Westhausen und Haubinda
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Reinhold Albert, Sternberg | |
Über das Kriegsende berichtet Dr. Albin Schubert in seinem 1970 in Rodach verlegten Buch „Das Ende des Zweiten Weltkrieges im Rodacher Winkel des Landkreises Coburg“:
„Auch Westhausen wurde erst am 11. April 1945 besetzt. Zwischen dem 7. und 10. April konnten sich durch den schmalen Schlauch zwischen Westhausen und Seidingstadt noch viele deutsche Soldaten retten und – wenigstens vorläufig – der Gefangenschaft entgehen. Auch in Westhausen lag ein SS-Kommando. Es wäre denkbar, dass die SS in Seidingstadt und in Westhausen den Auftrag hatte, den Rückzug der eigenen Leute zu decken. Es fiel auf, dass Artillerie und auch Panzer durchkamen. Zwei von diesen blieben wegen Spritmangel in den Kreckwiesen zwischen Westhausen und Gellershausen liegen, zwei weitere blieben im Sumpfgebiet im Westhäuser Grund Richtung Völkershausen stecken. Sie wurden von den letzten durchkommenden Soldaten gesprengt. In den Wäldern um Westhausen lagen viele Wehrmachtsangehörige. Vom Kirchturm herunter wehte wiederholt die weiße Fahne (diese hatten Alfred Riedel, Hubert Röder und Erich Knauf unter Lebensgefahr gehisst); sie musste aber immer wieder eingezogen werden. Von Linden und Gleichamberg aus wurde nach Westhausen hineingeschossen, ohne dass größere Schäden entstanden sind. Artillerie stand auch am Waldrand bei Haubinda, Menschenverluste gab es keine.
Angesichts der bedrohlichen Lage wollten viele Westhäuser nicht im Ort bleiben. Sie zogen mit Vieh und dem wichtigsten Hausgerät Richtung Gompertshausen, das bereits schon seit dem 9. April von Amerikanern von Alsleben aus genommen war. Diese Tatsache war aber den Flüchtlingen nicht bekannt. Sie kamen nicht bis zur „Lomper“ (Landwehr). Auf halbem Weg zwischen Westhausen und Gompertshausen, im Weidig, das zum Flurteil Herrensee gehört, musste ein Teil der Flüchtlinge Unterschlupf suchen, weil fliehende deutsche Soldaten die Aufmerksamkeit der Amerikaner auf sich gezogen hatten. Es liegt von einem Gewährsmann die Angabe vor, dass ein Amerikaner in fließendem Deutsch das Ehrenwort abverlangte, wegen eventuellen Verrates von Geheimnissen nicht nach Westhausen zurückzukehren, sondern nach Gompertshausen weiterzuziehen. Nachdem bereits am 9. April ein Jeep in Westhausen für Minuten aufgetaucht war, wurde das Dorf am 11. April endgültig besetzt. Der Amerikaner kamen von Streufdorf und gleichzeitig auch durch den Weidichsgrund von Rieth und auch von Linden und Schlechtsart her. Die Deutschen hatten im letzten Augenblick den Ort geräumt.
