März - Oktober 1990
März 1990
01.03.1990, Donnerstag
Die DDR-Regierung beschließt die Gründung einer Treuhandanstalt zur Verwaltung des so genannten Volkseigentums.
Die ersten Prognosen für die Volkskammerwahl der DDR am 18.03.1990 werden veröffentlicht. 53 % der Wahlberechtigten plädieren für die SPD, für das Wahlbündnis Allianz für Deutschland 24 %, die PDS 11 %, jeweils 3 % für die Liberalen, die DBD, die Grünen und sonstige Parteien und Wählergruppen.
Eine Expertendelegation des Landkreises Haßberge, Unterfranken, unter Landrat Walter Keller trifft zum Erfahrungsaustausch für die Themenkreise Naturschutz, Landschaftspflege, Bau- und Verkehrswesen sowie Kultur- und Denkmalpflege im Rat des Kreises Hildburghausen ein. Die partnerschaftlichen Beziehungen zu diesen Fachbereichen werden in den kommenden Wochen und Monaten vertieft.
02.03.1990, Freitag
Im Rat des Kreises Hildburghausen kommt es wegen der bevorstehenden Volkskammerwahl zu einer Krisensitzung, weil die Parteien und politischen Gruppierungen nicht genügend Wahlhelfer für die insgesamt 106 Wahlvorstände benannt haben. Es wird festgestellt, dass einige Gemeinden überhaupt keine Wahlvorstände besitzen. Bis 08.03. müssen pro Wahlvorstand 7 bis 10 Personen benannt werden. Der Verantwortliche für die Volkskammerwahl (Wahlleiter) ist der spätere Landrat Peter Menz (CDU).
Die Regierung der DDR beschließt, einen Grenzschutz zu formieren. Es ist geplant, das einheitliche, zentral geführte und territorial strukturierte Grenzschutzorgan bis zum 31.12.1990 in das Ministerium des Innern einzugliedern.
03.03.1990, Samstag
Freies Wort veröffentlicht einen Aufruf des Verbandes der Berufssoldaten der DDR (VBS), Ansprechpartner ist Stabsfähnrich Rüdiger Harport im Wehrkreiskommando Hildburghausen (Obere Allee). Der Verband verstehe sich „als Interessenvertreter der Berufssoldaten des aktiven Wehrdienstes, der Reserve und außer Dienst, ihrer Familienangehörigen sowie Hinterbliebenen in der Gesellschaft und in den Streitkräften. Seinem Charakter nach ist er unabhängig, überparteilich und demokratisch. Wir wollen eine Traditionspflege im Geiste des Patriotismus und Antifaschismus bei konsequenter Ablehnung aller Erscheinungen von Rechts- und Linksradikalismus. Der Verband wirkt im Interesse der Friedenssicherung und Vertrauensbildung mit anderen nationalen und internationalen Soldatenverbänden zusammen. Aktive und konstruktive Mitarbeit bei der Durchsetzung der Reformen in der NVA sehen wir als eine wichtige Aufgabe.”
Die erweiterte Kreisvorstandssitzung der LDPD entbindet auf eigenen Wunsch Franz Lichte von der Funktion des Kreisvorsitzenden. Die Liberalen bilden ein neues Arbeitssekretariat bis zu den Neuwahlen unter der Führung von Horst Gärtner. In den Vorstand werden kooptiert: Jochem Vonderlind, Martin Geißenhöner, Hans-Jürgen Salier, Friedel Müller, Dietmar König, Roland Hanf, Wolfgang Bayer, Reiner Roßbach, Wilfried Ritter, Guido Vonderlind.
04.03.1990, Sonntag
In der Joseph-Meyer-Oberschule Hildburghausen kommt es zur Diskussion mit dem Europaparlamentarier Dr. Heinz Köhler (SPD) zu den Konturen und Konsequenzen der deutschen Einheit. Er stellte den Stufenplan der SPD „Einigung statt Anschluss“ vor.
Im Kulturhaus Gießübel spricht der Beauftragte der Bundesregierung für Behinderte, MdB Otto Regenspurger (CSU). Themenschwerpunkte sind die Lösung sozialer Fragen.
06.03.1990, Dienstag
Die im Thüringer Unternehmerverband organisierten Handwerker und Gewerbetreibenden des Kreises veranstalten eine Demo vor dem Finanzamt in der Wiesenstraße in Hildburghausen, die gegen Ex-SED-Funktionäre gerichtet ist, die angeblich noch an den Schaltstellen des Kreises sitzen und die in den zurückliegenden Jahren das Handwerk geschädigt und zur Existenzaufgabe gezwungen hätten. Sogar die Absetzung einiger Mitarbeiter wird gefordert, ansonsten drohe Steuerboykott.
Das Gewerbegesetz der Deutschen Demokratischen Republik wird erlassen, das am 01.04.1990 in Kraft tritt. Gewerbeanmeldungen unterliegen somit keinen Beschränkungen mehr. Am 01.04. wird das Gewerbeamt des Kreises Hildburghausen gegründet. Bis zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 01.07.1990 kommt es im Landkreis zu 486 Gewerbeanzeigen: 148 Kleinindustrie, Handwerk; 338 Handel, Gastronomie, Gaststätten.
Bei einem Moskau-Besuch von DDR-Regierungsvertretern erklären beide Staaten (Sowjetunion und DDR), dass eine Vereinigung Deutschlands nicht durch den DDR-Beitritt nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland erfolgen dürfe. Es wird ein etappenweises Vorgehen empfohlen. Gesamtdeutschland dürfe nicht Mitglied der NATO werden.
Anmerkung
Eine Debatte wurde vor allem darüber geführt, nach welchem Artikel des Grundgesetzes die Einheit Deutschlands herzustellen sei. Nach Artikel 23 (sog. „Beitrittsartikel“) wurde, wie geschehen, lediglich der Geltungsbereich des Grundgesetzes vergrößert. Nach Artikel 146 („Geltungsdauer des Grundgesetzes“) bestand und besteht jedoch auch die Möglichkeit, eine Verfassung zu entwerfen, deren Einführung von einem Volksentscheid abhängig wäre. Mit dem Einigungsvertrag vom 31.08.1990 wurde schließlich der Beitritt der DDR festgelegt. Artikel 23 ist aufgehoben worden, da nunmehr die „Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet“ sei (Präambel des Grundgesetzes).
07.03.1990, Mittwoch
Etwa 450 Bürger nehmen auf dem Hildburghäuser Marktplatz an einer Wahlkampfkundgebung der Allianz für Deutschland teil, verantwortlich zeichnet die DSU. Der Landwirtschaftsminister des Freistaats Bayern, Simon Nüssel (CSU), unterstützt den Volkskammerkandidaten der DSU, Dr. med. Gerhard Scheller, aktiv bei dessen Wahlkampf.
08.03.1990, Donnerstag
Die für das Ministerium für Staatssicherheit tätigen 109.000 Inoffiziellen Mitarbeiter werden regierungsoffiziell entpflichtet. Die Schweigepflicht wird aufgehoben. Das gilt auch für Bürger, die von verfassungswidrigen Maßnahmen des MfS betroffen gewesen sind und denen Stillschweigen auferlegt worden ist.
Handwerker und Gewerbetreibende des Kreises Hildburghausen demonstrieren vor dem Gebäude der Abteilung Finanzen des Rates des Kreises in der Wiesenstraße gegen die unternehmerfeindliche Steuerpolitik der DDR.
Foto: Walter Hörnlein
09.03.1990, Freitag
In einer Pressekonferenz teilt der Ratsvorsitzende des Kreises Hildburghausen, Johannes Müller, mit, dass das Ratsmitglied für Finanzen, Manfred Nimczyk, und der Mitarbeiter Zettler beurlaubt worden seien, die Mitarbeiter Will und Heim seien ohnehin krank. Nimczyk übergibt der Presse eine Stellungnahme, die am 15.03. veröffentlicht wird:
„1. Die schweren Vorwürfe gegen die Arbeitsweise der Abteilung Finanzen des Rates des Kreises Hildburghausen sowie Verleumdungen wegen Amtsmißbrauch und Korruption gegenüber den Mitarbeitern im Verantwortungsbereich und der ‚skrupellosen Förderung und Unterstützung’ solcher Handlungsweisen meinerseits, werden mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen und Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Über das Ergebnis wird öffentlich Rechenschaft abgelegt.
2. Mit Betroffenheit verwahre ich mich gegen unrechtmäßige Forderungen, die darauf zielen, gesetzlich verbriefte Rechte des Arbeitsgesetzbuches unbegründet aberkannt zu bekommen. Versuche, mich in meinem Reiserecht einzuschränken, halte ich selbst für Amts- und Machtmißbrauch.
3. Die zahlreichen Forderungen, die die Veränderungen steuerrechtlicher Fragen vom Gesetzgeber und zentraler Entscheidungen bedürfen und von uns als ausführendes Fachorgan eines Rates des Kreises nicht verändert werden können (was ja Amtsmißbrauch wäre!), werden den zuständigen Organen weitergeleitet.”
Das Coburger Tageblatt meldet, dass sich immer mehr Eltern aus der DDR vor allem bei berufsbildenden Schulen im grenznahen Raum meldeten, dort ihre Kinder unterrichten zu lassen.
10.03.1990, Samstag
Die LDP organisiert als Wahlkampfhöhepunkt auf dem Hildburghäuser Marx-Engels-Platz (Marktplatz) einen Markttag mit Firmen aus der Bundesrepublik, die ihre Waren gegen DDR-Mark vertreiben. Prominenter Redner ist der F.D.P.-Bundestagsabgeordnete Hermann Rind aus Schweinfurt, der die Hildburghäuser Liberaldemokraten im Wahlkampf unterstützt.
11.03.1990, Sonntag
Der vorübergehend gesperrte Fußgänger- und Radfahrerübergang wurde zwischen Sülzfeld, Landkreis Coburg, und Bad Colberg, Landkreis Hildburghausen, nach Straßenbauarbeiten wieder freigegeben.
