Friedliche Revolution 1989
Das schönste Jahr der DDR-Geschichte
September 1989 bis 3. Oktober 1990
Von „Happy birthday, Polizeistaat“ bis
„Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland!“
Mit besonderer Berücksichtigung der Ereignisse und Hintergründe im Grenzkreis Hildburghausen
© Salier
Mitarbeit: Ines Schwamm
September 1989
Pfarrer Bernd Winkelmann, einer der Aktivisten der Umwelt- und Friedensbewegung in der DDR, Mitbegründer und Mitarbeiter des Evangelischen Einkehrhauses in Bischofrod (heute: Landkreis Hildburghausen) und des Neuen Forums im Bezirk, schreibt in seiner Dokumentation „Friedliche Revolution 1989/90 – Das Wirken christlicher Basisgruppen“ (Salier Verlag, 2009, S. 17): „Der September 89 war der entscheidende Monat, in dem das öffentliche Mitlügen, das 40 Jahre lang gehalten hatte, zerbrach und die Wahrheit auf die Straßen ging. Die ‚Kinder’, die in der Öffentlichkeit als erste die Lüge des Staates voll beim Namen nannten, waren die Ausreisantragsteller, dann die neuen politischen Gruppen, die sich im September jetzt auch außerhalb der Kirche formierten und die sich sofort in Aufrufen und Resolutionen artikulierten: Das ‚Neue Forum’, die ‚Sozialdemokratische Partei in der DDR’, die Bürgerbewegung ‚Demokratie Jetzt’ und Anfang Oktober der ‚Demokratische Aufbruch’. Zugleich traten die Kirchen aus jeder taktischen Absicherung heraus und riefen mit konkreten Anklagen und Forderungen den Staat auf, die notwendige Kurswende einzuleiten – so im Brief der Konferenz der Kirchenleitung vom 2. September 1989 an den Staatsratsvorsitzenden, in den Beschlüssen der Bundessynode vom 19. September in Eisenach und in verschiedenen Briefen der Bischöfe an die Gemeinden.
Titel der Schrift von Bernd Winkelmann „Friedliche Revolution 1989/90 –
Das Wirken christlicher Basisgruppen.
Ein Erfahrungsbericht aus dem ehemaligen Bezirk Suhl.
Salier Verlag Leipzig und Hildburghausen, 2009
01.09.1989, Freitag
Der Versorgungsmangel der Bevölkerung nimmt ungeahnte Ausmaße an. Der Rat des Bezirkes Suhl ergreift Maßnahmen zur gesicherten und kontinuierlichen Brotversorgung der Stadt- und des Landkreises Suhl, zu dem damals auch der Raum um Schleusingen gehört.
Die DDR-Bevölkerung erfährt vom Treffen des DDR-Außenministers Oskar Fischer und des ungarischen Außenministers Gyula Horn in Ost-Berlin. Gegenstand der Aussprache ist das Problem der DDR-Flüchtlinge. Radio Budapest berichtet, dass Ungarn „nur an einer solchen Regelung teilnehme, die im Einklang mit den Verpflichtungen seines Landes hinsichtlich der internationalen Menschenrechte und seiner humanitären politischen Praxis stehe“.
02.09.1989, Samstag
Zum Zeitpunkt befinden sich in ungarischen Auffanglagern 3.500 ausreisewillige DDR-Bürger. In Bayern und in anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland bereitet man sich mit der Einrichtung von Unterkünften auf die Flüchtlinge vor.
04.09.1989, Montag
Dr. Werner Leich, Bischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Thüringen, schreibt an die Kirchgemeinden einen Brief, in dem mehr Demokratie gefordert wird.
Die CDU-Kreisverbände erhalten ein von Kirchenleuten in Weimar verfasstes Schreiben, in dem ebenfalls die fehlende Demokratie in der DDR eingeklagt wird.
Anmerkung
Die evangelisch-lutherische Kirche spielt im Demokratisierungsprozess in der DDR eine maßgebliche Rolle. Ursache könnte der durchaus „sozialismusfreundliche“ Sonderweg der evangelisch-lutherischen Landeskirche Thüringens zur Amtszeit des aus Hildburghausen gebürtigen und politisch umstrittenen Landesbischofs Dr. Moritz Mitzenheim und die damit verbundenen Zugeständnisse an die SED zu sehen sein. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass der Dialog mit den kommunistischen Machthabern nicht abgerissen ist, aber auch dazu, dass die Kirche von der SED – vor allem zu ihrem internationalen Anerkennungsstreben – missbraucht worden ist. Die katholische Kirche arrangiert sich nicht mit dem DDR-Sozialismus, zeigt aber nach außen auch keinen direkten Widerstand.
04.09.1989, Montag
Der ungarische Innenminister Istvan Horvath teilt mit, dass die Lösung des Flüchtlingsproblems bis zu zwei Monate Zeit bedarf. Die Bundesrepublik müsse eine Lösung mit der DDR aushandeln.
04.09.1989, Montag
Der Soldat der Nationalen Volksarmee, Jan G., 25, und Kay H. aus dem Kreis Hildburghausen, werden um 00.05 Uhr an der Grenzübergangsstelle Eisfeld von einem Sicherheitsposten im Zusammenwirken mit der Personenkontrolleinheit (PKE – eine militärische Einheit des Ministeriums für Staatssicherheit in den Uniformen der Grenztruppen der DDR) im Kontrollterritorium festgenommen.
Um 07.20 Uhr ist bekannt geworden, dass Leutnant Mike B. fahnenflüchtig geworden ist. Sein Vater hatte den DDR-Organen mitgeteilt, dass ihm sein Sohn telefonisch mitgeteilt habe, dass er in Ungarn verbleibe und nicht in die DDR zurückkehre. Ihm war eine Reise nach Rumänien genehmigt worden.
05.09.1989, Dienstag
Neues Deutschland, das Zentralorgan der SED, veröffentlicht in Vorbereitung des 40. Jahrestages der Gründung der DDR einen Beitrag (Vorabdruck für die September/Oktober-Ausgabe der SED-Zeitschrift „Einheit“ des Staatsratsvorsitzenden und Generalsekretärs der SED, Erich Honecker, unter der Überschrift „40 Jahre Deutsche Demokratische Republik“. Darin charakterisiert Honecker die DDR als einen Staat „mit einem funktionierenden, effektiven sozialistischen Gesellschaftssystem, das sich mit den von ihm verwirklichten Menschenrechten auch an den Herausforderungen der neunziger Jahre bewähren wird“.
Die DDR richtet nahe des Flüchtlingslagers Zugliget, einem Budapester Vorort, eine Beratungsstelle ein, in der Rückkehrwillige beraten werden sollen.
September 1989
Im Zeitraum ist eine ganze Anzahl von Personen von Besuchsreisen – vor allem in die Bundesrepublik – nicht wieder nach Hause zurückgekehrt, z. B. das Ehepaar S. aus Hildburghausen (Heinz, 47, Abteilungsleiter Produktion beim VEB Kombinat Landtechnik Suhl) und Ehefrau Elke (45, Mitarbeiterin beim Rat des Kreises Hildburghausen) von einer Besuchsreise vom 05. – 17.09.1989.
