Gewerbeentwicklung
Gewerbeentwicklung bis 80er Jahre
des 19. Jahrhunderts
Nach: Rudolf Armin Human
Der Kirchenmann und Historiker Human analysiert kompetent und weist mit seiner Einschätzung über die zeitgenössischen Verhältnisse hinaus:
„... zum Gewerbe, einst streng an das Zunftwesen und seine das Bedürfnis von Ausnahmen zu wenig berücksichtigende Satzungen gebunden, zugleich aber doch getragen von einer aus eigen urwüchsiger Kraft erwachsenen und der Stadtverfassung eingegliederten Rechtsordnung, unter der Allgewalt der Industrie und politisch-sozialer Faktoren der Neuzeit mit der Gewerbefreiheit desorganisiert, darauf im Wetteifer freier Talentsentfaltung teilweise wohl weitergebildet, im Interesse des Producenten aber an der Sicherheit des Absatzes nicht weniger, wie im Interesse des Publikums an Reichlichkeit und Güte der Arbeit doch wieder auf Neuorganisation in frei genossenschaftl. Form gewiesen; endlich zum Handel, diesem Bindeglied aller einzelnen Teile der Volkswirtschaft zu organischem Ganzen!
Ist mannigfaches Streben auf kleingewerblichem Gebiete ... nicht zu verkennen, so hat besonders das Gewerbe im Ganzen größere Ausdehnung gewonnen, lukrativ aber ist ebensowie in der Ökonomie (hier: Landwirtschaft, d. Verf.) eine nur mäßige Verzinsung des Anlagekapitals zu konstatieren. Gründe dazu sind u. A. überreiche in- und auswärtige Konkurrenz mit Überproduktion, in einzelnen Branchen Mißverhältnis zwischen dem hohen Stand der Rohwaare und dem unter dem Verlangen nach billigem gedrückten Preis der Fabrikate, geminderte Kaufkraft des Landmanns zufolge der niederen Preise landwirtschaftl. Produkte; Schleuderpreise beim Submissionsverfahren, Intervention von Detailreisenden und Versandtgeschäften, die mit Reklame das Publikum an Grossisten weisen, trotz höherer Preise oder Lieferung geringerer Qualität seitens der letzteren; im Zusammenhang damit aber auch partikulare Geringwertigkeit einheimischen Kommerziums.
Zwingt nun volkswirtschaftl. Entwickelung den Professionisten beim Übergang aus lokaler Kleinindustrie in das moderne Großgewerbe sich den durch die Maschine veränderten Erwerbsverhältnissen anzubequemen, mit vervollkommnetem Apparat in den Kampf zu treten und thätig und unverdrossen, vorsichtig und entschlossen solide, wirklich brauchbare Arbeit zu liefern, so findet nach Lage der Dinge persönliche Tüchtigkeit Stütze zu nachhaltiger Kraftentfaltung doch wohl erst in genossenschaftlichem Verband, in Magazin, Rohstoff- und Produktivgenossenschaften, die zu gemeinsamer Benutzung von Hülfsmaschinen, Motoren u. dergl. Sammelstelle zur Einigkeit im Gewerbeverein haben könnten, damit aber zugleich in dem jetzt vielfach zum Ballast für die Schaffenskraft des Volkes gewordenen Kapital den rechten Promoter zur Produktion und Austausch der Erzeugnisse. Weiter aber auch in der Verständigung des Publikums über die heimische Leistungsfähigkeit ... daß der infolge der Gewerbefreiheit erstandene Drang nach Selbstständigkeit insoweit, als selbigem in der Fremde gewonnene Erfahrung, gediegene, in solider Handwerksschule und bei intelligenten Handwerksmeistern erlangte Vorkenntnisse, sowie die zu irgend nur erfolgreichem Betriebe erforderlichen Mittel mangeln, sich mindere, in übersetzter Branche dafür vielmehr bei sorgenfreier, lohnender Gehülfenarbeit bleibe und nicht leichthin eine Ehe schließe. Zum Andern, daß die Arbeitgeber in der Lohnfrage, Maß der Arbeitszeit, Frauen- und Kinderarbeit, Fortbildung jugendl. Arbeiter und insonderheit Förderung der Sparsamkeit, Arbeiterschutz, Teilnahme am Geschick der Kranken und Alten zum Ersatz des mit der Gewerbefreiheit aufgelösten Familienlebens zwischen Meister und Geselle, der derzeitigen Gesetzgebung entsprechend, in das rechte persönliche Verhältnis zu dem Arbeitnehmer treten. Zum Dritten, daß für dürre Schulweisheit, die weder den Armen das bereit liegende Brot, noch thatkräftigen Männern die ihrer Fähigkeit entsprechende Arbeit zu schaffen versteht, in Bälde noch ein genialer Kopf Weg und Mittel zeige, wie die Güter dem Volk zum Segen in einander fließen und sich auszugleichen vermögen.“
(Human: Chronik der Stadt Hildburghausen, der Diözese und des Herzogtums. – 1886, S. 569 ff. und 1999 Reprint Verlag Frankenschwelle KG Hildburghausen, Herausgeber: Hans-Jürgen Salier)