12.03.1990, Montag
Letzte Sitzung des Runden Tisches. Er lehnt eine Übernahme des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland für die DDR ab. Über eine DDR-Verfassung soll am 17. Juni 1990, dem Tag der Deutschen Einheit entschieden werden.
Von der Arbeitsgruppe Sicherheit wird der Abschlussbericht vorgelegt: Die Staatssicherheit ist nicht mehr arbeitsfähig, 96 Prozent der Mitarbeiter seien angeblich entlassen worden.
Todesstreifen Landschaftsschutzgebiet. Schnell reagieren die DDR-Behörden auf Forderungen der Naturschützer, den ehemaligen Todesstreifen als Landschaftsschutzgebiet auszuweisen. Zur Erhaltung wertvoller Landschaftsteile im Grenzgebiet zur Bundesrepublik wird im Kreis Hildburghausen das Gebiet von Eisfeld bis zum Straufhain und von Eicha bis Ummerstadt als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Ähnliches geschieht in anderen Kreisen Südthüringens.
13.03.1990, Dienstag
Freies Wort meldet: Vor erhöhten Anforderungen sahen sich die Angehörigen der DDR-Grenzorgane in Verbindung mit dem Reiseverkehr gestellt. Wie das Grenzbezirkskommando Suhl dem ADN (DDR-Nachrichtenagentur, d. Verf.) mitteilte, passierten in seinem Verantwortungsbereich im Zeitraum vom 6. Februar bis 5. März mehr als 3,16 Millionen Menschen die Grenzübergangsstellen zur Bundesrepublik. Das waren fast eine halbe Million Menschen weniger als im Vormonat. Doch mit einem täglichen Durchschnitt von rund 113.000 Personen erreichte der Reisestrom trotz zeitweiligem Schnee und orkanartiger Stürme eine beachtliche Höhe. Als besondere Verkehrsschwerpunkte wurde für Februar genannt die Grenzübergangsstellen Hönbach – Neustadt mit 542.767 und Eicha – Trappstadt mit 297.238 Reisenden. Die zeitweiligen Grenzübergänge, die vorwiegend an den Wochenenden geöffnet sind, wurden von 93.324 Personen genutzt, 17.954 mehr als im Vormonat. Aufgrund fehlender Visa und ungültiger Dokumente, so Pressesprecher Major Herbert Müller, mussten in diesem Zeitraum 157 Reisende bei der Ein- und Ausreise zurückgewiesen werden. Ein DDR-Bürger habe versucht, nur mit dem Versicherungsausweis auszureisen und ein BRD-Bürger wollte nur mit dem Führerschein die Grenzübergangsstelle passieren. Trotz der umfangreichen Möglichkeiten zum ordnungsgemäßen Passieren der Grenze an den dafür vorgesehenen Stellen verzeichnete das Grenzbezirkskommando eine zunehmende Zahl an Versuchen des widerrechtlichen Überschreitens der Staatsgrenze.
Freies Wort meldete am gleichen Tag, dass in der vergangenen Woche 10.731 Menschen die DDR als Übersiedler verlassen hätten. Die Tendenz sei leicht rückläufig. Das Bundesinnenministerium teilte mit, dass seit Jahresbeginn die Übersiedlerzahl auf 132.328 gestiegen sei.
Freies Wort vom 14.03.1990
15.03.1990, Donnerstag
Der FDGB-Kreisvorstand tagt zum letzten Mal und wird nach Bestätigung des Geschäftsberichts, Bericht über die Verwendung finanzieller Mittel für 1989 und Bericht der Kreisrevisionskommission per Beschluss aufgelöst. Entsprechend der Satzung des gewerkschaftlichen Dachverbandes FDGB sowie dem Aktionsprogramm werden bis 31.03.1990 in den Kreisen Geschäftsstellen gebildet. Die Hildburghäuser Geschäftsstelle wird mit einem Geschäftsstellenleiter und drei Mitarbeitern besetzt. Die Industriegewerkschaften und Gewerkschaften führen selbstständig ihre Gewerkschaftsarbeit durch, sie besitzen Tarifautonomie und Finanzhoheit.
Die Mitarbeiter des Hauptpostamtes der Deutschen Post Hildburghausen stellen dem Minister für Post- und Fernmeldewesen der DDR bis zum 15.03. ein Ultimatum, ansonsten komme es zum Streik.
Gefordert werden u. a. eine sofortige Lohnerhöhung für alle Beschäftigten, Erhöhung des Urlaubs um zwei Tage ohne Gegenrechnung, Wiedereinführung des Treueurlaubs und Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Im Fernschreiben heißt es weiter:
„Auch der Leitungsstil der Deutschen Post Suhl sowie der Leitung des Post- und Fernmeldeamtes Meiningen muß sich schleunigst ändern. Wir verlangen eine kontinuierliche Information und Anleitung und keine Entscheidungen vom grünen Tisch, bei denen die Meinungen der Betroffenen nicht gefragt sind. Es hat sich noch immer nichts geändert!“
17.03.1990, Samstag
Die Kreisgeschäftsstelle der CDU teilt mit, dass es im Kreisverband Hildburghausen kein Mitglied gibt, das die SED nach 1986 verlassen hat.
Die Main-Post schrieb, dass bei den Menschen in der DDR langsam wieder Zuversicht herrsche. Bei einer in Leipzig veröffentlichten Umfrage erklärten 71 % aller befragten DDR-Bürger, dass sie ihre persönliche Zukunft optimistisch sähen. Das waren immerhin 10 % mehr als im Vormonat. Positiver als bisher fiel auch das Bekenntnis zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten aus. Wünschten Ende November 1989 nur 48 % aller Befragten einen deutschen Staat, stieg dieser Anteil nun auf 84 %. Knapp 50 % der Einheitsbefürworter sprachen sich für einen sofortigen Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten aus.
18.03.1990, Sonntag
Freie Wahlen zur Volkskammer der DDR
24 Parteien und Vereinigungen stellen sich der Wahl. Wahlsieger wird das Wahlbündnis Allianz für Deutschland (Christlich-Demokratische Union Deutschlands, Deutsche Soziale Union, Demokratischer Aufbruch). Zum Ministerpräsidenten wird der CDU-Politiker Lothar de Maizière gewählt.
Im Kreis Hildburghausen gibt es 44.789 Wahlberechtigte, die Wahlbeteiligung beträgt 96,11 %.
43.045 Stimmen wurden abgegeben (96,11 %), davon waren 42.699 gültig (99,20 %).
Wahlergebnisse Volkskammer
Landkreis DDR (Volkskammersitze)
CDU 48,04 % 40,6 % (163)
DSU 9,90 % 6,3 % (25)
DA 0,65 % 0,9 % (4)
SPD 16,04 % 21,8 % (88)
PDS 12,46 % 16,3 % (66)
Bund Freier Demokraten
u. a. liberale Parteien 4,76% 5,3 % (21)
Demokr. Bauernpartei Deutschlands 2,94 % 2,2 % (9)
Grüne Partei/Unabh. Frauenverband
Bündnis ‘90/Neues Forum –
Demokratie Jetzt, IFM 2,00 % 2,0 % (8)
Demokratischer Frauenbund 0,80 % 0,3 % (1)
Deutschlands (DFD)
Nationaldemokratische Partei 0,62 % 0,4 % (2)
Deutschlands (NDPD)
Alternative Jugendliste (AJL)
DJP – GJ – MJV – FDJ 0,17 % -
Aktionsbündnis Vereinigte Linke (AVL) 0,16 % 0,2 % (1)
Die Nelken – VL -
Unabhängige Sozialdemokratische Partei 0,06 %
Die Parteien der Allianz für Deutschland und der Bund Freier Demokraten (später F.D.P.) gehen eine Koalition ein, die 213 der 400 Sitze erhält. Die SPD lehnt eine Koalition deutlich ab. Ab dem 03.04. sind die Weichen für eine Große Koalition gestellt. Am 12.04.1990 stellt Ministerpräsident Lothar de Maizière sein neues Kabinett vor:
CDU 12 Minister
SPD 7 Minister
DSU 2 Minister
B.F.D. 3 Minister
DA: 1 Minister
20.03.1990, Dienstag
Die Bayerische Grenzpolizei schreibt u. a. in ihrem Mitteilungsblatt, dass nach der Wahl am 18.03. bei vielen Grenzsoldaten eine Niedergeschlagenheit festgestellt worden sei. Sie hatten mit einem besseren Abschneiden der PDS, was mit einem besseren gesicherten beruflichen Werdegang verbunden gewesen wäre, gerechnet. Bei Kontaktgesprächen mit Offizieren der DDR-Grenztruppen wurde auch bekannt, dass Offiziere ohne Hochschulabschluss mit einer Rückstufung in die Fähnrichlaufbahn rechnen müssen. Offiziere, die ihre Entlassung aus dem aktiven Dienst beantragen, sollen 50 % ihres zustehenden Ruhegehaltes erhalten.
Das Meininger Tageblatt schreibt am 20.03.1990, dass die innerdeutsche Grenze nach Angaben des Bundesfinanzministeriums auch bei baldiger Schaffung der deutschen Einheit „für eine längere Zeit bestehen bleiben“. Die Angleichung der Zoll-Systeme und vor allem die Einführung von Verbrauchssteuern in der DDR mit einer allmählichen Anpassung an die bundesdeutschen Verbrauchssteuer-Abgaben erforderten, dass der Warenverkehr bestimmten Abfertigungs- und Überwachungsmaßnahmen unterworfen bleibt, teilte das Ministerium mit. Zu gegebener Zeit könnten die Aufgaben der Zollverwaltung an der innerdeutschen Grenze entfallen.
26.03.1990, Montag
Im Jahresbericht 1989 (3/1990) der Bayerischen Grenzpolizeiinspektion Mellrichstadt heißt es, dass es insgesamt 16 Flüchtlingen aus der DDR gelungen, im Bereich der GPI die Grenzsperranlagen zu überwinden und auf das Gebiet der Bundesrepublik zu gelangen. Die „sauberste“ Flucht glückte einem Arbeiter mit einer Straßenreinigungsmaschine. Der Mann sollte die F 19 zwischen den Abfertigungsanlagen der DDR und der Bundesrepublik am Übergang Eußenhausen reinigen. In einem günstigen Moment gab er Vollgas und schaffte die Flucht.