In der weiteren Datensammlung werden solche Beispiele nicht gesondert erfasst.
06. – 09.09.1989, Mittwoch bis Samstag
Die Eisfelder Dreifaltigkeitskirche wird durch Sonneberger Ausreisewillige besetzt.
07.09.1989, Donnerstag
Der Chef der Bezirksverwaltung Suhl des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), Generalmajor Gerhard Lange, informiert die Spitzenfunktionäre der SED-Bezirksleitung Suhl über die kritische Stimmung der Bevölkerung.
Anmerkung
Walter Süß schrieb in „Das Verhältnis von SED und Staatssicherheit. Eine Skizze seiner Entwicklung. Schriftenreihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.“ (Berlin, 1997, Nr. 17, S. 31):
„Immer mehr Menschen, die die DDR verlassen wollten, beriefen sich auf die KSZE-Schlussakte, schlossen sich mit anderen zusammen und versuchten, durch ‚öffentlichkeitswirksame Aktionen’ ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Unter dem Schutzdach der evangelischen Kirche begannen sich Friedens-, Umwelt- und Frauengruppen zu organisieren – von SED und Staatssicherheit der ‚politisch-ideologischen Diversion (PiD) oder gar der ‚politischen Untergrundtätigkeit’ (PUT) verdächtigt. All diese Ausdrucksformen aufkeimenden Widerstands überwachte die Staatssicherheit, berichtete darüber regelmäßig und detailliert an die SED und sollte sie ohne öffentliches Aufsehen unterbinden. Ein Promovend der Juristischen Hochschule des MfS hat diesen politischen Zusammenhang in aller Deutlichkeit herausgearbeitet. Er schrieb 1989:
‚Die Anwendung operativer Zersetzungsmaßnahmen bei der Bekämpfung von politischen Untergrundaktivitäten durch feindlich-negative Personenzusammenschlüsse ist aufgrund veränderter Lagebedingungen zu einem politischen Erfordernis geworden. Das MfS leistet durch die ‚lautlose’ Form der Bekämpfung von feindlich-negativen Aktivitäten im Sinne politischer Untergrundtätigkeit einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der Dialogpolitik unserer Partei sowie zur Stärkung des internationalen Ansehens der DDR’.“
07.09.1989, Donnerstag
Hagen V. aus Waffenrod, Kreis Hildburghausen, wird festgenommen. Bei einer Vernehmung bei der Deutschen Volkspolizei hat er gestanden, dass er am 03.09.1989, ca. 20 Uhr, bei Schalkau im Kreis Sonneberg, Möglichkeiten einer Westflucht ausspähte.
08.09.1989, Freitag
116 DDR-Bürger, die sich teils seit einem Monat in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR befinden und ausreisen wollen, kehren in die DDR zurück, weil man ihnen Straffreiheit und juristischen Beistand für eine legale Ausreise zusichert.
09./10.09.1089, Samstag/Sonntag
Das Neue Forum wird im Untergrund in Grünheide bei Berlin gegründet. Daran nehmen 30 Personen aus 11 DDR-Bezirken teil, darunter sind u. a. Bärbel Bohley, Katja Havemann, Sebastian Pflugbeil, Jens Reich, Rolf Henrich. Der Aufruf der Oppositionsgruppe wird in den Folgetagen illegal verbreitet.
10./11.09.1989, Sonntag/Montag
Die Ungarn erlauben ohne Abstimmung mit den DDR-Organen in Ost-Berlin den Botschaftsflüchtlingen die Ausreise über die ungarisch-österreichische Grenze in jedes Land ihrer Wahl. Am 11.09., 00.00 Uhr wird die Grenze für die Flüchtlinge geöffnet. Bis zum Monatsende reisen etwa 25.000 DDR-Bürger aus. Die SED-Hetze gegen die Bundesrepublik Deutschland und die Ungarische Volksrepublik eskaliert.
Die SED-Presse spricht von „Menschenhandel“. In einem ADN-Bericht aus Passau heißt es: Eiskaltes Geschäft mit DDR-Bürgern – Silberlinge für Ungarn.“
In der DDR werden „unzuverlässigen Bürgern“ von Sicherheitskräften Ausweis- und Reisepapiere abgenommen. Ungarnreisende werden teils aus Zügen geholt, in die DDR zurückgeschickt oder zurückgeführt. – Ungarns Ministerpräsident Miklós Németh erklärt, Ungarn habe im Namen der Menschlichkeit gehandelt.
12.09.1989, Dienstag
Das Neue Forum tritt am 12.09. mit einem Gründungsaufruf auch in Thüringen an die Öffentlichkeit. Am 13.09. bildet sich im Raum Suhl in der Illegalität eine Gruppe aus dem Arbeitskreis Gesellschaftliche Erneuerung, die sich im Wesentlichen aus dem Kirchenkreis Henneberger Land und Teilnehmern der Ökumenischen Umweltgruppe Suhl zusammen setzt. Es werden kirchliche Veranstaltungen zur gegenwärtigen politischen Situation geplant und veranstaltet.
Bernd Winkelmann
Anmerkung
Hierzu schrieb der Initiator der Gruppe, Pfarrer Bernd Winkelmann, in seinem im Salier Verlag 2009 erschienenen Buch „Friedliche Revolution 1989/90 – Das Wirken christlicher Basisgruppen. Ein Erfahrungsbericht aus dem ehemaligen Bezirk Suhl“:
„Zu den alternativ orientierten Zentren gehörte auch das Evangelische Einkehrhaus Bischofrod, das meine Frau und ich mit unseren Freunden Hilmar und Karla Fahr im südthüringischen Dorf Bischofrod ab 1981 aufbauten. Dort versuchten wir, mit unseren Gästen in thematischen Freizeiten und Seminaren, die ökologischen Fragen, die Gerechtigkeits- und Friedenfragen in die Möglichkeiten eines erneuerten Lebensstiles und einer neuen Wertorientierung umzusetzen. Aus dem ganzen südlichen Teil der DDR kamen Umwelt- und Friedensgruppen zu uns, und wir wurden oft in Gruppen und Gemeinden zu Vorträgen und Seminaren eingeladen. Von den Sicherheitskräften des DDR-Staates wurden wir von Anfang an als ‚subversives, staatsfeindliches’ Unternehmen eingestuft. Nur durch den wiederholten persönlichen Einsatz von Propst Dr. Falcke und Bischof Demke konnten die angedrohte Schließung des Hauses und meine ‚Entfernung aus Bischofrod’ verhindert werden.