Vor dem 8. April 1945 beobachteten Tiefflieger, wie zwei Hitlerjungen in der Rohrmühle bei Gellershausen Deckung suchten. Wie sich herausstellte, hatten sie die letzte Meldung für den Volkssturm, dass er sich Richtung Seßlach abzusetzen habe. Die Rohrmühle wurde von den Amerikanern zusammengeschossen.“
Über die Erlebnisse in Westhausen beim Zusammenbruch im Jahre 1945 berichtete Oberlehrer Kopp: „In den Vormittagsstunden des 11. April 1945, es war ein Mittwoch, trafen die ersten amerikanischen Soldaten in Westhausen ein. Es waren motorisierte Soldaten. Schon am Tag vorher, am 10. April, erschien plötzlich ein Spähwagen aus der Richtung Gompertshausen kommend in Höhenhausen. Er drehte um und fuhr sofort wieder zurück. Die ersten Wagen hielten am 11. April vor dem Gasthof „Zum Grünen Baum“. Durch die Ortsschelle wurde bekannt gemacht, dass die Einwohner sämtliche Waffen, Photos und anderes innerhalb einiger Stunden an bestimmten Sammelstellen abzuliefern hätten. Nichtbefolgung wurde mit dem Tode bestraft. Die verängstigten Einwohner lieferten wohl alles restlos ab. Nun kamen lange Kolonnen amerikanischer Truppen und zogen nach Gellershausen weiter. Das ging auch am 12. April so weiter. An den Tagen vorher, am 9. und 10. April, berührten die letzten deutschen Truppen auf ihrem Rückzug unseren Ort. Eine Kompanie Infanterie unter Führung eines Hauptfeldwebels bezog in der Schule Quartier. Noch in der Nacht rückten sie wieder ab in Richtung Coburg. Durch den Volkssturm wurden an den Dorfein- und -ausgängen Barrikaden errichtet, die am Abend des 10. April durch SS-Soldaten geschlossen wurden. Noch in der Nacht marschierte die SS auch in Richtung Coburg ab. Zwei schwere Panzer blieben im Feldweg nach Gellershausen, Höhe Märzenquelle, stecken und wurden gesprengt. Am Morgen des 10. April flatterte eine weiße Fahne vom Turm der Kirche im Winde, die durch einen SS-Leutnant beseitigt wurde. Niemand weiß, wer sie in der Nacht angebracht hatte. Die letzte Nacht vor dem Einzug der Amerikaner war unheimlich, schaurig. Alle zehn bis fünfzehn Minuten dröhnte ein mächtiger Kanonenschuss durch den Ort. Die Bewohner hielten sich in den Kellern auf und kamen erst am Morgen heraus. Mehrere Häuser in Höhenhausen hatten Beschädigungen erlitten.“ Soweit Kopps Augenzeugenbericht. Die zurückgelassenen Panzer standen noch lange am gleichen Fleck. Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden die letzten verbliebenen Reste geborgen und verwertet. Zuvor hatten sich die Westhäuser je nach Bedarf das eine oder andere nützliche Ding abmontiert. „Auf ziemlich starken Widerstand stießen die Amerikaner bei Haubinda. Dort lagen auf dem Gut und in der Hermann-Lietz-Schule in den letzten Kriegstagen eine Panzerkompanie ohne Panzer und eine größere Anzahl von Fahnenjunkern einer evakuierten Fahnenjunkerschule. Der Widerstand kostete vier deutschen Soldaten das Leben. Sie sind im Walde bei Haubinda begraben. Das Grab des Hans von Bordeaux, der ebenfalls bei Kriegsende in der Nähe von Westhausen ums Leben kam, ist noch in unseren Tagen vorhanden. Erst kürzlich wurde es von Helmut Eckstein und Wolfgang Rode hergerichtet.
In der Nacht vom 10. zum 11. April verließen diese Einheiten Haubinda, buchstäblich im letzten Augenblick. Gompertshausen und Streufdorf waren bereits besetzt, Seidingstadt und Westhausen waren noch feindfrei. Sie marschierten, noch gut ausgerüstet, jedoch ohne schwere Waffen, auf dem alten Postweg durch Seidingstadt, während schon die Amerikaner am Straufhain lagen, weiter Richtung Völkershausen. Einer der Soldaten stammte aus Völkershausen; seine Ortskenntnisse kamen in dem feindbedrohten Gelände dem Verband zugute. Bei Holzhausen soll der Marschverband aus Haubinda Feindberührung bekommen haben. Man spricht von einigen Leichtverwundeten, die mitgeführt werden konnten. Die Einheit schlug sich dann zum Pfaffenholz durch zwischen Holzhausen und Colberg, westlich von Gauerstadt nach Sülzfeld.“