Mit einer Ausreisebewilligung im Zug der Familienzusammenführung passierten bis zum 9. November 1989 62 Übersiedler den Übergang bei Eußenhausen. Danach kamen noch einmal über 620 meist junge Leute als Übersiedler in den Westen.
27.03.1990, Dienstag
Unter der Überschrift Gerangel am Waldhaus in Römhild hält an – Rat des Bezirkes Suhl tritt Gebäude ab berichtet Freies Wort, dass am 01.04.1990 das Waldhaus bei Römhild (damals: Kreis Meiningen) vom Rat des Bezirkes Suhl an den Rat der Stadt Römhild übergeben worden ist. Die ehemals beliebte Gaststätte soll wieder eine solche werden und dazu mit der Bettenkapazität der ehemaligen Schulungsstätte des Rat des Bezirkes schrittweise für den Tourismus erschlossen werden. Die vom Rat des Bezirkes für das Objekt für 1990 geplanten Haushaltsmittel seien bereitzustellen, ab 01.01.1991 werde das dann in Verantwortung der Kommune liegen. Soweit Auszüge aus dem Bezirksbeschluss vom 18.01.1990. Eine klare Perspektive also? So dachten bis vor wenigen Tagen auch noch die Römhilder, denen ihr Waldhaus viel bedeutete.. Mittagstisch und Kaffee gab es schon seit etlichen Tagen wieder. Dafür sorgten Mitarbeiter des Kulturhauses, das vorübergehend wegen Renovierung geschlossen war, und die übriggebliebene Mannschaft der Schulungsstätte. Die Stadtväter hatten sich beim Rat des Bezirkes stark gemacht, denn so schnell wie möglich sollte dem Besucher wie bis Anfang der 60er Jahre wieder mit sprichwörtlicher Thüringer Gastlichkeit begegnet werden. 72 Plätze hatte die Gaststätte. Für die Sommernutzung stünden vier Bungalows mit je drei Betten, ganzjährig etwa 50 – 60 Betten im Haus und in der Villa Steinsburg zur Verfügung. Selbst wenn der Bezirksrat von seinen derzeitigen Forderungen zurücktrete, für den künftigen Rechtsträger gäbe es ohnehin genügend Ärger. Stichworte: Heizung, Dach, Dachrinnen. Erfüllt werden müssten außerdem die Forderungen der Hygiene nach entsprechenden Sanitäranlagen. Der Kampf der Römhilder um das Ausflugsziel war ein jahrelanger. Es sollte nicht noch einmal Jahre dauern, bis es am Ende oder Anfang eines Spazierganges heißt: Gehen wir ins Waldhaus.
29.03.1990, Donnerstag
Freies Wort berichtet, dass es im Töpferhof Römhild seit etwa einer Woche nunmehr auch eine für jedermann zugängliche Verkaufsstelle gab. Das habe man mit Freude vernommen. Weiter heißt es: „Mit welchem Recht maßte sich aber die dortige Direktion an, ihre Waren nur in D-Mark zu verkaufen. … Sind die Bürger in der DDR bei diesen Herren dort bereits in Klasse II eingestuft! Sie haben wohl vergessen, dass ihr Betrieb mit hohen staatlichen Investitionen gestützt wurde, die nicht zuletzt der einfache Mann aus der DDR mit erarbeitet hat.“
April 1990
01.04.1990, Sonntag
Nach Regierungsangaben sind zu diesem Zeitpunkt alle hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit entlassen, außer HV A (Hauptverwaltung Aufklärung). Die für Auslandsspionage vorgesehene Abteilung übergibt am 30.06. ihre Räume besenrein an das staatliche Auflösungskomitee.
Das Gewerbegesetz der DDR tritt in Kraft. Gewerbeanmeldungen unterliegen keinerlei Beschränkungen mehr.
01.04. bis 31.08.1990
Grenzschutz. Die Grenztruppen der DDR werden weiter vom Ministerium für Nationale Verteidigung bzw. Ministerium für Abrüstung und Verteidigung geführt.
02.04.1990, Montag
Admiral Theodor Hoffmann, der amtierende DDR-Verteidigungsminister der Modrow-Regierung, erlässt den Befehl zur Gründung eines Grenzschutzes der DDR trotz der Tatsache, dass bei den Volkskammerwahlen am 18.03.1990 die Allianz für Deutschland den Wahlsieg davongetragen hat und die Einheit Deutschlands nur noch eine Frage der Zeit ist.
03.04.1990, Dienstag
Auf der 9. Tagung des Runden Tisches des Kreises Hildburghausen wird auf Vorschlag des CDU-Kreisvorsitzenden Thomas Müller einstimmig der Beschluss gefasst, dass der Runde Tisch seine Tätigkeit einstellt, weil er im Vorfeld der Kommunalwahlen von der Zeit überholt worden ist, dass er aber auch ein Scheingremium ohne Kompetenz ist.
Zur Verärgerung ist es des Weiteren gekommen, weil der „alte“ Kreistag unter Johannes Müller per Beschluss festlegte, dass 61 Abgeordnete für den neuen Kreistag zu wählen seien, der Runde Tisch hat dagegen eine Zahl zwischen 41 und 50 vorgeschlagen.
In der Presse werden Mitteilungen über Verbrechen in den sowjetischen Sonderlagern des Geheimdienstes nach dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR publiziert.
Anmerkung
Vom 21.08.1945 bis 1950 werden Anhänger und Täter des Nationalsozialismus, aber auch bürgerliche Demokraten, Parteilose und Kommunisten in das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald (Speziallager Nr. 2 des sowjetrussischen NKWD) verschleppt. Unter ihnen befinden sich auch Bürger des Kreises Hildburghausen. Die Opfer werden oft von deutschen Helfershelfern denunziert. In den sowjetischen KZ in der SBZ/DDR sind mindestens 183.000 Menschen interniert, davon kommen 73.100 ums Leben oder werden gezielt ermordet. Allein in Buchenwald sterben 8.000 von 32.000 Inhaftierten. Die Zahlen müssen nach der Aufdeckung der Verbrechen immer wieder nach oben korrigiert werden. In den Folgemonaten werden überall im Land weitere Untaten der Sowjets bekannt im Zusammenspiel mit deutschen Kommunisten, kommt es auch zu Massenhinrichtungen in der Nähe Hildburghausens, die teils staatsanwaltlich untersucht werden.
Am 05.04. organisiert die einstige DDR-Einheitsgewerkschaft FDGB auf dem Hildburghäuser Marktplatz in gewohnter Klassenkampfmanier eine Protestkundgebung mit ca. 800 Teilnehmern gegen die Spekulationen mit der nichtkonvertierbaren DDR-Mark. Es wird ein Umtauschsatz von 1 : 1 gefordert.
Foto: Freies Wort
Protestkundgebung auf dem Markt in Hildburghausen
Foto: Gerd Krauß 5.April 1990
Protestkundgebung auf dem Markt in Hildburghausen
Foto: Gerd Krauß 5.April 1990
Protestkundgebung auf dem Markt in Hildburghausen
Foto: Gerd Krauß 5.April 1990
Protestkundgebung auf dem Markt in Hildburghausen
Foto: Gerd Krauß 5.April 1990
Protestkundgebung auf dem Markt in Hildburghausen
Foto: Gerd Krauß 5.April 1990
Protestkundgebung auf dem Markt in Hildburghausen
Foto: Gerd Krauß 5.April 1990
05.04.1990, Donnerstag
Konstituierung der Volkskammer der DDR. Abschaffung des Staatsrats. Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl (CDU) übernimmt provisorisch die Aufgaben des Staatsoberhaupts. Lothar de Maizière (CDU) wird mit der Regierungsbildung beauftragt. Am 12.04.1990 wird er zum Ministerpräsidenten gewählt.
10.04 bis 02.10.1990
Nachfolger des Ministeriums für Nationale Verteidigung wird das Ministerium für Abrüstung und Verteidigung. Trotz Verhandlungen gelingt es nicht, die Grenztruppen dem Innenministerium zu unterstellen.
Anmerkung
Am 12.09.1961, also einen Monat nach dem Mauerbau, wird mit Befehl 1/61 des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrats, Walter Ulbricht, die Deutsche Grenzpolizei (mit Wirkung v. 15.09.) in die Nationale Volksarmee (NVA) eingegliedert. Das ist ein DDR-Etikettenschwindel: Aus „Polizisten“ werden „Soldaten“. Die Grenzpolizisten werden dem Ministerium für Nationale Verteidigung unterstellt. Das NVA-Kommando Grenze verfügt seinerzeit über schwere Waffen: Panzer Typ T 34, Sturmgeschütze SU-76, schwere Infanteriewaffen usw.
Hildburghausen gehört bis zum Zusammenbruch der DDR zur Grenzbrigade 11, Stab in Meiningen.
11.04.1990, Mittwoch
Die Main-Post berichtet, dass der Kindergarten Rieth, Kreis Hildburghausen, eine Geldspende der unterfränkischen Orte Zimmerau und Sternberg (Gemeinde Sulzdorf an der Lederhecke) bekommen habe. Der Erlös eines Lichtbilderabends in Höhe von DM 580 wurde zum Kauf von Spielsachen gekauft.
12.04.1990, Donnerstag
DDR-Volkskammer wählt erstmals in ihrer Geschichte eine demokratische Regierung, es wird eine große Koalition gebildet: Allianz für Deutschland (15 Minister), Sozialdemokraten (7 Minister) und Liberale (3 Minister). Lothar de Maizière (CDU) wird zum Ministerpräsidenten gewählt.
16.04.1990, Montag
Nach 23 Jahren ist der Ostermontag in der DDR wieder ein Feiertag, der Karfreitag ist 1990 noch ein Arbeitstag.
18.04.1990, Mittwoch
Memorandum der Sowjetunion gegen einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
19.04.1990, Donnerstag
Regierungserklärung des Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière: Er fordert die schnelle Herstellung der Einheit Deutschlands gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
21.04.1990, Samstag
Zwischen den Städten Schleusingen, zum Zeitpunkt Kreis Suhl-Land, und Plettenberg im Sauerland (Märkischer Kreis, NRW) wird eine Städtepartnerschaft vereinbart.
