Blockpolitik der SED verfolgt und der vierten Verhaftung entgegensehend, flüchteten Helmuth Steltzner und seine Familie nach Coburg. Ab 1954 betrieb er schließlich eine Zahnarztpraxis in Reutlingen. 1971 erschien anlässlich des zehnten Pfingsttreffens der Heldburger in Gemünda bei Coburg sein Büchlein „Heldburg wollte zu Bayern“. 1977 wurde Steltzner zum Ehrenmitglied der FDP in Coburg ernannt, im darauffolgenden Jahr erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Helmuth Steltzner schloss 1971 seine Aufzeichnungen wie folgt: „Trotz dieser furchtbaren Realität bleibt uns der Mut zu dem Glauben, dass unsere junge Generation die Hoffnung nicht zu begraben braucht, dass diese makabre Art von Grenzen mitten durch Deutschland und sogar mitten durch Berlin eines Tages verwinden wird, dann nämlich, wenn unsere Jugend den friedlichen Willen zu einem neuen Europa hat und an seiner Verwirklichung tatkräftig mithilft. Und dann wird auch Heldburg und sein Umland wieder mit den vielen Verwandten und Freunden in den grenznahen bayerischen Dörfern und im schönen Coburg verbunden sein!“ Er verstarb in den achtziger Jahren.
Nach der Friedlichen Revolution in der DDR und der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 keimten erneut Bemühungen für einen Anschluss des Heldburger Unterlandes zu Bayern auf. Doch auch diese, wohl nicht allzu ernst gemeinten Bestrebungen, wurden nicht vom Erfolg gekrönt. Dass die Verbindungen zwischen Bayern und Thüringen gerade im Heldburger Unterland sehr eng sind, beweist nicht zuletzt die laufende Renovierung des Wahrzeichens der Gegend, der Veste Heldburg. Sie ist als thüringisch-bayerisches Gemeinschaftsprojekt eingestuft und erfuhr entsprechende Förderung durch die beiden benachbarten Bundesländer.
2015 wird auf der Veste Heldburg ein bedeutsames historisches Museum als „Deutsches Burgenmuseum“ eröffnet. In 40 Räumen und einer Fläche von 3.000 m² wird im „Französischen Bau“ vor allem das Leben auf Burgen und der Burgenbau im Mittelalter dargestellt. 2005 wurde hierzu ein Trägerverein gegründet. Ihm gehören das Germanische Nationalmuseum, die Stiftung Schlösser und Gärten des Freistaates Thüringen, das Deutsche Historische Museum, der Landkreis Hildburghausen, die Stadt Bad Colberg-Heldburg, die Industrie- und Handelskammer Südthüringens sowie Vereinigungen und Unternehmen an.
Verwendete Literatur:
Helmuth Steltzner: Heldburg wollte zu Bayern. - Coburg 1971