Wir arbeiteten eng mit dem Ökumenischen Arbeitskreis für Umweltfragen in Suhl zusammen, den Pfarrer Schwennicke 1980 gegründet hatte und der für ein entstehendes oppositionelles Wirken im Suhler Raum von besonderer Bedeutung war. Ihm gehörten zeitweise bis zu 30 Personen an, Christen und Nichtchristen, Menschen, die sich ökologisch engagieren wollten, es aber außerhalb der Kirche nicht konnten. Sie arbeiteten in verschiedenen Arbeitsgruppen, z. B. in den Gruppen ‚Alternative Energie’, ‚Alternative Ernährung’, Ökologischer Gartenbau’. Es wurden Umwelttage und Ausstellungen in der Region vorbereitet und durchgeführt sowie Eingaben an staatliche Stellen verfasst, so 1985 eine zum XI. Parteitag der SED mit grundlegenden Anfragen an die Umweltpolitik der DDR. Das brachte ihr massive Auseinandersetzung mit Staatsvertretern ein: Vorladungen Einzelner in den Betrieben mit der Maßgabe, die ‚staatsfeindliche Tätigkeit in der Umweltgruppe’ einzustellen. Später erfuhren wir, dass bis zu drei IM unter uns waren und interne Dinge innerhalb von Stunden der Stasi zugetragen hatten.
Wir hielten engen Kontakt mit ähnlichen Gruppen der Region, mit dem ‚Gesprächskreis für Frieden und Umwelt’ um Jugenddiakon Ulrich Töpfer in Meiningen, mit der ‚Umweltgruppe Schmalkalden’ um Gudrun Sickert, mit dem ‚Ökologischen Arbeitskreis’ um Bodo Busch in Ilmenau. Es gab Treffs und gemeinsame Seminare (meist in Bischofrod) und eine gute Zusammenarbeit in der Vorbereitung und Durchführung von Umwelttagen, Ausstellungen, Schreiben von Eingaben u. ä.
Durch unsere Arbeit mit den Gruppen wurde uns deutlich, dass sich in ihnen – oft für sie selbst nicht voll bewusst – eine geistige und politische Gegenkultur entwickelte …“
12.09.1989, Dienstag
Die Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“ fordert in einem Aufruf an die Öffentlichkeit eine friedlich-demokratische Erneuerung der DDR. Zu den Erstunterzeichnern zählen Wolfgang Ullmann, Ludwig Mehlhorn, Ulrike Poppe und Konrad Weiß.
12.09.1989, Dienstag
Das DDR-Außenministerium übergibt dem Außenministerium der Ungarischen Volksrepublik eine Note, darin heißt es, dass die DDR-Regierung mit Befremden die Entscheidung der ungarischen Regierung feststellt, dass sie DDR-Bürger „ohne gültige Reisedokumente die Ausreise in dritte Staaten zu ermöglichen“. Die DDR erwartet die Rücknahme der Entscheidung, denn „einzelne Bestandteile des Abkommens über den visafreien grenzüberschreitenden Verkehr einseitig außer Kraft zu setzen“. (Abkommen von 1969). Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS betont, dass eine „tendenziöse Kampagne gegen die DDR“ betrieben werde, dass das ein Angriff gegen die Souveränität und ihrer Unabhängigkeit sei. Es wird betont, dass die DDR ein untrennbares Glied des Warschauer Vertrages sei und treuer Freund und Verbündeter der Sowjetunion.
250 Ausreisewillige verlassen die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag und reisen in die DDR zurück. Ihnen wird Straffreiheit garantiert, zudem juristische Hilfe bei der Ausreise.
13.09.1989, Mittwoch
Der evangelische Pfarrkonvent des Kirchenkreises „Henneberger Land“ tagt in Suhl und bespricht die politische Situation im Land. Man bildet die Arbeitsgruppe „Gesellschaftliche Erneuerung“.
Neues Deutschland veröffentlicht eine Erklärung der tschechoslowakischen Nachrichtenagentur ČTK, in der betont wird, dass die Massenmedien und bestimmte politische Kreise um die illegale Ausreise von DDR-Bürgern eine Kampagne entfacht habe, die den gesamteuropäischen Prozess und die Ergebnisse des Wiener KSZE-Folgetreffens empfindlich störe.
14.09.1989, Donnerstag
Das Außenministerium der Ungarischen Volksrepublik bestreitet den Vorwurf der DDR vom 12.09. und betont, dass sie wegen der grundlegend veränderten Verhältnisse gezwungen gewesen sei, einzelne Punkte des bilateralen Abkommens aufzuheben.
17.09.1989, Sonntag
Der Leiter des Malteser-Flüchtlingslagers in Budapest stellt dar, dass sich zahlreiche Menschen gemeldet haben, die berichtet haben, dass Angehörige der Staatssicherheit in ihre Wohnungen gekommen seien, ihre Papiere einzogen, Ausreisewillige aus den Zügen geholt und nach Hause zurückgeschickt haben.
18.09.1989, Montag
3.000 Künstler aus der Rock-, Pop- und Liedermacherszene der DDR unterzeichnen eine Resolution zur Demokratisierung des gesellschaftlichen Lebens in der DDR. Wegen angekündigter Repressalien wird der Text erst am 16.10. offiziell veröffentlicht.
Die kommunistische Presse der Sowjetunion (Parteizeitung „Prawda“) und der ČSSR (Rude Pravo) bezichtigt in einer groß angelegten Kampagne die Bundesrepublik Deutschland der Hetze gegen die DDR. Dies sei eine „unverhüllte Verletzung des Völkerrechts“.
In der Grenztruppen-Tagesmeldung 017191 wird dokumentiert, dass die beiden Schüler Mirko B., 14, und Marco G., 15, aus Harras (heute: OT von Eisfeld) gegen 22.05 Uhr 2.500 m südwestlich ihrer Gemeinde von GT-Angehörigen festgenommen wurden. Beim Überwinden des Grenzsignalzauns sind um 21.32 Uhr Signale ausgelöst worden.
19.09.1989, Dienstag
Als erste oppositionelle Gruppierung der DDR beantragt das Neue Forum beim DDR-Innenministerium die offizielle Zulassung und bezieht sich auf den Artikel 29 der Verfassung der DDR. Die SED-gelenkte Nachrichtenagentur ADN meldet die Ablehnung des Antrags: „Ziele und Anliegen der beantragten Vereinigung widersprächen der Verfassung der DDR und stellen eine staatsfeindliche Plattform vor.“
Im Artikel 29 der DDR-Verfassung heißt es: „Die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik haben das Recht auf Vereinigung, um durch gemeinsames Handeln in politischen Parteien, gesellschaftlichen Organisationen, Vereinigungen und Kollektiven ihre Interessen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Zielen der Verfassung zu verwirklichen.“
Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Warschau wird wegen Überfüllung geschlossen, die Zahl der Flüchtling in der Prager Botschaft erhöht sich auf 500. Tschechoslowakische Grenzsoldaten verhindern mit Gewalt den Übertritt von Flüchtlingen nach Ungarn.
20.09.1989, Mittwoch
Der Verbandstag der Freidenker des Kreises Hildburghausen wird durchgeführt. Vorsitzender des Arbeitsausschusses zur Bildung des von der SED gesteuerten Verbandes ist OMR Dr. Klaus Hoffmann, Ärztlicher Direktor der Bezirksnervenklinik. Nach dem Kreisverbandstag sollen in weiteren Orten des Kreises Gruppen gebildet werden. Vor allem Vertreter aus der Intelligenz stehen dem Verband äußerst kritisch gegenüber, weil sie sehen, dass die SED nichts unversucht lässt, das Geistesleben allumfassend zu kontrollieren und zu beeinflussen.