23.04.1990, Montag
Die Deutsche Bundesbank schlägt bei einer Währungsunion vor, dass Einkommen und Renten im Verhältnis 2 : 1 umgestellt werden. Es kommt zu Protesten in der DDR.
23.04. bis 07.05.1990
Gemeinsamer Grenzbegang
Die Öffnung der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland am 09.11.1989 wirkte sich auch zwischenzeitlich auf die Zusammenarbeit der Grenzbehörden der beiden deutschen Staaten aus. Neben zahlreichen Treffen der GSA Süd 1 (Grenzschutzabteilung des Bundesgrenzschutzes) und der Grenzkommandos der Grenztruppen der DDR Meiningen und Hildburghausen kommt es zum genannten Zeitraum erstmals auch zu einer gemeinsamen Grenzbegehung. Im Zeitraum zwischen 1977 bis 1989 nahmen an den Grenzbegehungen auf Seiten der Bundesrepublik Angehörige des Bundesgrenzschutzes, der Bayerischen Grenzpolizei, des Grenzzolldienstes und der US-Army teil. Nach vorheriger Absprache zwischen dem Sachbearbeiter Sicherheit der GSA Süd 1 und den Leitern der Arbeitsgruppen Grenzsicherheit der GKK traf man sich am 34.04.1990 an der rechten Grenze des Abteilungsabschnittes, im Raum Dürrenried (Landkreis Haßberge, Unterfranken) – Käßlitz/DDR (Kreis Hildburghausen). An insgesamt 10 Tagen wurde der 124, 37 km lange Grenzabschnitt der GSA Süd 1 abgelaufen.
Der Grenzbegang hatte das Ziel, die Grenzbehörden der beiden deutschen Staaten eine Gesamtübersicht über den Stand der Grenzmarkierung (Grenzsteine, Hinweistafeln usw.) sowie der noch vorhandenen Embleme an den DDR-Grenzsäulen zu bekommen und die entstandenen Sturmschäden zu erfassen. Nach Beendigung konnte festgestellt werden, dass durch „Souvenirjäger“ zwischenzeitlich von den 251 DDR-Grenzsäulen nur noch zwei mit vollständigen Emblemen versehen waren. Auch die Hinweistafeln des Bundesgrenzschutzes und der Bayerischen Grenzpolizei sowie die Warntafeln der US-Army wurden von den Sammlern nicht verschont.
Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Institutionen aus Ost und West klappte reibungslos, dies drückte sich unter anderem dadurch aus, dass wechselseitig, je nach Örtlichkeit und in Bereichen von Windbruch, auf Bundes- oder DDR-Gebiet gelaufen wurde.
Bedingt durch die rasante Entwicklung dieser noch „innerdeutschen Grenze“ dürfte dies wohl der erste und zugleich letzte gemeinsame Grenzbegang von Behörden aus Ost und West im Grenzabschnitt der GSA Süd 1 gewesen sein.
Nach: PM Ritter in: Zeitschrift des BGS, 17. Jg., Nr. 5, Mai 1990
Erst im Frühjahr 1995 kommt es zur vorläufig endgültigen Minenräumung bzw. Nachsuche, hier am Todesstreifen in der Gemarkung Massenhausen (heute: Einheitsgemeinde Straufhain). Die oberen Bilder zeigen Vorbereitungsarbeiten.
Fotos: Bastian Salier
27.04.1990, Freitag
Beginn der offiziellen Gespräche der Regierungen der beiden deutschen Staaten in Bonn und Ost-Berlin über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.
Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg und DDR-Minister für Verteidigung und Abrüstung, Rainer Eppelmann, vereinbaren in Bonn eine enge Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Nationaler Volksarmee.
28.04.1990, Samstag
Die Gipfelkonferenz der Europäischen Union stimmt der Vereinigung Deutschlands zu.
Die „Zwei-plus-vier“-Gespräche beginnen in Bonn, der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Beteiligt sind Außenminister der beiden deutschen Staaten und der vier Siegermächte.
Ab diesem Samstag kann man wieder grenzenlos über den Rennsteig wandern. Am Nachmittag des 28.04. übergibt der Kommandant des Grenzkommandos, Oberst Bernd Rodewald, den Wanderübergang bei Spechtsbrunn, Kreis Neuhaus am Rennweg, offiziell an den Vertreter der Bayerischen Grenzpolizei, Hauptkommissar Willi Ruß. 5.000 Wanderfreunde aus Ost und West nutzen die Gelegenheit. Die Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen, Dr. Dorothee Wilms, wird herzlich begrüßt. Die begeisterte Menge singt das Rennsteiglied und die dritte Strophe des Deutschlandliedes. Deutschlands bekanntester und schönster Wanderweg ist wieder grenzenlos begehbar.
Nach: Wolfgang Wiegand. Aus: So viel Wende war noch nie.
Im Hildburghäuser Friedenspark (heute: wieder Schlosspark) veranstaltete die Jungliberale Aktion JULIA und die Tageszeitung Freies Wort ein deutsch-deutsches Kinderfest für behinderte und gesunde Kinder.
Mai 1990
01.05.1990, Dienstag
Fußball zwischen Ost und West
Vor 38 Jahren nahmen die Fußballer aus Heldburg und aus Sand am Main bereits einen Anlauf, ein Freundschaftsspiel auszutragen. Doch die damaligen Behörden wollten es nicht, dass die Menschen aus beiden Teilen Deutschlands solche Verbindungen pflegten und ließen die Sportler aus Sand nicht nach Heldburg einreisen. Gleich nach dem 9. November 1989 knüpften die Verantwortlichen beider Vereine die Bande wieder neu und organisierten einen lebhaften Spielverkehr der verschiedenen Mannschaften. Nachdem die Schülervertretungen schon den Anfang mit ihrer Freundschaftsbegegnung in Heldburg gemacht hatten, trafen die 1. Mannschaften in der Maingemeinde aufeinander. 1. Mai 1990 – um 9 Uhr setzt sich die Kolonne von 12 Trabis und Wartburgs in Bewegung. Zwar verloren die Heldburger das Spiel mit 12 : 0, doch sie gewannen viele neue Erkenntnisse und viele Freunde.
Fränkischer Tag, 11.05.1990
04.05.1990, Freitag
Ungesetzlicher Grenzabbau
Die Gemeinde Schweickershausen (Kreis Hildburghausen) hatte mit dem zuständigen Grenzkreiskommando Eishausen einen Vertrag abgeschlossen, nach dem den Schweickershäusern der Abbau des 2,5 km langen Hinterlandsicherungszaunes im Bereich der Gemeinde zugesichert wurde. Mitte April wurde dann mit dem Abbau des zugewiesenen Abschnitts begonnen. Da die Orte Schweickershausen und Ibind bei Burgpreppach einen Partnerschaftsvertrag abgeschlossen hatten, erschienen auch Mitglieder des Kleintierzuchtvereins aus Ibind mit entsprechendem technischen Gerät wie Notstromaggregat, um ihren Freunden aus der DDR beim Abbau zu helfen. Die Abbauarbeiten mussten aber wieder eingestellt werden, weil Oberfähnrich Scholz von der Grenzwache Einöd dies befahl. Seiner Meinung nach war die Aktion rechtswidrig, weil dieser Teil der Grenzanlage auch weiterhin bestehen bleiben solle, so erklärte Bürgermeister Ulrich Klette aus Schweickershausen. Er sowie sein Rat der Gemeinde waren allerdings der Meinung, dass in dieser Angelegenheit der Oberfähnrich seine Kompetenz überschritten habe. Wie Bürgermeister Klette erklärte, hoffe man, dass in Kürze die Abbrucharbeiten fortgesetzt werden können und der Sachverhalt mit dem zuständigen Grenzkommando geklärt werde. Hauptmann Fröhlich, stellvertretender Kompaniechef der Grenzwache Einöd, erklärte auf Anfrage, dass Oberfähnrich Scholz seiner Meinung nach nicht ausreichend über den abgeschlossenen Vertrag unterrichtet war. Major Wyhrenbeck, der Kommandeur des Grenzkreiskommandos Eishausen, hatte jedoch am Handeln des Oberfähnrichs nichts auszusetzen. Nach seinen Aussagen verbiete Punkt 5 der Vereinbarung zwischen dem Grenzkreiskommando und dem Rat der Gemeinde Schweickershausen den Verkauf oder die Weitergabe der abgebauten Metallgitterplatten an Dritte ausdrücklich. Dazu erklärte Bürgermeister Klette, dass es sich in diesem Fall nicht um eine Schenkung an den Kleintierzuchtverband Ibind handeln würde. Dafür liege sogar eine amtlich genehmigte Ausfuhrbescheinigung vor. Nun herrsche in der DDR die Angst, dass ganze Abschnitte in den Westen verkauft werden und dort die „begehrte Ware“ nur für viel D-Mark erworben werden könne.
Nach: Fränkischer Tag, 04.05.1990
05.05.1990, Samstag
Der Grenzübergang Lindenau – Autenhausen wird eröffnet.
Der Wahlkampf zu den Kommunalwahlen am 06.05.1990. Neben den etablierten Parteien, die sich denen der Bundesrepublik mehr oder weniger schnell „angleichen“, tritt auch das Neue Forum“ an, das auf dem Hildburghäuser Marktplatz eine Informationsveranstaltung organisiert hat.
Foto: Freies Wort
06.05.1990, Sonntag
Kommunalwahlen in der DDR und
somit für den Kreistag Hildburghausen (61 Sitze).
Wahlberechtigte: 44.084 (Jeder Wähler hat 3 Stimmen)
Anzahl der Wähler: 37.078 (84,11 %)
Gültige Stimmen: 98.453
CDU 35,20 % 22 Mandate
SPD 20,25 % 12 Mandate
B.F.D. (Liberale) 13,24 % 8 Mandate
PDS 11,69 % 7 Mandate
DBD 7,64 % 5 Mandate
DFD 5,68 % 4 Mandate
DSU 4,47 % 3 Mandate
Peter Menz, CDU, wird erster frei gewählter Landrat des Landkreises Hildburghausen seit den 30er Jahren. (Am 31.12.1992 tritt Menz von seiner Funktion zurück.)