Günther Schmitt überlieferte über die Kampfhandlungen bei Haubinda: „Rudi Scheiderbauer ist am 10. April 1945 beim Schloss Haubinda den Heldentod gefallen. Er ist auch dort mit unserem Inspektionschef und noch mehreren Kameraden begraben. Unsere Kriegsschule kam nach Ostern geschlossen in der Gegend von Meiningen zum Einsatz. Die Kriegsschule war aber ganz auf sich allein gestellt und so waren wir bereits nach dem ersten Tag unseres Einsatzes eingeschlossen und blieben es auch die ganze Zeit hindurch. Rudi selbst war unserem Chef zugeteilt und ich sprach noch mit ihm, als beide mit dem Fahrrad zu einer Panzersperre fuhren. Inzwischen hatte sich dort eine Pioniereinheit ohne Befehl abgesetzt und so kam das Verhängnis, dass Rudi und Oberleutnant Bräunlich nichtsahnend in die Garben eines amerikanischen Maschinengewehrs hineinfuhren. Der Tod musste bei beiden auf der Stelle erfolgt sein. Ein weiterer Oberleutnant übernahm nun die Führung der Einheit. Diese löste sich am anderen Morgen auf aus Mangel an Munition.“
Else Weidmann erinnert sich: „Am 8. April 1945 stand der Amerikaner auf der Höhe der beiden Gleichberge, die ja nicht weit von Haubinda entfernt sind. Am Abend erschienen in der Schule etwa 100 deutsche Fahnenjunker mit ihrer Führung. Sie bezogen einen Teil des Hauses, bauten in der Flur draußen ihre Panzer auf. Der Amerikaner beschoss mit seinen Panzern und Geschützen die Gegend. Am 9. April kamen noch 200 Fahnenjunker dazu, und das ganze Gebäude musste von den Schülern geräumt werden. Sie zogen in die Bunker in den Felsen, denn es war ja nun auch höchst gefährlich geworden. Der Amerikaner kam mit Tieffliegern usw. Er zog sich langsam von den Gleichbergen herunter und kam immer näher. Da bat der Leiter die Truppe, die Schule zu verlassen, da sie ansonsten verloren sei, ein Widerstand nach Lage der Dinge zwecklos. Darauf zogen sich die Fahnenjunker zurück, das heißt sie rückten ab.
Eine Reihe ihrer Panzer blieben im Sumpf stecken. Der Amerikaner kam sehr schnell nach, umstellte die Schule, ein paar Offiziere kamen im Auto, eine kurze Verhandlung, und nach zehn Minuten zogen sie weiter und kamen nie wieder. Die Haltung der Amerikaner war tadellos, ritterlich und anständig. Als sie hörten, dass in der Schule fünf Schwerverletzte lagen, kamen innerhalb zehn Minuten Rot-Kreuz-Autos und brachten die Verwundeten in das Krankenhaus nach Hildburghausen. Schüler fanden dann im Wald zwei Tote und etwas später hieß es, draußen in der Lindener Flur liegen noch zwei.
Der Gutspächter fuhr mit dem Milchwagen hinaus und holte sie. Es waren Rudi und der Oberleutnant. Sie waren in eine Maschinengewehrgarbe gekommen und durch Kopfschuss getötet worden. Sie hätten ganz friedlich und unverletzt ausgesehen. Die Haubindaer sprechen heute noch übrigens von dem tadellosen Geiste und der besonders guten Haltung der ganzen deutschen Truppe. Eine Gruppe ist versprengt worden, hat sich noch einige Tage in den Wäldern aufgehalten, nachts kamen sie hinunter auf den Gutshof, wo sie von der Gutsfrau versorgt wurden, heimlich buk sie jede Nacht Brot, sie musste vorsichtig sein, wegen der ausländischen Arbeiter. Was dann aus ihnen geworden ist, weiß man nicht in Haubinda.“
Die Gefallenen wurden in einer würdigen Feier zur Erde bestattet. Die Trauerfeier hielt der damalige Direktor Dr. Damm. An der Feier nahm die gesamte Schulgemeinde teil und es sei ein erhebender und unvergesslicher Eindruck bei allen geblieben, ist überliefert.
Die Kriegsgräber von Haubinda
Der Senatspräsident des Obersten Gerichtshofes Salzburg in Österreich, Dr. Armin Scheiderbauer, schrieb am 18. Oktober 1990 an den Volksbund Deutsche Kriegsgräbervorsorge Kassel:
Betrifft: Kriegsgräber in Haubinda, Gemeinde Westhausen.