Anmerkung
Wie “tapfer und frei” sich der Freidenkerverband gegen die SED-Bevormundung verhalten hat, zeigt eine „Freies Wort“-Meldung vom 05.12.1989. In einem Dementi wird dargestellt, dass FW am 31.08.1989 ein Interview mit Dr. Klaus Hoffmann auf Veranlassung des Sekretariats der SED-Kreisleitung Hildburghausen erschienen ist, aber von Dr. Hoffmann nicht gegeben worden sei. Der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung, Dr. Peter Dornheim, hat sich hierzu entschuldigt.
Ein solches Handeln musste nicht wundern, denn der Verband ist von MfS und Politbüro initiiert worden. Schwerpunkt der Tätigkeit des Verbandes ist die Klärung weltanschaulicher, philosophischer und politisch-moralischer Fragen aus der Sicht einer nichtreligiösen Position.
21.09.1989, Donnerstag
Das SED-Zentralorgan Neues Deutschland veröffentlicht die „Räuberpistole“ eines Ost-Berliner MITROPA-Kochs, der angeblich in Ungarn betäubt und gegen seinen Willen nach Wien verschleppt worden sei. Er habe dort Kontakt mit der DDR-Botschaft aufgenommen, um wieder nach Hause zu gelangen. – Derartige Berichte und „Leserbriefe“ werden in die Presse der DDR und der „befreundeten“ Parteien lanciert, um den Vorwurf des Menschenhandels zu untermauern. Die meisten DDR-Bürger durchschauen die primitive und die Satiregrenze weit überschreitende kommunistische Propaganda und können nur noch ungläubig und belustigt mit dem Kopf schütteln.
Der DDR-Innenminister lehnt die Zulassung des Neuen Forums mit der Begründung gegenüber ADN mit dem Bemerken ab, dass die oppositionelle Gruppierung verfassungs- und staatsfeindlich sei. Bis zum Zeitpunkt hatten bereits mehr als 3.000 teilweise prominente Bürger der DDR einen Aufruf der Bürgerrechtsbewegung unterschrieben.
22.09.1989, Freitag
Der DDR-Staatsratsvorsitzende und SED-Generalsekretär Erich Honecker fordert in einem Fernschreiben an die 1. Sekretäre der SED-Bezirksleitungen: „In der letzten Zeit haben auf verschiedenen Ebenen Aktivitäten unserer Feinde stattgefunden, die darauf gerichtet sind, entsprechend der bundesdeutschen Propaganda konterrevolutionäre Gruppen zu organisieren. Diese Fragen haben wir auf der letzten Beratung mit den 1. Sekretären der Bezirksleitungen besprochen. Es bestand Übereinstimmung, dass diese feindlichen Aktionen im Keime erstickt werden müssen, dass keine Massenbasis dafür zugelassen wird. Da in einigen Kreisen nicht rechtzeitig die politisch-organisatorischen Maßnahmen getroffen wurden, ist es erforderlich, die bisher geleistete Arbeit zu überprüfen. Das betrifft die politisch-ideologische Arbeit und gleichzeitig ist dafür Sorge zu tragen, dass die Organisatoren der konterrevolutionären Tätigkeit isoliert werden.
Hans Modrow, der angebliche demokratische Sozialist und Hoffnungsträger, spätere DDR-Ministerpräsident, der nachmalige Ehrenvorsitzende der PDS und heutige Vorsitzende des Ältestenrates der Partei DIE LINKE, setzt in seiner Funktion als Vorsitzender der Bezirkseinsatzleitung Dresden noch einen drauf, indem er Erich Honecker an Radikalität übertrifft: „Die Partei- und Staatsführung hat zur gegebenen Lage Stellung genommen und fordert die konsequente Isolierung aller konterrevolutionären Kräfte.“
(aus einem Fernschreiben Modrows an die 1. Sekretäre der Kreisleitungen der SED im Bezirk Dresden vom 22.09.1989)
22.09.1989, Freitag
Der Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel trifft in Bonn mit Kanzleramtsminister Rudolf Seiters zusammen, um Modalitäten für Ausreisewillige in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR auszuhandeln.
25.09.1989, Montag
Auf dem Gelände der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag halten sich inzwischen 900 Personen, darunter etwa 200 Kinder, unter menschenunwürdigen Bedingungen auf.
Es wird bekannt, dass mehrere Personen beim Durchschwimmen der Donau nach Ungarn ertrunken sind.
26.09.1989, Dienstag
Die ersten Aufrufe des „Neuen Forums“ (s. Faksimile „AUFBRUCH ‘89 – NEUES FORUM“) tauchen auf. Sie sind doppelseitig mit Schreibmaschine beschrieben und werden unter der Hand weiter gegeben.
Bernd Winkelmann schreibt: „Am 26. September kamen wir in unserer kleinen Arbeitsgruppe ‚Solidarische Kirche’ in Benshausen bei Suhl zusammen und bereiteten Textentwürfe für einen ‚Offenen Brief an die Verantwortlichen unseres Staates und an alle Bürger des Landes’ vor, die wir auf dem Vertretertreffen kirchlicher Basisgruppen am 30. September in Weimar vorlegten. Der von mir entworfene weitgehende Text wurde nach geringer Überarbeitung von den 70 Vertretern der Basisgruppen verabschiedet und vom 7. Oktober an wie ein Flugblatt verbreitet. Da dieser Brief exemplarisch sowohl die damalige Stimmungslage wie die Hauptforderungen der beginnenden Volkserhebung zusammenfasst, sollen hier die wichtigsten Passagen wiedergegeben werden.“
Wir, die Vertreter der kirchlichen Basisgruppen, erklären uns mit dem Brief der Konferenz der Ev. Kirchenleitung an den Vorsitzenden des Staatsrates und mit den Beschlüssen der Bundessynode zur gesellschaftlichen Situation solidarisch. Getragen von unserem christlichen Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung wollen wir hiermit unsere Betroffenheit und Hoffnung benennen. Während in der Sowjetunion und in den anderen sozialistischen Staaten sich der Sozialismus aus seiner antidemokratischen Erstarrung löst und das Volk zunehmend an der Wahrheit und Macht teilhaben lässt, blockt die Führung unseres Staates jede Bewegung und Erneuerung und schon die Frage nach ihnen meist ab. Das Aufrechterhalten einer Scheinwirklichkeit in den Medien, die Verweigerung von Information und öffentlicher Auseinandersetzung, die Vorgabe aller Entscheidungen von oben her und die somit ständige Entmündigung der Bürger und die Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Kräfte haben die Grenzen des Erträglichen erreicht! Tausende Bürger verlassen unser Land, weil sie jede Hoffnung für diese Gesellschaft aufgegeben haben. Die Menschen, die hier bleiben, fallen in Bitterkeit und innere Emigration oder sie begehren auf; sie wollen jetzt und hier etwas ändern, um hier bleiben zu können! Von Tag zu Tag steigt die innenpolitische Spannung. Doch die Führung unseres Staates reagiert mit dem alten Selbstlob, sie mache alles richtig. Schuld allein habe der imperialistische Klassenfeind. Sie erklärt sie zu Staatsfeinden, die etwas anderes ins öffentliche Gespräch bringen. Mit dieser Ignoranz verliert der Staat das letzte Vertrauen bei den Bürgern und isoliert sich auch außenpolitisch zunehmend. Wir sind nicht mehr bereit, diese Situation hinzunehmen. Wir wollen Sozialismus, aber einen demokratischen, pluralistischen und entwicklungsfähigen Sozialismus. Das sozialistische Grundanliegen: soziale Gerechtigkeit für alle und die Ablehnung kapitalistischer Machtkonzentration müssen bleiben. Für die Sicherung der sozialen Grundrechte sind wir dankbar. Aber wir finden uns nicht mehr damit ab, dass uns 40 Jahre lang die politischen Grundrechte vorenthalten sind: das Recht auf freie Information und öffentlichen Meinungsstreit, auf freie und geheime Wahlen, auf freien Zusammenschluß unabhängiger Gruppen auf freie Demonstration, auf freie Reisemöglichkeiten u.a. Wir nehmen die Behauptung nicht mehr hin, dass diese demokratischen Grundrechte nur bürgerliche Überbleibsel sind und nicht in den Sozialismus gehören. Es sind Rechte, die die Vereinten Nationen zu Grundrechten eines jeden Menschen erklärt haben und die gerade im Sozialismus Erfüllung finden sollen. Das Fehlen dieser Grundrechte hat zur Stagnation und Depression, zu Machtmissbrauch und Unehrlichkeit und zur allgemeinen Verantwortungslosigkeit in unserer Gesellschaft geführt.