Als Beigeordnete werden gewählt: Rolf Kaden (B.F.D.), Jochem Vonderlind (B.F.D.), Horst Reuter (CDU), Ute Müller (CDU), Wolfgang Marbach (DBD), Dr. Karl-Heinz Stengler (SPD), Norbert Pförtner (PDS). Zum Kreistagspräsidenten wird Dr. Elmar Weidenhaun (CDU) gewählt. Stellvertreter: Helmut Baum (SPD), Marlis Hönel (DFD), Horst Grötenherdt (B.F.D.), Anneliese Stengler (SPD).
Stimmauszählung zu den Kommunalwahlen am 06.05.1990. Auch Vertreter von Parteien und Wählergruppierungen sowie interessierte Bürger nehmen daran teil.
11.05.1990, Freitag
Der Fränkische Tag Bamberg, Ausgabe Haßberge, veröffentlicht einen Aufruf der Gemeinde Bürden (heute: OT von Hildburghausen), dass der Rat der Gemeinde Bürden die Möglichkeit nutzen möchte, eine Kontaktaufnahme mit einer Gemeinde zu bewerkstelligen. Das Dorf liegt 7 km von Hildburghauen entfernt und befindet sich in landschaftlich schöner Gegend. Die Einwohnerzahl liegt bei ca. 240. Ratsmitglied Gerlinde Oberender schreibt: „Wir sind an einer Partnergemeinde zum Erfahrungsaustausch, gemütlichen Beisammensein und gegenseitigen Kennenlernen interessiert.“
In einer Sonderbeilage im Fränkischen Tag heißt es unter der Überschrift „Noch Berührungsängste?“ über gemeinsame Aktivitäten an der Hauptverkehrsader im Baunachgrund, die B 279: „Enttäuschend die Reaktion der Bürgermeister in den Gemeinden des Landkreises Hildburghausen. Trotz der schriftlichen Bitte, für diese Verlagsbeilage einige Informationen zu geben, blieb das Echo schwach. Nur Kommunen, die schon intensive Westkontakte pflegen, meldeten sich zu Wort. Schade, das Interesse der Leser im Bereich zwischen Bamberg, Haßfurt und Maroldsweisach war schon im Vorfeld sehr groß. Umso erfreulicher die Zusammenarbeit des Rates des Kreises Hildburghausen, die selbst ‚Kulturmuffel’ neugierig macht.“
14.05.1990, Montag
Die Main-Post meldet am 14.05.1990: „Religionsunterricht in den Schulen der DDR wäre wünschenswert, aber dazu fehlen uns jetzt die Lehrer.“ Dies stellten Pfarrer Klaus Dette, Römhild, und sein katholischer Amtsbruder Alfred Rind, Wolfmannshausen, bei einer Veranstaltung des ökumenischen Arbeitskreises in Bad Königshofen fest. Mit dem durch die Bibel überlieferten Kampf des Daniel in der Löwengrube verglich Pfarrer Alfred Rind die Stellung der Kirche: „Wir dachten uns, entweder sie fressen uns, dann haben sie ganz schön daran zu kauen, oder wir kommen durch.“
16.05.1990, Mittwoch
Bund und Länder sind sich einig über die Schaffung eines Fonds „Deutsche Einheit“ zur Unterstützung der DDR in Höhe von 115 Milliarden DM. Das Geld soll zum Großteil am Kapitalmarkt aufgenommen werden.
17.05.1990, Donnerstag
Die DSU-Fraktion der Volkskammer beantragt den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, der Antrag wird in die Ausschüsse verwiesen.
18.05.1990, Freitag
Unterzeichnung des Staatsvertrags zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion von den Finanzministern Theo Waigel (Bundesrepublik) und Walter Romberg (DDR).
27.05.1990, Sonntag
Die Main-Post berichtet am 29.05.1990 über die Wallfahrt über den Eisernen Vorhang: Erstmals eröffnete sich für eine Wallfahrergruppe aus dem Fränkischen der Eiserne Vorhang, und zwar an der Wegesperre Zimmerau, Landkreis Rhön-Grabfeld – Rieth, Kreis Hildburghausen. Hier durchquerten rund 200 Wallfahrer aus Bad Königshofen und dem Grabfeld die Grenzsperranlagen, wallten betend und singend über Rieth und Hellingen bis nach Poppenhausen, wo sie das Heldburger Unterland wieder in Richtung des Wallfahrtsortes Vierzehnheiligen verließen. Nachdem bei Poppenhausen niemand zum Öffnen des Tores im eMgz (einreihiger Metallgitterzaun, d. Verf.) gekommen war, lösten die Wallfahrer mit ihren Spazierstöcken die Bolzen der schweren Tore. Als Dank und als Erinnerung an die historische Wallfahrt 1990 stifteten die Männer ein Kreuz, das im darauffolgenden Jahr bei der Wallfahrt eingeweiht wurde.
31.05.1990, Donnerstag
Die Volkskammer beschließt, das Vermögen der Parteien und Massenorganisationen treuhänderisch verwalten zu lassen (Regierungskommission). Das Staatswappen der DDR wird in und an allen öffentlichen Gebäuden entfernt.
Mai 1990
Im ehemaligen Grenztruppenwachturm (militärische Führungsstelle) bei Gompertshausen, Kreis Hildburghausen, wird auf Initiative eines ehemaligen Grenztruppenangehörigen eine Art Museum eingerichtet.
Juni 1990
Juni 1990
Gab es bei Hildburghausen in Katyn?
In Hildburghausen kommt es zu staatsanwaltlichen Untersuchungen zu den von den Sowjets (GPU – politische Staatspolizei in Sowjetrussland) von 1945 bis Frühjahr 1946 im Waldabschnitt Lehmrangen (Häselrieth) auch hinter vorgehaltener Hand „Katyn-Wäldchen“ genannt (Katyn [UdSSR, Gebiet Smolensk], steht für den Ort, an dem Stalin mehr als 4.000 polnische Offizieren hinrichten ließ und den Deutschen die Schuld zuwies). Massenerschießungen erfolgten vermutlich auch nahe des Runden Steinernen Tisches sowie um Quellbrünnleinsteich – zumeist nach Denunziation durch Deutsche. Am 03.03.1948 werden acht (vier durch Schädelzertrümmerungen und vier durch Genickschuss) hingerichtete Bürger ausgegraben und am 04.03.1948 auf Beschluss des Amtsgerichts Hildburghausen zur Bestattung auf dem Häselriether Friedhof freigegeben. Anschließend ließen die Sowjets das Gelände mit Kettenfahrzeugen planieren.
Nach Ermittlungen handelt es sich um die Bürger Rudolf Baum, Max Friedrich (Poppenhausen), Hans Bulle (Fehrenbach), Broder Bansen, Louis Großmann, Bahnhofsvorsteher Müller (Hildburghausen), Erich Pasenau (Massenhausen), Hans Zapf (Häselrieth).
Die Verbrechen können auch nach Untersuchungen der Kreisstaatsanwaltschaft im Jahr 1990 nicht aufgeklärt werden. Einige Zeugen sind verstorben, andere schweigen noch heute.
13.06.1990, Mittwoch
In Berlin wird mit dem Abbau der 47 km langen Mauer begonnen. Als Mahnmale bleiben an vier Stellen Mauerreste erhalten.
16.06.1990, Samstag
Die Main-Post berichtet am 18.06.1990, dass mehr als 20 Grenztore an der Grenze zwischen dem Bezirk Suhl und Unterfranken aus ihren Angeln gehoben worden sind, um Überwege für den Verkehr zu öffnen. An den offenen Grenzübergängen werde nur noch sporadisch von den DDR-Organen kontrolliert.
17.06.1990, Sonntag
Die Volkskammer beschließt ein Gesetz über Verfassungsgrundsätze. Sich auf die sozialistische Staatsordnung beziehende Rechtsvorschriften werden außer Kraft gesetzt.
Erstmals gedenkt man in der DDR offiziell der Opfer des Volksaufstandes vom Juni 1953. Zum „Tag der Deutschen Einheit“ spricht auf einer Großkundgebung im Grenzgebiet zwischen Heinersdorf, Kreis Sonneberg, und Welitsch vor etwa 10.000 begeisterten Zuhörern Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel.
21.06.1990, Donnerstag
Bundestag und Volkskammer verabschieden gleichlautende Erklärungen über die Endgültigkeit der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze.
29.06.1990, Freitag
Situationsbericht des Suhler Bezirkskomitees zur Auflösung der Stasi
Das Komitee lud am Freitag vor der Währungsunion ins Kulturhaus, um einen Situationsbericht zu geben vor Stasimitarbeitern zu warnen, die nach wie vor an den Hebeln der Macht sitzen. So wurde u. a. festgestellt, dass allein 13 Offiziere in besonderem Einsatz untergetaucht bzw. noch nicht enttarnt wurden.
Ihre Forderung nach schneller Untersuchung und Preisgabe der Namen fand beim Auditorium lautstarken Beifall. Besucher und Bürgerkomitee waren sich einig, dass diese ‚Offiziere’ nunmehr Zeit genug hatten, über ihr Tun nachzudenken und sich, sofern sie ein Quentchen Charakter besitze, zu stellen. Da dies bislang nicht geschah, bleibt nur der Weg über die Stasi-Akten. Doch die Bürgerkomitees sind nicht befugt, dies öffentlich zu machen. Das wäre Sache der demokratisch gewählten Abgeordneten in der Volkskammer, der Stadt- und Kreisparlamente. Wieso äußert sich das Innenministerium nicht? Sollen da schon wieder Dinge vertuscht werden. Fragen, die alle im Saale bewegten. Wird vielleicht schon wieder das Spiel mit der Angst getrieben – wer seine Meinung zu laut sagt, ist derjenige, welcher auf der Entlassungsliste obenauf steht?
