Unheimliche Stätte
Albert Buff
Eine unheimliche Stätte
In der Umgebung mancher Orte treffen wir einen Galgenberg oder eine Galgenhöhe. Der Name weist darauf hin, dass hier einmal eine Richtstätte gewesen ist. Früher war ein dauernder Richtplatz vorhanden, der dem Gericht jederzeit zur Verfügung stand.
Auf der Höhe der Wiedersbacher Straße findet sich bei Hildburghausen die sogenannte Galgenspitze. In den alten Flurkarten heißt das Gelände “Hochgericht”, die daneben liegenden Äcker und Wiesen führen die Bezeichnung “Am Gericht”. Auf der Galgenspitze stand einst der Hildburghäuser Galgen. Von ihm ist keine Spur mehr zu sehen.
Wie mag der Galgen ausgesehen haben, der da Jahrhunderte lang drohend emporragte? Das Hochgericht, an dem man die Verbrecher einige Tage im Winde baumeln ließ, damit den des Weges daherkommenden Fremden ein abschreckendes Beispiel vor Augen geführt werde? Die Stätte, um welche die Raben kreisten und krächzten, die von Alt und Jung gemieden wurde, und an der man, wenn notwendig, scheu und rasch vorüber strich? Eine Beschreibung des Galgens existiert nicht, aber aus alten Stadtrechnungen können wir entnehmen, wie er beschaffen war.
Zunächst errichteten die Maurer einen mehrere Meter hohen runden Sockel aus schweren Bruchsteinen, so dass man meinen mochte, es werde ein wehrhafter Turm gebaut. Die Plattform wurde ebenfalls aus Steinen hergestellt. Durch eine ausgesparte Tür und eine Steintreppe erreichte man die Plattform. Hier erhoben sich in ältester Zeit drei Holzsäulen, die durch Querhölzer verbunden waren. Da das Holzwerk aber infolge der Witterungseinflüsse bald vermorschte und „wandelbar“ wurde, wie es in den alten Schriften heißt, beschlossen die Stadt und die Ortschaften des Zentgerichts Hildburghausen, die für die Kosten aufzukommen hatten, im Jahre 1581 eine dauerhaftere Einrichtung. Die Säulen wurden aus Stein aufgeführt, und oben befestigte man dicke Querbalken mit je einem Eisenhaken. Jetzt konnte der Galgen längere Zeit dem Wetter trotzen.
Das Hochgericht
Zeichnung von Georg Lilie
Nach altem Herkommen mussten die Müller den Galgen zurichten. das Steinwerk allerdings konnte nur von den Maurern instand gesetzt werden. Um 1700 ordnete Herzog Ernst von Hildburghausen eine Ausbesserung des „Hohen Gerichts“ an. Jetzt hatten sich die gesamten Zünfte zur Arbeit zu stellen, da sie ja von dem Gericht gegen Belästigungen und Schaden geschützt werden sollte. Es fand ein feierlicher Auszug statt, an dem sich die Meister, Gesellen und Lehrjungen mit dem Handwerkszeug beteiligten. Zuerst traten die Maurer in Tätigkeit. Sie säuberten den Sockel von Gestrüpp und eingewurzelten Bäumchen und besserten die schadhaften Stellen der Grundmauern und der drei hohen steinernen Säulen aus. Die Zimmerleute erneuerten von einem Gerüst aus drei Querbalken, in die die Schmiede die Eisenklammern einzuschlagen hatten. Die Tür zur Plattform brachten die Schreiner und Schlosser in Ordnung. Die Müller mussten bei diesen Arbeiten hilfreiche Hand leisten. Der Zug der Zünfte wurde von den Grenadieren des Landregiments angeführt. Spieler und Trommler sorgten mit ihren Weisen für eine freudige Marschstimmung. An der Richtstätte hielt der Zentgraf als oberster Gerichtsherr eine Rede und bezeichnete mit drei Hammerschlägen den Beginn der Arbeit. Die Rückkehr des gesamten Aufgebots ging unter denselben Förmlichkeiten vor sich. Derartige Reparaturen machten sich natürlich im Laufe der Zeit immer wieder nötig.
Es waren aufregende Tage für die Bevölkerung der Stadt, wenn ein gefasster Raubmörder zum Tode durch den Strang verurteilt wurde. Am Termin der Hinrichtung ordnete sich ein feierlicher Zug vor dem Rathaus. Zu beiden Seiten schritten die Gerichtsherren. In der Mitte bewachten die Stadtknechte und der Henker den gefesselten Verbrecher. Der sah bleich und verstört aus, blickte starr vor sich hin und mochte wohl mit Angst und Schrecken an sein baldiges Ende denken. Begleitet wurde er von einem Geistlichen im schwarzen Talar. Viel gaffendes Volk folgte. Der Zug bewegte sich durch die Marktstraße und die Wiedersbacher Straße nach dem Hochgericht. Dort nahm der Pfarrer dem Sünder die Beichte ab und gab ihm die letzte Tröstung. Nun stieg der Henkersknecht mit dem Verurteilten die hohe Leiter zu einem Querbalken hinauf. Er knüpfte ihn am Eisenhaken fest und stieß ihn von der Leiter. Ein kurzer Todeskampf – die Schuld war gesühnt. Das Volk verlief sich. Im Städtchen sprach man noch an manchem Abend von dem schauerlichen Ende des Bösewichts.
Nach: Albert Buff: In: Heimatkundliche Lesebogen des Kreises Hildburghausen. Nr. 13 - Hildburghausen, 0. J. (nach 1947), S. 22 ff.