Wir fordern die Staats- und Parteiführung auf, jetzt schrittweise eine neue Politik einzuleiten. Grundforderungen sind:
1. Rückkehr zur Wahrheit: Aufgabe aller Schönfärberei in den Medien, offene Information, offener Dialog über alle Fragen und Probleme unserer Gesellschaft;
2. Rückkehr zur Demokratie: vor allem Einführung freier und geheimer Wahlen, Zulassung unabhängiger politischer Vereinigungen, das Recht auf freie und friedliche Demonstration …
Wir rufen die Mitglieder aller Parteien und die Mitarbeiter im Staatsapparat auf, nicht erst auf Weisungen von oben zu warten, sondern schon jetzt in ihren Bereichen die verfassungsmäßigen Möglichkeiten für mehr Demokratie, Wahrheit und Recht voll auszunutzen und so Erneuerungen mit in Gang zu bringen.
Wir rufen alle Bürger unseres Landes auf:
1. In den Bereichen ihrer Öffentlichkeit, in Betrieben, Schulen, gesellschaftlichen Organisationen, gegenüber Behörden und im Wohnbereich, die öffentliche Lüge nicht mehr mitzuspielen, sondern die Wahrheit bei jeder Gelegenheit auszusprechen und die notwendigen Fragen zu stellen;
2. sich die demokratischen Grundrechte nicht länger vorenthalten zu lassen, sondern sie so weit wie möglich schon jetzt zu praktizieren, z.B. Wahlen nur noch als wirkliche Wahlen wahrzunehmen, sich mit anderen zur gemeinsamen Willensbildung zusammenzuschließen …
Aufruf des Neuen Forums, vom Autor geschrieben, vervielfältigt und verteilt.
27.09.1989, Mittwoch
Für die bewaffneten Kräfte der DDR sind „Maßnahmen zum Übergang zu einer höheren Gefechtsbereitschaft, um die Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten“ erlassen worden. Der Befehl 105/89 des Ministers für Nationale Verteidigung schließt ein, dass bestimmte Truppen im Raum Berlin als Reserven vorbereitet und in Bereitschaft zu halten sind (ein Einsatzkommando des NVA-Wachregiments, ein Mot.-Schützenbataillon, eine Fallschirmjägerkompanie, eine Hubschrauberstaffel sowie Einsatzeinheiten der Grenztruppen der DDR). Die Reserven sollen im Zusammenwirken mit Kräften des Ministeriums für Staatssicherheit und des Ministerium des Innern „jederzeit zuverlässig Aufgaben zur Gewährleistung der gesamtstaatlichen Sicherheit, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie einer stabilen politischen Lage in der Hauptstadt der DDR, Berlin, erfüllen können.“
In einer streng vertraulichen Information („Um deren Rückgabe wird gebeten!“) schreibt der Leiter der Kreisdienststelle Hildburghausen des MfS, Oberstleutnant Bernd Cudok, an den 1. Sekretär der SED-Kreisleitung, Herbert Lindenlaub:
„Information
über Haltungen kreislicher Funktionäre der befreundeten Parteien unseres Kreises und in diesen Parteien vorhandene Stimmungstendenzen zur Politik von Partei und Regierung
Von den kreislichen Funktionären der befreundeten Parteien gibt es offiziell keine ablehnende Haltungen zu grundlegenden Fragen der Gesellschaftsstrategie und -politik der Partei. Gegenüber der SED-Kreisleitung und auch im Rahmen des Kreissekretariats der Nationalen Front wird die Führungsrolle der SED anerkannt. Diesbezüglich gibt es auch in den Gremien der Parteivorstände keine entgegengesetzten Auffassungen und Orientierungen. Lediglich der Kreissekretär der CDU (Name ist getilgt, d. Verf.) läßt die Tendenz nach Forderung einer größeren Eigenständigkeit innerhalb seiner Partei erkennen.
Zu Teilfragen unserer Politik treten jedoch unterschiedliche Auffassungen auf.
Gegenwärtig wird vor allem die Medienpolitik der DDR von Mitgliedern der befreundeten Parteien kritisiert. Aus den vorliegenden Meinungsäußerungen ist erkennbar, daß die Medien nicht die reale politische und wirtschaftliche Lage in der DDR widerspiegeln, die positiven Ergebnisse unserer Entwicklung einseitig gegenüber Mängeln und kritikwürdigen Problemen dargestellt werden. Die in den Medien dargestellten Erfolge sind nach Auffassung dieser Personen für den einzelnen Bürger, ausgenommen die sozialpolitischen Ergebnisse, im täglichen Leben nur wenig spürbar.
Es wird vielfach die Frage gestellt, warum keine wirklichkeitsnahe Berichterstattung erfolgt.
Durch den Kreisvorsitzenden der LDPD (Name ist getilgt, d. Verf.) wurde beispielsweise bei einem Treffen mit Veteranen festgestellt:
‚Die Medienpolitik ist unter aller Sau, sie hat die Vertrauenswürdigkeit bei den Menschen verloren. Die Aktuelle Kamera (Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens, d. Verf.) kann man nicht mehr einstellen!’