Das Suhler Bürgerkomitee zur Auflösung der Stasi will sich jedenfalls so einfach nicht abservieren lassen, denn laut Volkskammerbeschluß wäre er nur bis zum 30. Juni legitimiert gewesen … Zwar ist das Komitee zahlenmäßig geschrumpft, doch nach wie vor wird enorme Arbeit geleistet. Und das nicht nur bei der Sicherstellung der Stasi-Akten. Dem Komitee geht es um die Aufarbeitung der Geschichte, um die Aufdeckung der Strukturen, der engen Verflechtung des perfekten Bespitzelungsapparates mit dem SED-Staat. Das muß exakt bekannt sein, nur so kann die Öffentlichkeit verhindern, dass es jemals wieder eine derartige Bündelung von Macht gibt. Solange engagierte Bürger den Fuß in den Archiven mit den Stasi-Akten haben, können Teile dieser akribisch geführten Dokumentationen nicht einfach der Vernichtung preisgegeben werden oder sang- und klanglos verschwinden. Die Forderung der Bürgerkomitees nach Anbindung in parlamentarischen Ausschüssen, ausgestattet mit Vollmachten, ist relevant und dringend. Siegfried Geißler beispielsweise wird als Beauftragter des Landes Thüringen in einem solchen Ausschuß der Volkskammer mitarbeiten. Denkbar wäre ein solches Herangehen auch für die Suhler Stadtverordnetenversammlung.
Wie wichtig es ist, die Stasi-Vergangenheit nicht aus den Augen zu lassen, schilderte Siegfried Geißler anhand eines konkreten Befehls und detaillierter Unterlagen: Für den Fall X der Konterrevolution gab es alljährlich mehrere Spielchen (sprich Übungen!). Der obersten Bezirkseinsatzleitung gehörten 7 Personen an: zum Beispiel der SED-Chef Albrecht, sein Stellvertreter, aber auch der Chef der Volkspolizei. Und es kommt nicht nur dem Bürgerkomitee (bei allem Dank für die Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei) spanisch vor, dass ausgerechnet der Polizeichef des Bezirkes noch immer auf gleichem Posten-Kommando sitzt. Pläne, die mit „I“ gezeichnet sind und für „Internierungslager“ stehen dürften, müssten Herrn Thieme also durchaus bekannt gewesen sein. Die BdVP untersteht dem Innenministerium von Herrn Diestel. Es dürfte wohl auch zu den Kuriositäten der Geschichte zählen, dass ein Justizminister Wünsche nunmehr zuständig ist für Rehabilitationsverfahren jener Bürger, denen durch den DDR-Staat großes persönliches Unrecht geschah. Für dieses Unrecht zeichnete nämlich eben Herr Wünsche per Gesetz mit Verantwortung.“
Nach: Freies Wort, Suhl, vom 03.07.1990 (Redakteurin I. Ehrhardt)
Juli 1990
01.07.1990, Sonntag
Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion tritt in Kraft. Die D-Mark ist alleiniges Zahlungsmittel in beiden deutschen Staaten. Personenkontrollen an der innerdeutschen Grenze fallen weg, ebenso Notaufnahmeverfahren für Übersiedler aus der DDR.
Eine unübersehbare Menschenmenge hatte sich an dem historischen 1. Juli 1990 an der Gebrannten Brücke zwischen Sonneberg und Neustadt bei Coburg versammelt.
Foto: Rainer Krebs
An der Grenze bei Hönbach (Sonneberg) unterzeichnen der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, Wolfgang Schäuble, und der Innenminister der Deutschen Demokratischen Republik, Peter-Michael Diestel, den Vertrag zum Wegfall der Demarkationslinie.
Am 1. Juli 1990 wird der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik an der Gebrannten Brücke unterzeichnet.
Foto von links (sitzend): Bayerns Innenminister Dr. Edmund Stoiber, Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble, DDR-Innenminister Dr. Peter Michael Diestel.
Die Neue Presse, Coburg, berichtet am 02.07.1990 von diesem Ereignis:
„Als Peter-Michael Diestel, Dr. Wolfgang Schäuble und Dr. Edmund Stoiber in ihren Hubschraubern am Sonntagvormittag Neustadt entgegen schwebten, sahen sie an der ‚Gebrannten Brücke’, dem ehemaligen Grenzübergang von Neustadt nach Sonneberg, eine Menschenmenge warten, wie sie dieser Ort noch niemals erlebt hatte. Zehntausende waren aus ganz Deutschland gekommen, um die Unterzeichnung des Abkommens über die Aufhebung der Personalkontrollen an den innerdeutschen Grenzen hautnah mitzuerleben. Der Festakt geriet zu einem Volksfest. So mancher hatte Tränen in den Augen, als Schäuble den Wegfall der Grenzkontrollen verkündete. Mitten auf der Linie, die noch vor wenigen Monaten nicht nur Bayern und Thüringen, sondern zwei völlig verschiedene Welten trennte, war das Podium errichtet, auf dem Schäuble und Distel per Unterschrift die Grenzkontrollen ad acta legten. Beinahe jeder Satz der beiden Spitzenpolitiker war von lang anhaltendem Beifall der Zuschauer begleitet. Für den bayerischen Grenzpolizeibeamten Erich Bauer war die Aufhebung er Kontrollen ein besonderer Moment. Er war es nämlich, der vor 17 Jahren das erste Fahrzeug abfertigte, das den Grenzübergang Rottenbach – Eisfeld passierte.
Ferner berichtet die Neue Presse, dass während des Festaktes zum Wegfall der Kontrollen an der innerdeutschen Grenze in Neustadt bei Coburg Mitglieder des DDR-Grenzschutzbundes für ihre Rechte demonstrierten. „Erst 40 Jahre missbraucht und betrogen, in den letzten Wochen nur noch belogen“, stand auf einem der Plakate, die DDR-Grenzschützer im Publikum entrollten. Damit brachten sie die Angst um die Arbeitsplätze und soziale Absicherung zum Ausdruck.
Der ungehinderte Weg von Deutschland nach Deutschland
„Personenkontrollen an den innerdeutschen Grenzen aufgehoben – Abkommen von Bundesinnenminister Dr. Schäuble und Minister Dr. Diestel/DDR unterzeichnet. Was wir seit 40 Jahren erträumt haben, was viele nicht mehr zu hoffen wagten, wird Wirklichkeit: Der ungehinderte Weg von Deutschland nach Deutschland”, erklärte Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble in einer Ansprache am Sonntag, dem 1. Juli 1990, am Grenzübergang Neustadt/Coburg – Sonneberg (DDR). Zehntausende von Menschen hatten sich diesseits und jenseits an diesem Grenzabschnitt der ehemaligen innerdeutschen Grenze eingefunden, als der Bundesinnenminister und sein DDR-Amtskollege Dr. Peter-Michael Diestel das Abkommen über die Aufhebung der Personenkontrollen an den innerdeutschen Grenzen unterzeichneten.
Beide Minister und der Innenminister des Freistaates Bayern, Dr. Stoiber, äußerten Freude und Zuversicht, unterließen es aber auch nicht, noch einmal auf den Unrechtscharakter und die schrecklichen Geschehnisse an der innerdeutschen Grenze über Jahrzehnte hinzuweisen.
Das Abkommen wurde von den Rednern als ein Stück Frieden und Freiheit für alle Deutschen und als die Überwindung eines traurigen Kapitels deutscher Geschichte, als ein ‚großer Tag’ für Deutschland gefeiert. Lange vor Beginn des Festaktes hatten sich Menschen aus Bayern und Thüringen am Grenzübergang eingefunden. Ein richtiges Volksfest entwickelte sich, wie wir es schon kennen von der Öffnung der innerdeutschen Grenze durch die DDR am 9. November 1989.
Das Musikkorps des Grenzschutzkommandos Süd und das Musikkorps der DDR-Grenztruppen aus Suhl musizierten einzeln und zusammen, Beamte des Bundesgrenzschutzes, der Bayerischen Polizei und des Grenzschutzes der DDR verrichteten gemeinsam den notwendigen Ordnungsdienst.
Der Vertragsunterzeichnung wohnten Politiker von Bund und Land sowie hochrangige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bei. Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble fasste in seiner von viel Beifall begleiteten Ansprache das Grundanliegen ‚ganz Deutschland’ und ‚persönliche Freiheit und Freizügigkeit im Lande’ so zusammen:
‚Mit dem heutigen Tage werden die Personenkontrollen an der innerdeutschen Grenze aufgehoben. Das Abkommen darüber werde ich mit Herrn Minister Dr. Diestel unterzeichnen. Ich danke den Verhandlungsdelegationen und allen anderen Beteiligten für ihre engagierte Arbeit.
Was wir seit 40 Jahren erträumt haben, was viele nicht mehr zu hoffen wagten, wird Wirklichkeit: Der ungehinderte Weg von Deutschland nach Deutschland. Deutsche und die meisten Ausländer dürfen ab sofort die Grenzen zwischen den beiden deutschen Staaten sowie zwischen West- und Ostberlin an jeder beliebigen Stelle ungehindert überschreiten.
Was am 9. November und hier in Neustadt am 12. November 1989 mit der Öffnung der Grenzzäune seinen Anfang nahm, vollendet sich jetzt: Nach 45 Jahren der widernatürlichen und schmerzlichen Teilung Deutschlands verschwinden die Barrieren, die uns Deutsche trennten.
In unsere Freude darüber mischt sich Trauer: Über das Leid, das diese Grenze den Menschen in Deutschland zugefügt hat. Um diejenigen, die den Versuch, sie zu überqueren, mit dem Leben bezahlt haben. Darüber, dass auch 40 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges im anderen Teil unseres Vaterlandes ein Regime geherrscht hat, das auf Menschen schießen ließ, weil sie das elementarste Menschenrecht wahrnahmen: Das Recht, sich frei zu bewegen, wohin man will.