Am 8. und 11. Oktober 1990 weilte ich mit meinen Familienangehörigen in Haubinda, um das Grab meines dort am 10. April 1945 gefallenen Bruders Rudolf Scheiderbauer zu besuchen. Die Grabstelle in Haubinda lag in der „Sperrzone“ der ehemaligen DDR, weshalb uns ein früherer Besuch nicht möglich war.
Mein Bruder liegt mit vier Kameraden seiner Einheit in einer Anlage von fünf Einzelgräbern, die liebevoll gepflegt und mit frischen Birkenkreuzen versehen ist. Eine Holztafel weist aus, dass dort „fünf unbekannte deutsche Soldaten“ ruhen. Die Gräber stehen in Obhut der Schulleitung in Haubinda, desgleichen ein weiteres Einzelgrab, in dem Hans von Bordeaux liegt, oberhalb des Schulgebäudes im Wald.
Vier Namen der fünf „unbekannten“ Soldaten konnten uns von der Schulleitung bekannt gegeben werden. Wir waren dazu auf Grund von vertrauenswürdigen Zeugenaussagen in der Lage, die meine Familie in den Jahren 1946/47 brieflich erreichten. Die Namen lauten Bruno Ostwald, * 16.04.1921, Uffr. Donath, * 11.10.1925, Oberleutnant Bräunlich, Rudolf Scheiderbauer, * 22.8.1925, alle gefallen am 10. April 1945. Sie waren Angehörige einer Fahnenjunker-Einheit der Panzertruppen-Kriegsschule Landshut, die kurz vorher von dort in den Kampf geworfen wurde.
Wir waren bewegt, zu erfahren, dass der Plan, die Gräber zu beseitigen – der während der Benützung des Areals durch die Volksarmee bestanden haben soll – von der damals zuständigen Verwaltungsbehörde nicht verwirklicht wurde, desgleichen, dass der frühere Bürgermeister in Westhausen dem Hausmeister wiederholt bedeutet habe, er möge auf die Gräber schauen, denn ‚da kommt noch einmal wer!’ Ich bitte schon jetzt von einer möglichen Umbettung der dort Gefallenen und Begrabenen in jedem Fall abzusehen.
Gezeichnet Scheiderbauer.“
Rings um die Schule dehnt sich ein Park mit schönen alten Bäumen und darin haben die Gefallenen ihre letzte Ruhestätte gefunden. Sie ruhen dort auf einem kleinen Heldenfriedhof, den die Schüler in Haubinda in gemeinsamer Arbeit mit den Lehrern und dem Gärtner angelegt haben, pflegen und wirklich heilig halten. Die Gefallenen können sich keinen friedlicheren und würdigeren Ruheplatz wünschen.
Dr. Hermann Wesely aus Bensheim weilte 1992 in Haubinda. Er war damals einer der deutschen Soldaten und besuchte die Gräber seiner gefallenen Kameraden. Er verfasste für Rektor Reinhard Kopp in Haubinda ein Gedicht:
Elegie in Haubinda
Landschaft, schlichte Lebensweise,
Qualität der Stille wird hier Welt.
Besinnlichkeit, geformt im Geiste,
der Fröhlichkeit ist zugesellt.
Und mitten drin im Kreis des Lebens
spricht dort – als letztes Aufgebot –
das Ende alles Sehnens, Strebens,
vom bitteren Soldatentod.
Die Stille wird zur großen Frage:
Nach Leben, Freude, Lust und Sinn,
und dir und mir, für unsere letzten Tage,
der Totenstätte Mahnung sei Gewinn.
Ich hatt‘ sie einst als Kameraden,
sie gaben früh ihr Leben her.
Ich steh‘ an ihren Gräbern,
bin mit Schmerz beladen:
Ihr wart nicht nur Soldaten –
mir wart ihr mehr.
Nach: Reinhold Albert: Chronik von Westhausen mit seinem Ortsteil Haubinda. – Gemeinde Westhausen und Verlag Frankenschwelle KG Hildburghausen, 2001 – ISBN 3-86180-117-5
Mit freundlicher Genehmigung von Reinhold Albert.