(nicht auswertbar)
Besonders unter LDPD-Mitgliedern, die Handwerker und Gewerbetreibende sind, wird die gegenwärtige sozialistische Planwirtschaft und ökonomische Strategie mit Vorbehalten bewertet. Das betrifft sowohl die Bereitstellung von Grundmaterialien als auch die Anwendung von Stimuli für höhere Leistungen. Dieser Personenkreis vertritt verstärkt die Auffassung, daß das vorhandene Steuersystem nicht geeignet ist, einen größeren Leistungszuwachs anzustreben.
Allgemein wird der Bürokratismus bei den Behörden, der hohe Verwaltungsaufwand im Staatsapparat und in den volkseigenen Betrieben als effektivitätshemmend eingeschätzt.
Aus Kreisen der LDPD und CDU ist zunehmend die Forderung feststellbar, daß in Führungspositionen der Volkswirtschaft mehr Fachleute, unabhängig von ihrer Parteimitgliedschaft, zum Einsatz kommen sollten. Analog sollte auch die personelle Besetzung im Staatsapparat erfolgen.
Solche Auffassungen wurden u.a. in der LDPD-Ortsgruppe Eisfeld festgestellt,
- daß man den Eindruck bekommt, daß manche verantwortliche Stellen gar nicht wollen, daß es im Handwerk und Gewerbe, bei Dienstleistungen vorwärts geht
- die SED hat zu viele Theoretiker, die von fachlichen Dingen nichts verstehen
- der Verwaltungsapparat sollte schon lange abgebaut werden – nichts tut sich.
Die sozialistische Demokratie und ihre Entwicklung wird von mehreren Funktionären dieser Parteien so beurteilt, daß es zu wenig Einflußmöglichkeiten auf unterer Ebene zur Gestaltung der gesellschaftlichen Prozesse gibt. Fehlende Alternativen zu Problemlösungen und Inaktivitäten der Volksvertretungen seien charakteristisch geworden. Zentrale Festlegungen seien gegenwärtig das bestimmende Element der sozialistischen Demokratie.
Die befreundeten Parteien hätten zu wenig Einflußmöglichkeiten,
- ‘Wenn sich nichts ändert und die Blockparteien nicht in ihrer Meinung voll akzeptiert werden, hat es keinen Sinn in der Partei (LDPD) zu bleiben.’ (Name getilgt, d. Verf. – Eisfeld)
- ‚Ich habe mich entschlossen, aus der LDPD auszutreten. Es ist doch sinnlos, nur noch eine Versammlung zu besuchen. Die Blockparteien haben doch sowieso nichts zu sagen.’ (Name getilgt, d. Verf. – Eisfeld).
Durch die CDU werden seit 1988 verstärkte Aktivitäten entwickelt, mehr Mandate in örtlichen Volksvertretungen zu erhalten, um dadurch ihren Einfluß besser geltend zu machen. Daraus resultieren auch die Anstrengungen zu einer intensiveren Mitgliederwerbung.
Zur Gesellschaftsstrategie der KPdSU ist allgemein eine gewisse Abwartehaltung auf Grund der widersprüchlichen inneren Entwicklung in der Sowjetunion feststellbar. Einheitlich positiv wird die Offenheit der Darstellung der Lageentwicklung in den Medien der SU bzw. Veröffentlichungen in den DDR-Medien bewertet und dabei die Rolle von M. Gorbatschow hervorgehoben. Anderweitige spekulative Diskussionsrichtungen sind nicht bekannt.
Die Lageentwicklung in der VR Polen und VR Ungarn in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht findet keine Befürwortung. Es wird auch nicht die Übernahme von Teilelementen dieser sich dort vollziehenden gesellschaftlichen Vorgänge gefordert bzw. angestrebt.
Auch die sich in der DDR abzeichnenden Versuche der Formierung einer inneren Opposition werden nicht gebilligt und von mehreren Funktionären, vor allem der LDPD, NDPD und DBD, mit der polnischen Solidarnoscz verglichen.
Die Information ist zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Leiter der KD
C u d o k”
Anmerkungen
Das Dokument ist Teil der Ausstellung Wende ‘89 im Bezirk Suhl. Gemeinsame Ausstellung des Thüringischen Staatsarchivs Meiningen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und von Freies Wort. – Suhl, November 1999.
Der Staatssicherheitsdienst ist „Dienstleistungsunternehmen der SED“. Er hatte zur Informationsbeschaffung ein pervers ausgeklügeltes und eingespieltes System geschaffen, das nachfolgend teilweise beleuchtet wird:
„Der Leiter einer Kreisdienststelle hatte regelmäßig, zumindest wöchentlich, manchmal täglich, an den 1. Sekretär der Kreisleitung ‚unter Wahrung der Konspiration’ über die Lage in seinem Verantwortungsbereich zu berichten. Das Gleiche galt zwischen BVfS und Bezirksleitung (BVfS = Bezirksverwaltung für Staatssicherheit). Auf höchster Ebene wurden ausgewählte Politbüromitglieder durch die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) beliefert, die sich aus der 1953 eingerichteten ‚Informationsgruppe’ im Laufe der Jahre zu einer Art Gehirn der Staatssicherheit mit mehreren hundert Mitarbeitern (1989: 423) entwickelt hatte. Neben der Routineberichterstattung gab es Berichte zu Einzelaspekten und die Mitarbeit von MfS-Offizieren in ad hoc eingerichteten Arbeitsgruppen: in den achtziger Jahren zum Beispiel zu ‚Ausreiseantragstellern’, zur Vorbereitung eines Kirchentages, dessen ‘Öffentlichkeitswirksamkeit’ eingedämmt werden sollte, oder nach einer Demonstration.”
Nach: Süss, Walter: Das Verhältnis von SED und Staatssicherheit. Eine Skizze seiner Entwicklung. Schriftenreihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. – Berlin, 1997, Nr. 17, S. 33.
28.09.1989, Donnerstag
Immer mehr Flüchtlinge übersteigen die Zäune der bundesdeutschen Botschaften in Prag und Warschau. Die ČSSR (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) verschärft die Grenzkontrollen zu Ungarn erheblich. Die Situation in der Prager Botschaft wird immer unerträglicher. 2.000 Menschen befinden sich dort. Der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Hans-Dietrich Genscher, trifft mit dem Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes zusammen, Botho Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein. Die Hilfsmöglichkeiten werden vor Ort überprüft. Die hygienischen Bedingungen und die Versorgungslage wird immer schwieriger. In diesem Zeitraum flüchten immer mehr Menschen über die Grenze nach Polen. Dort kommt es zu zahlreichen Festnahmen.
Rechtsanwalt Vogel kann in Warschau nur etwa 50-DDR-Bürger bewegen, vorerst in die DDR zurückzukehren, selbst wenn sie ihren Besitz mitnehmen könnten.
Der Kreisausschuss der Nationalen Front Hildburghausen zieht in der Presse Bilanz und ergeht sich in den üblichen Selbsttäuschungen des Propagandaapparats (s. Faksimile).