Doch die Menschen in der DDR haben dieses Regime gestürzt. Jetzt wird Freizügigkeit hergestellt. Und sie wird hergestellt gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Staatsvertrags vom 18. Mai 1990 über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Der Zeitpunkt ist bewusst gewählt. Soll die durch den Staatsvertrag entscheidend vorbereitete staatliche Einheit für die Menschen schon jetzt erlebbare Wirklichkeit werden, bedarf es dazu voller Bewegungsfreiheit in Deutschland.
Mehr Freizügigkeit wird ab heute auch an einer anderen Grenze herrschen. Unmittelbar nach der hiesigen Veranstaltung werde ich in Waldsassen einen von sechs neuen Grenzübergängen zur Tschechoslowakei eröffnen. Die Verknüpfung der beiden Ereignisse bringt zum Ausdruck, dass wir die deutsche Einheit nicht aus isoliertem nationalem Egoismus, sondern in europäischer Verantwortung anstreben. Das vereinigte Deutschland muss Teil eines Europas der offenen Grenzen sein, Teil des solidarischen Miteinanders, das auch Osteuropa umfasst. ...’
Als ein bedeutendes Datum in der gemeinsamen deutschen Geschichte bezeichnete der Innenminister der DDR, Dr. Peter-Michael Diestel, den 1. Juli 1990. Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion seien jetzt Wirklichkeit. Die bisherige Grenze habe nicht nur Deutschland geteilt, sondern sei auch Ausdruck der Konfrontation und der Kälte gewesen, aber sie habe die Menschen nicht voneinander trennen können.
Dr. Diestel bezeichnete die 1.378 km lange Grenze als ein Stück grausamer Vergangenheit. Die Tränen, die an dieser Grenze geflossen seien, und das unmenschliche Leiden sollten nicht vergessen werden. Minister Dr. Diestel distanzierte sich ausdrücklich von Grenze und Schießbefehl. Er sprach sich für eine Beseitigung der bisherigen DDR-Grenzsperranlagen aus. Es sollten jedoch Teile als Mahnmale erhalten bleiben, um an die unerträgliche Trennung zu erinnern.
Die Aufhebung der Personenkontrolle in Deutschland bezeichnete Bayerns Innenminister Dr. Stoiber als ein Signal der Freiheit und der Freizügigkeit. Sie diene der Stabilisierung des Friedens. Dr. Stoiber regte die Errichtung einer Gedenkstätte an, die die Nachwelt an das menschenverachtende frühere SED-Regime erinnern solle. Der Minister kündigte an, dass ab 1. Juli 1990 die Bayerische Grenzpolizei der Landespolizei unterstellt werde. Alle Beamten würden für andere polizeiliche Aufgaben gebraucht.
Unter einem riesigen Andrang von Journalisten, Fotoreportern und Kameramännern des Fernsehens unterschrieben die Minister Dr. Schäuble und Dr. Diestel direkt an der Grenze das Abkommen zwischen beiden deutschen Staaten über die Aufhebung der Grenzkontrollen.“
Nach: Zeitschrift des Bundesgrenzschutzes. – 17. Jahrgang, Nr. 7/8, 1990
02.07.1990, Montag
Die Main-Post schreibt:
„Seit Sonntag, 10 Uhr, keine Kontrollen mehr zwischen der Bundesrepublik und der DDR. – Der BGS nahm Abschied von der Grenze. Deutschland, eilig, eilig Vaterland.
Seit Sonntag, 10 Uhr, gibt es zwischen Bundesrepublik und der DDR keine Kontrollen mehr. Die Grenze hat damit de facto einen Status wie die zwischen Bayern und Hessen. Für den Bundesgrenzschutz und seine rund 560 Beamte in Oerlenbach brach damit eine neue Ära an, einer der wichtigsten Aufgabenfelder entfällt. Am Freitag wurde die letzte Streife gefahren. Der Übergang Trappstadt – Eicha am Freitagmittag: Die Abfertigungscontainer waren schon fast ‚versandfertig’, die Kontrollen nur ‚angedeutet’ – ein nettes Durchwinken. Noch am Sonntag wurden die Warnbaken beseitigt, die die Zufahrt verengen. Die Straße zwischen beiden Orten ist jetzt eine ganz normale Verbindung.“
Die Neue Presse, Coburg, schreibt:
„Der bayerische Innenminister Dr. Edmund Stoiber hält es auch nach dem Wegfall der Grenzkontrollen an der innerdeutschen Grenze für wichtig, die Zeit der deutschen Teilung nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Er möchte deshalb eine Gedenkstätte an der ehemaligen Grenze einrichten, in der Relikte der Teilung Deutschlands ausgestellt werden und über besondere Geschehnisse diesseits und jenseits des Gitterzaunes informiert wird.“
03.07.1990, Dienstag
Die DDR-Regierung stimmt gesamtdeutschen Bundestagswahlen zu.
05.07.1990, Donnerstag
Beginn des Wiederaufbaus der Veste Heldburg, in Anwesenheit der Erzherzogin Regina von Habsburg, geborene Prinzessin von Sachsen-Meiningen (1925 – 2010). Bei der Veranstaltung präsentiert der erst wenige Tage alte Verlag Frankenschwelle Hans J. Salier seine erste Buchproduktion, die der Veste Heldburg gewidmet ist. Die Erzherzogin ist verheiratet mit Otto von Habsburg (1912 – 2011), dem Sohn des Kaisers Karl I. und Zita Maria delle Grazie di Borbone. Der Europaabgeordnete der CSU wird nach Gründung des Fördervereins Vorsitzender.
06.07.1990, Freitag
Aufnahme von Verhandlungen auf Regierungsebene zum Einigungsvertrag.
16.07.1990, Dienstag
Gespräche zwischen Gorbatschow und Kohl in Moskau und im Kaukasus. Zustimmung der UdSSR für die Mitgliedschaft eines geeinten Deutschland in der NATO, Abzug der Sowjettruppen innerhalb von drei bis vier Jahren.
22.07.1990, Sonntag
Volkskammerbeschluss über die Wiederherstellung der 1952 aufgelösten Länder. Festlegung der Landtagswahlen auf den 14.10.1990.
24.07.1990, Dienstag
Wegen Unstimmigkeiten über den Modus gesamtdeutscher Wahlen verlassen die Liberalen das Regierungsbündnis in der DDR.
August 1990
01.08.1990, Mittwoch
Veröffentlichung des DDR-Entwurfs zum Einigungsvertrag.
03.08.1990, Freitag
Unterzeichnung des Wahlvertrags in Ostberlin (5-Prozent-Klausel, Listenverbindungen).
Die Main-Post veröffentlicht unter der Überschrift Gefährliche Grenzanlagen die Meldung, dass Vorsicht geboten sei beim Betreten noch bestehender Grenzanlagen im deutsch-deutschen Grenzgebiet. Als Beispiel wird der Spanshügel bei Trappstadt, Landkreis Rhön-Grabfeld, und zum Kreis Hildburghausen angeführt. Ein am Metallgitterzaun angebrachtes Schild weist darauf hin, dass das Betreten des Areals bis zum Abschluss von Aufräumungsarbeiten verboten sei.
08.08.1990, Mittwoch
Die Volkskammer wendet sich an die Bundesregierung mit der Bitte, die gesamtdeutschen Wahlen auf den 14.10.1990 zu legen. Es wird ein Anschluss der Deutschen Demokratischen Republik an die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 des Grundgesetzes vorgeschlagen.
19.08.1990, Sonntag
Die SPD verlässt die Regierungskoalition der DDR.
21.08.1990, Dienstag
Die Neue Presse, Coburg, berichtete:
„In der BGS-Unterkunft in Coburg geht es ab 1.10.1990 bunter zu: Erstmals wird ein Zug von Angehörigen des Grenzschutzes der DDR ausgebildet. Die Polizeianwärter für den Mittleren Dienst tragen zwar im Alltagsbetrieb die Arbeitsanzüge des Bundesgrenzschutzes, bei feierlichen Anlässen jedoch dürfen die jungen DDR-Bürger – nach gegenwärtigem Stand – ihre eigene Uniform tragen. Nach Information von Polizeidirektor im BGS Christian Hagen wird aus der DDR zum 1.10. ein Kontingent von 130 Personen eingestellt, die ihre Grundausbildung schon bei der DDR-Grenztruppe hinter sich gebracht haben. Rein rechtlich sind die DDR-BGSler weitere Angehörige des Grenzschutzes der DDR und bleiben das auch. Deshalb werden diese Auszubildenden auch nicht im November mit den übrigen vereidigt. Nehmen sie aber an der Zeremonie teil, geben sie als eigener Zug in eigenem Outfit der Feier den besonderen Farbtupfer.“
23.08.1990, Donnerstag
Die Volkskammer der DDR beschließt den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 03.10.1990 (294 Abgeordnete stimmen für den Beitritt: CDU/DA, DSU, SPD, F.D.P.; 62 Gegenstimmen, 7 Enthaltungen). Der Bundestag verabschiedet das Wahlgesetz.
31.08.1990, Freitag
In Ostberlin wird der Einigungsvertrags von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und DDR-Staatssekretär Günther Krause unterzeichnet.
September 1990 bis 03.10.1990
01. bis 21.09.1990,
Die im Ministerium für Abrüstung und Verteidigung verbliebenen militärischen Kräfte werden als Abrüstungs- und Kultivierungskommando geführt.
01.09.1990, Samstag
Das Arbeitsamt Coburg (Bereich Stadt und Landkreis Coburg, Lichtenfels) registriert, dass täglich etwa 4.000 DDR-Bürger einpendeln.
12.09.1990, Mittwoch
Die Außenminister der 4 Siegerstaaten und der beiden deutschen Staaten unterzeichnen den „Zwei-plus-vier-Vertrag“.
Nach der Ratifizierung erlöschen die Rechte der Siegermächte.
Die Nachkriegszeit endet.
13.09.1990, Donnerstag
Die Bundesrepublik Deutschland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken unterzeichnen einen Vertrag zur Zusammenarbeit und Nichtangriffsvertrag. Für den Abzug der Sowjetarmee aus der DDR bis 1994 erhält die UdSSR 13 Mrd. DM (6,6 Mrd. EUR).
19.09.1990, Mittwoch
Die DDR-Regierung ernennt Joachim Gauck zum Sonderbeauftragten für den Umgang mit personenbezogenen Stasiakten (Stasi-Unterlagen-Gesetz).
20.09.1990, Donnerstag
Die Volkskammer und der Bundestag ratifizieren den Einigungsvertrag, am 21.09. der Bundesrat (299 Abgeordnete der Volkskammer stimmen für den Einigungsvertrag, 80 dagegen, 1 Abgeordneter enthält sich. Im Bundestag stimmen 442 Abgeordnete für den Einigungsvertrag, 47 dagegen, 3 enthalten sich der Stimme).
21.09.1990, Freitag
Rainer Eppelmann, Minister für Abrüstung und Verteidigung, unterschreibt mit dem Befehl 49/90 die endgültige Auflösung der Grenztruppen der DDR.
In Ziffer 6 heißt es:
„Die Arbeiter zum Abbau der Grenzsicherungs- und Ausbildungsanlagen, zum Rückbau der fernmeldetechnischen Anlagen sowie zur Rekultivierung und Herstellung der Sicherheit in Abschnitten ehemaliger Minensperren sind fortzusetzen. Der Abbau der Grenzsicherungsanlagen in Berlin und im Bezirk Potsdam soll bis zum 1. Dezember 1990 abgeschlossen werden. In den Abschnitten ehemaliger Minensperren (12 Abschnitte mit insgesamt 35 km) sind mindestens vier Arbeits- und Räumkommandos der Grenztruppen einzusetzen. Der Abbau der Grenzsicherungsanlagen in Berlin und im Bezirk Potsdam sowie die Herstellung der Sicherheit in den Abschnitten ehemaliger Minensperren sind durch den Einsatz von Truppen der Landstreitkräfte zu unterstütze. Über Umfang und Art der durchzuführenden Arbeiten und der einzusetzenden Kräfte nach dem 2. Oktober 1990 entscheidet der Bundesminister der Verteidigung.“
Freies Wort, Suhl, meldet, dass Quelle in Nürnberg-Fürth, den größten Bestellungsboom erlebt. Verursachte hätten diese Konjunktur die neuen Kunden aus der DDR. Fast 50 Prozent aller Pakete hatten ihren Zielort im Osten Deutschlands. Saison-Arbeitskräfte waren deshalb gefragt. Im Nürnberger Raum waren keine zu finden. Seit August vermittelte das Suhler Arbeitsamt deshalb 400 Frauen und Männer aus grenznahen Kreisen des Bezirks nach Nürnberg. Per muss ging es hin und zurück.
Schon die Busfahrt von etwa 5 Stunden täglich war strapaziös. Doch auch das Jobben im Versandhaus war hart. Die Norm war hoch und Fehler wurden mit Leistungsabzug geahndet. Wer flink arbeitete, konnte es auf etwa 2.400 DM bringen.
22.09.1990, Samstag
Wiedergründung des Thüringerwald-Vereins 1880 e.V. in der Alexandrinenhütte auf der Sennigshöhe in den Langen Bergen bei Mirsdorf, Landkreis Coburg.
Anmerkungen
- Lange Berge: im Norden des Landkreises Coburg, kleiner Mittelgebirgszug auf einer Muschelkalk-Hochfläche, nahe der A 73 zwischen Lautertal und Bad Rodach. In Südthüringen Frankenschwelle genannt (etwa von Herbartswind/Bockstadt bis Untermaßfeld).
- Großen Anteil an der Weiterentwicklung des traditionsreichen und 1880 in Ilmenau gegründeten Thüringerwald-Vereins nach der Wiedervereinigung hat der Coburger Bäckermeister, CSU-Stadtrat Wolfgang Süße (1937 – 2013, Vorsitzender der Coburger Bäckerinnung, Ehrenvorsitzender des Gesamtvereins 2004, Bundesverdienstkreuz 1992). Der 1952 aus Ummerstadt, Kreis Hildburghausen, mit seiner Familie vom SED-Regime zwangsausgesiedelte Süße, der ab 1981 Erster Vorsitzender des Coburger Vereins wird und ab 1992 Vorsitzender des gesamtdeutschen Thüringerwald-Vereins ist über Jahrzehnte hinweg die gestaltende und treibende Kraft des Vereins.
24.09.1990, Montag
Austritt der DDR aus dem Warschauer Vertrag (im Westen als Warschauer Pakt bezeichnet, eigentlich „Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“). Das 1955 gegründete Militärbündnis der europäischen kommunistischen Staaten stand unter der Hegemonie der Sowjetunion.
Der DDR-Minister für Abrüstung und Verteidigung, Rainer Eppelmann, und der Oberkommandierende der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Paktes, der sowjetische Armeegeneral Pjotr G. Luschew, unterzeichnen ein Protokoll über die Herauslösung der Nationalen Volksarmee aus der militärischen Organisation des Bündnisses. Das gesamte Bündnis wird am 01.07.1991 aufgelöst.
26.09.1990, Mittwoch
Letzte DDR-Kabinettssitzung.
01.10.1990, Montag
Die Siegermächte suspendieren in New York ihre Vorbehaltsrechte auf Deutschland bis zum Inkrafttreten des „Zwei-plus-vier-Vertrages“. Der Vertrag muss noch von den Parlamenten ratifiziert werden. Damit hat Deutschland seine volle Souveränität zurückerlangt.
Karikatur von Rainer Bach, Chemnitz, mit Widmung des Künstlers für Bastian Salier.
Die alten Mächte wehren sich im Schutz der Demokratie und des Bürgerlichen Gesetzbuches:
In Briefen vom 11., 14. 21. und 29. August 1990 beschwerte sich Dr. Andreas Albrecht beim DDR-Justizministerium über die „immer noch andauernde Inhaftierung“ seines Vaters, Hans Albrecht, früherer SED-Bezirkschef von Suhl und Stellvertreter Honeckers des Nationalen Verteidigungsrates der DDR. Mit der Bemerkung „zur Information über die Gesetzeshüter im Bezirk Suhl“ versehen sandte er Kopien an die Südthüringer Verwaltungsbehörde. Pressesprecher Jürgen Schuhmann nahm den Inhalt der Schreiben zum Anlass für den nachfolgenden Beitrag in Freies Wort vom 01.10.1990:
Vor einem Jahr, am 25.09.1989, hatte der ungekrönte Bezirksfürst Suhls, Hans Albrecht, zum letzten Gefecht geblasen. Damals lamentierte er in einer Sitzung mit SED-Spitzenfunktionären, dass der „Klassenfeind mit der massenhaften Abwerbung von DDR-Bürgern in Ungarn und der ČSSR durch die Imperialisten in der BRD nun endgültig seine Maske fallen gelassen habe.“ Er forderte von allen SED-Parteiorganisationen und allen in der Nationalen Front „Vereinten“ bessere Kontrolle der „Westkontakte“ und „hartes Durchgreifen gegen jeden Feind des Sozialismus“. In einer Rapportberatung mit dem Chef der ihm unterstellten Stasi-Bezirksverwaltung gab er am Morgen des nächsten Tages die Losung aus: „Jede konspirative Handlung ist zu unterbinden, dem Klassenfeind innen und außen den Weg zu verbauen, Sogenannte Friedens- und Kirchengruppen müssen noch mehr als bisher enttarnt werden. Hans Albrecht, sich als unschuldiger Häftling in Untermaßfeld fühlend, trug für viele Fehlentwicklungen zwischen Rennsteig und Rhön seit seiner „Inthronisation“ im August 1968 Verantwortung. Er war Mitglied jener SED-Führung, die konsequent, ohne menschliche Gefühle achtend, den Weg der Abgrenzung zum anderen Teil Deutschlands ging, die sich eine sozialistische deutsche Nation ausdachte und bis wenige Stunden vor ihrer Ablösung durch das Volk Mauer, Schießbefehl und Stacheldraht an der Grenze in höchsten Tönen besang. Stolz war er auf 423 km ‚sicherste Staatsgrenze zum imperialistischen Feind’. Kein Verständnis hatte er für Tausende Menschen, die im sogenannten Sperrgebiet vieler bürgerlicher Rechte beraubt waren. Keine Achtung hatte er vor besorgten Fragen der Menschen, weil Mangelware, Schlangestehen und Reiseverbote für ihn, seine Frau und seine Söhne nicht existierten, Ordens- und Geldsegen zum täglichen Alltag gehörten.
Dies behauptet nun sein Sohn Andreas in Briefen an das Justizministerium, sei nicht so. Die Schuld treffe ganz allein das böse, extremistische Volk zwischen Ilmenau und Bad Salzungen. Sein Vater sei nämlich selbst Opfer der Staatssicherheit geworden. In den Briefen werden Gedanken offenbar, die eines deutlich machen, Menschen, wie Hans Albrecht und seine Familie, haben auch nach einem Jahr nichts begriffen. Sie sitzen nach wie vor auf dem hohen Roß und wollen andere für dumm verkaufen.“
02.10.1990, Dienstag
Letzte DDR-Volkskammersitzung.
Franz Bertele, 1989/90 Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin schreibt in seinem letzten amtlichen Fernschreiben: „Hiermit verabschiedet sich die Ständige Vertretung von den Lesern ihrer Berichte, ab morgen [3. Oktober 1990] wird unser Land vereinigt sein […]. Heute haben wir sehr gute Beziehungen zur DDR. Morgen brauchen wir keine mehr. Der Kreis hat sich geschlossen.“
02./03.10.1990, Dienstag und Mittwoch
Um Mitternacht wird vor dem Reichstag in Berlin feierlich die deutsche Flagge gehisst.
Die deutsche Teilung ist beendet.
In vielen Städten und Gemeinden des neuen deutschen Vaterlandes werden würdige Feiern gestaltet und das vom SED-Regime verfemte Lied der Deutschen gesungen:
Einigkeit und Recht und Freiheit
für das deutsche Vaterland!
Danach lasst uns alle streben
brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
sind des Glückes Unterpfand.
Blüh’ im Glanze dieses Glückes,
blühe, deutsches Vaterland!
Auszüge aus dem Manuskript von Hans-Jürgen Salier
Eigentlich nicht erwähnenswert ...