Die Dienststellen des Ministeriums für Staatssicherheit und ihre Auftraggeber, die SED-Führungsgremien, verstärken die Observation der Bevölkerung und geben Einsatzpläne sowie Instruktionen für die Internierung missliebiger DDR-Bürger unter KZ-ähnlichen Bedingungen aus. Ausgangsbasis ist die Direktive 1/67 zu den „Spezifisch-operativen Mobilmachungsmaßnahmen“. Ferner positionieren sie verstärkt Kräfte in oppositionellen Gruppen.
Anmerkungen
Die Gratwanderung zwischen Informationspflicht gegenüber dem SED-Apparat und Wahrung der Konspiration war nicht das einzige Problem des Staatssicherheitsdienstes bei der Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem. Dieser Aufgabe konnte er auch deshalb nur begrenzt nachkommen, weil die Institution, in der die Funktionsprobleme des Systems permanent neu produziert wurden, der zentrale Parteiapparat, außerhalb seiner Kompetenz lag, und er auf die Weiterverarbeitung eventuell kritischer Informationen keinen Einfluss hatte. Das MfS hatte in dieser Beziehung zwei Funktionen: unabhängige, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen, um das Machtmonopol der SED abzusichern, und eine kritische Öffentlichkeit zu simulieren. Wägt man diese beiden Funktionen gegeneinander ab, so war der Beitrag der Staatssicherheit zur Destabilisierung des Systems durch Zerstörung von Kritik- und Lernpotenzialen zweifellos der bedeutsamere Beitrag. Das gilt letztlich für die gesamte geheimpolizeiliche Dimension der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes. Wenn man dies nachträglich feststellt, wird das Dilemma erst deutlich, denn die Parteibürokratie hätte ihre Diktatur ohne die Geheimpolizei schwerlich aufrechterhalten können.
Das MfS war Geheimdienst und Geheimpolizei, Instrument der Partei und Staatsorgan. Es hatte spezifische Methoden, und es gab eine gewisse Sachlogik geheimdienstlicher Arbeit. Doch die SED bestimmte die Funktion und die Ziele der Tätigkeit des MfS und vor allem sein Selbstverständnis als ‚Schild und Schwert der Partei’. Der einzelne MfS-Mitarbeiter verstand sich als ‚Parteisoldat’. Das Feindbild des MfS, das dieser Institution ihre ‚raison d’être’ gab, und die ideologisch legitimierte Parteidiktatur waren untrennbar miteinander verbunden. Als sich die SED in der revolutionären Krise des Herbstes 1989 unter dem Druck der demokratischen Volksbewegung von der Staatssicherheit zu distanzieren begann, waren die ‚Tschekisten’ nicht in der Lage, eine eigene Perspektive zu entwickeln. Der Beschluss zur Auflösung der am 18. November 1989 in Amt für Nationale Sicherheit umbenannten Institution am 13. Januar 1990 löste deshalb keinen größeren Widerstand mehr aus. Ziemlich sang- und klanglos wurden fast alle Geheimdienstler bis zum 31. März 1990 entlassen, die Immobilien an den Rechtsträger übergeben und die Archive der Obhut von Bürgerkomitees, später eines staatlichen Komitees unterstellt.”
Nach: Süss, Walter: Das Verhältnis von SED und Staatssicherheit. Eine Skizze seiner Entwicklung. Schriftenreihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. – Berlin, 1997, Nr. 17, S. 34.
Der Leiter der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Suhl, Generalmajor Gerhard Lange, gibt als „Vertrauliche Verschlusssache“ (BVfS 888/89, undatiert) an die Leiter der Dienststellen des Bezirks eine Dienstanweisung heraus. Aus dem demokratiefeindlichen und menschenverachtenden Papier wird nachfolgend zitiert:
„Durch die zügellose Hetz- und Verleumdungskampagne des Gegners und massive Einmischungsversuche hat sich in jüngster Zeit die politisch-operative Lage im Innern der DDR weiter erheblich verschärft.
Es verschärfen sich die Erscheinungen und damit verbunden Gefahren der Zusammenrottung feindlicher, oppositioneller sowie feindlich-negativer und rowdyhafter Kräfte mit dem Ziel, die staatliche Sicherheit zu stören und damit eine Gefährdung der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR herbeizuführen.
Zur konsequenten und wirksamen Zurückdrängung/Unterbindung aller diesbezüglichen Handlungen und Aktivitäten weise ich an:
1. Für alle Diensteinheiten besteht bis auf Widerruf entsprechend der Anweisung Nr. 1/89, Ziffer 11, volle Dienstbereitschaft’.
Angehörige, die ständige Waffenträger sind, haben ihre Dienstwaffe entsprechend den gegebenen Erfordernissen ständig bei sich zu führen. [ ... ] Es sind ausreichende Reservekräfte bereitzustellen, deren kurzfristiger Einsatz auch zu den offensiven Maßnahmen zur Unterbindung und Auflösung von Zusammenrottungen zu gewährleisten ist.
2. Durch die zuständigen Diensteinheiten sind verstärkte Sicherungsmaßnahmen zur Gewährleistung einer hohen Sicherheit und Ordnung an den Dienstobjekten sowie in konzentrierten Wohngebieten von Angehörigen des MfS einzuleiten, mit den Partnern des politisch-operativen Zusammenwirkens sind unter Beachtung ihrer lagebedingten Möglichkeiten erforderliche sachbezogene Maßnahmen abzustimmen.
3. Alle geeigneten und verfügbaren ‚IM’/‚GMS’ sind unverzüglich lagebezogen zum Einsatz zu bringen. Dabei ist so vorzugehen, daß es nicht zu einer Verunsicherung der ‚IM’/‚GMS’ kommt. Es ist ein funktionsfähiges wechselseitiges Verbindungssystem, insbesondere zur Übermittlung von Sofortinformationen der ‚IM’/‚GMS’ an das MfS, aufrechtzuerhalten.
Unter Beachtung der konkreten politisch-operativen Lage sind diese ‚IM’/‚GMS’ zu beauftragen und zu instruieren zur Erarbeitung und sofortigen Informierung über
- alle Pläne, Absichten und Aktivitäten der genannten Kräfte, vor allem hinsichtlich der Organisierung und Durchführung von provokatorisch-demonstrativen Handlungen,
- vorhandene und sich herausbildende Gefahrenmomente sowie begünstigende Bedingungen und Umstände,
- die weitere Entwicklung der Reaktion sowie der politisch-moralischen Haltung der Bevölkerung.
Ausschöpfung aller individuellen Möglichkeiten der ‚IM’/‚GMS’ hinsichtlich der Beruhigung und Stabilisierung der Lage in ihrem Umfeld bzw. Einflußbereich.
4. Unter dem Gesichtspunkt der Verschärfung der Lageentwicklung sind die bereits angewiesenen Maßnahmen zur Einschätzung und Neubewertung von OV, OPK und operativen Ausgangsmaterialien unverzüglich weiterzuführen. Es kommt darauf an, alle Personen herauszuarbeiten, von denen aufgrund der vorliegenden Hinweise und Erkenntnisse in Verbindung mit der möglichen Lageentwicklung antisozialistische und andere feindlich-negative Handlungen und Aktivitäten zu erwarten sind bzw. nicht auszuschließen sind.
Es sind geeignete Maßnahmen festzulegen, um erforderlichenfalls kurzfristig die Zuführung bzw. Festnahme solcher Personen zu realisieren.
Unter Zugrundelegung von Ergebnissen der Klärung der Frage ‚Wer ist Wer’? ist der Einsatz der IM und GMS zielgerichtet auf solche Personenkategorien auszurichten, die aufgrund bereits gezeigter Verhaltensweisen (Antragsteller auf ständige Ausreise, beabsichtigtes ungesetzliches Verlassen der DDR, Sympathisanten von oppositionellen Sammlungsbewegungen wie z.B. ‚Neues Forum’ usw.), schwankender Haltungen und Einstellungen usw., von Organisatoren und Inspiratoren antisozialistischer Handlungen zur Erreichung ihrer Ziele mißbraucht werden können bzw. eine potentielle Reserve für diese Kräfte darstellen.
5. Die Leiter der zuständigen operativen Diensteinheiten haben mit den Leitern anderer staatlicher und wirtschaftsleitender Organe, Betriebe, Kombinate und Einrichtungen unverzüglich die direkten Verbindungen herzustellen bzw. zu festigen. [ ... ]
6. Durch die zuständigen Diensteinheiten ist die politisch-operative Abwehreinheit in den bewaffneten Organen sowie in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse zielgerichtet zu verstärken.
Die politisch-operativen Maßnahmen haben sich darauf zu konzentrieren, alle die Kampf- und Einsatzbereitschaft beeinträchtigenden bzw. zu untergrabenden Erscheinungen rechtzeitig zu erkennen und im engen Zusammenwirken mit den Kommandeuren unverzüglich zu beseitigen bzw. entsprechende Kräfte rechtzeitig vorher herauszulösen.
7. Durch den Einsatz aller geeigneten Mittel sind jegliche Terror- und Gewalthandlungen, insbesondere gegen Mitglieder der SED und andere progressiv auftretende Bürger sowie gegen Angehörige der Schutz- und Sicherheitsorgane einschließlich deren Objekte und Einrichtungen, konsequent zu verhindern.
Alle Möglichkeiten des Inbesitzbringens von Waffen und Munition sind auszuschließen, dazu sind alle Waffenlager und Waffenkammern der Schutz- und Sicherheitsorgane, der gesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen sowie die im Privatbesitz befindlichen Waffen verstärkt zu kontrollieren und zu sichern. Bei Erfordernis sind in Privatbesitz befindliche Waffen zeitweilig einzuziehen und zentral sicher zu verwahren.
8. Alle von in der DDR ständig akkreditierten Korrespondenten bzw. Journalisten ausgehenden subversiven und anderen feindlich-negativen öffentlichkeitswirksame provokatorische demonstrative Handlungen, Zusammenrottungen, Demonstrationen usw. sowie auf polizeiliche und andere Maßnahmen der Schutz- und Sicherheitsorgane beziehen, sind konsequent zu verhindern.
Journalisten und Korrespondenten, die in polizeilichen Handlungsräumen wirksam zu werden versuchen, sind mit dem Hinweis, daß derartige Aktivitäten und Handlungen nicht gestattet sind, energisch aufzufordern, diese umgehend zu verlassen.
9. Über politisch-operativ zu beachtende Handlungen, Vorkommnisse und Erscheinungen im Zusammenhang mit Versuchen zur Störung der staatlichen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zum Verhalten feindlicher Kräfte sind unverzüglich Meldungen an den ZOS im MfS zu geben.
Es ist eine ständige aktuelle und objektive Einschätzung der Reaktion der Bevölkerung zu gewährleisten und darüber laufend an die ZAIG zu berichten.
Die 1. Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen der SED sind ständig aktuell und objektiv über die Entwicklung der politisch-operativen Lage, einschließlich der Reaktion der Bevölkerung zu informieren.
Besonders bedeutsame Handlungen, Vorkommnisse und Erscheinungen sind mir bzw. meinem zuständigen Stellvertreter sofort zu melden.
gez.: Leiter der Bezirksverwaltung
L a n g e
Generalmajor”
Anmerkung
Die im Original (Schreiben von Lange) vorhandenen Orthografie- und Grammatikfehler sind vom Verfasser der Dokumentation korrigiert worden.
Freies Wort vom 04.10.1989 zur Tagung des Kreisausschusses der Nationalen Front am 28.09.1989
29.09.1989, Freitag
Aus DDR-Kirchenkreisen wird bekannt, dass elf Teilnehmer der Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche zu Haftstrafen bis zu sechs Monaten verurteilt worden sind. Mehr als 20 Bürger haben Geldstrafen bis 5.000 Mark erhalten.
Der Minister für Staatssicherheit und das Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates, Armeegeneral Erich Mielke, erklärt das Neue Forum als staatsfeindlich.
Der DDR-Außenminister Oskar Fischer erklärt in New York vor der UNO-Vollversammlung, dass derjenige Konflikte provoziere, der sich „eine sogenannte Obhutspflicht“ anmaße, der gefährde sogar den Frieden.
30. September 1989
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und Kanzleramtsminister Rudolf Seiters erklären vom Balkon der Prager Botschaft unter frenetischem Jubel, dass die DDR-Flüchtlinge die Ausreise erhalten. Etwa 6.000 Flüchtlinge dürfen aus Prag und Warschau in Sonderzügen der Deutschen Reichsbahn nicht auf direktem Weg in die Bundesrepublik ausreisen, sondern über DDR-Gebiet. Dort werden ihnen die Personaldokumente abgenommen. Die Ausreise geschieht zwar mit dem Einverständnis der DDR, sie betrachtet aber die Aktion als Abschiebung. Die SED-Agitatoren behaupten, die Flüchtlinge haben „ihre Heimat verraten, und man sollte ihnen keine Träne nachweinen“. Das Außenministerium der DDR bezichtigt die Bundesrepublik Deutschland, sich in die inneren Angelegenheiten der DDR einzumischen. Das sei eine „völkerrechtswidrige Anmaßung“. Damit gibt sich das SED-Regime international der Lächerlichkeit preis.
Herbst 1989
Im Bereich des heutigen Freistaats Thüringen sind 80.000 sowjetische Soldaten, Zivilangestellte und Familienangehörige stationiert. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl als Aufmarsch- und Kampfgebiet für einen Krieg zwischen NATO und Warschauer Pakt vorgesehen.
Auch wenn es offensichtlich ist, dass die DDR vor ihrem Zusammenbruch steht, ergehen sich die Kommunisten in der alt gewohnten Selbsttäuschung und lassen ihren gigantischen Propagandaapparat rotieren. In den Medien zieht man positive Bilanzen im Stile einer arroganten Diktatur.
Das Geleitwort
Oktober 1989
November 1989
Dezember 1989
Januar 1990
Februar 1990
März - Oktober 1990
Auszüge aus dem Manuskript von Hans-Jürgen SalierEigentlich nicht erwähnenswert ...