Mönchlein
„Mönchlein, Mönchlein,
du gehst einen schweren Gang.“
Zur Vorgeschichte
Der Augustinermönch Dr. Martin Luther hatte am 31. Oktober 1517 seine 95 Streitsätze oder „Thesen“ an die Eingangstür der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen (einige Geschichtswissenschaftler stellt den unmittelbaren Vorgang des Anschlagens der Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg in Frage). Das war eine ungeheure revolutionäre Tat, die die Welt gar nicht fassen konnte. Ein Mönch hatte es gewagt, der alten, großmächtigen Kirche den Kampf anzusagen. Der deutsche Kaiser Karl V. ließ Luther nach Worms laden, wo er sich auf dem Reichstag 1521 verantworten sollte. Hören wir nun Ludwig Nonne:
Die Freunde Luthers rieten ihm ab, nach Worms zu gehen, selbst der Kurfürst war besorgt, aber Luther schrieb an Spalatin, seinen Freund, den Hofprediger des Kurfürsten: „Wenn ich zum Gehen zu schwach bin, so werde ich mich dahin fahren lassen, denn ich zweifle nicht, dass ich von Gott selbst nach Worms berufen werde, wenn mich der Kaiser dahin beruft. Wollen sie die Sache mit Gewalt behandeln, so muss sie Gott befohlen haben. Will mich der nicht erhalten, so ist's um eine kleine Sache, meinen Kopf zu tun.“ Mit einem Geleitsbrief des Kaisers, begleitet von einem kaiserlichen Herold und seinen Freunden Justus Jonas, Hieronymus Schurf und Nicolaus von Amsdorf, und seinem Bruder Jakob Luther reist er am 4. April 1521 mitten durch tausend um ihn weinende Menschen von Wittenberg ab. Die ganze Volksmenge begleitet ihn weit vor die Tore hinaus und schlägt ihm die Kreuze nach, wie wenn er zum Tode gehe. Alle Orte, durch die er zieht, empfangen ihn mit Jauchzen und bangem Staunen. Er nähert sich dem Rheine, dem Schauplatz der geistlichen Macht: an den Toren der Städte sind die Bannbullen gegen ihn angeheftet. „Herr Doktor, wollt Ihr weiter ziehen?“ fragt der kaiserliche Herold. „Ja, in Gottes Namen!“ Man erblickt die Türme von Worms. Spalatin schickt einen Boten entgegen, rät zur Umkehr. „Und wenn sie“, spricht Luther, „ein Feuer machten, das zwischen Wittenberg und Worms bis zum Himmel reichte, so will ich doch im Namen des Herrn erscheinen, weil ich gefordert werde, Christum zu bekennen, und will den auch walten lassen.“ Er hat das Tor erreicht; noch hier bitten ihn seine Freunde, umzukehren. „Und wenn so viele Teufel in Worms wären als Ziegel auf den Dächern, so will ich hinein“, ruft er aus, „ist schon Hus zu Asche verbrannt, so ist doch die Wahrheit nicht mit verbrannt.“ Auf einem offenen Wägelein, in schlechtem Mönchskleid, voran der kaiserliche Herold, um den Wagen viel freundliche, edle Ritter, zieht er am 16. April 1521 in Worms ein. Die Dächer sind abgedeckt, alles will den tapferen Mönch von Wittenberg sehen. Unter Gesprächen alter und neuer Freunde, unter Gebet und in der Stille der Nacht noch unter Gesang zu seiner Laute bereitete er sich zum schweren Tage. Der Reichsmarschall Ulrich von Pappenheim forderte ihn am folgenden Morgen, dem 17. April 1521, im Namen des Kaisers vor die Reichsversammlung. Nachmittags 4 Uhr wird er durch Gärten und Häuser, um dem Gedränge des Volks zu entgehen, zur Türe des Versammlungssaals geführt. Da steht im Vorsaal ein in Schlachten ergrauter, ehrwürdiger Feldherr, Georg von Frundsberg; der klopft ihm freundlich auf die Achsel und spricht: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst jetzt einen schweren Gang, dergleichen ich auch in der allerernstesten Schlachtordnung nicht gegangen bin; bist du auf rechter Meinung und deiner Sache gewiss, so fahre nur in Gottes Namen fort und sei getrost, Gott wird dich nicht verlassen.“ Auch der Landgraf Philipp von Hessen, damals noch Anhänger des Papstes, gab ihm die Rechte und sagte: „Habet Ihr Recht, Herr Doktor, so helfe Euch Gott!“ Und Gott half. In dem Saal saß in allem Glanze weltlicher Pracht der römische Kaiser Karl V., sein Bruder der König Ferdinand, sechs Kurfürsten, vierundzwanzig Herzöge, acht Markgrafen, dreißig Bischöfe und Prälaten, fünf königliche und viel andere Abgesandte, Fürsten, Grafen und Herrn. Vor die tritt Luther mit der Bibel. Ein Kanzler legt ihm seine Schriften vor und fragt, ob er diese Bücher als die seinigen anerkenne und ob er sie widerrufen wolle. Die erste Frage bejaht er nach näherer Ansicht; zur rechten Antwort auf die zweite erbittet er sich einen Tag Bedenkzeit. „Fürchte dich nicht vor denen, welche nur den Leib und nicht die Seele mögen töten!“ ruft ihm eine Stimme beim Weggehen zu. Er prüfte noch einmal gewissenhaft. Am folgenden Tage sagte er zuerst in einer deutschen, dann lateinischen Rede, er teile seine Schriften in drei Teile. Die Bücher, in denen er von der Religion geredet habe, könne er nicht widerrufen. Auch müsse es bei dem sein Bewenden haben, was er gegen die falsche Lehre der römischen Kirche gesagt habe. Habe er in der dritten Art Streitschriften manche einzelne Menschen hart angegriffen, so sei er das seiner Verteidigung schuldig gewesen. Es sei denn, dass er mit Beweisen der Heiligen Schrift oder mit klaren Gründen der Vernunft überwunden und überweisen werde, so könne und wolle er nicht widerrufen, weil es weder sicher noch geraten sei, etwas wider das Gewissen zu tun. Da ihm der kurtrierische Kanzler etwas heftig in die Rede fiel und meinte, es solle hier nicht disputiert werden, sondern man verlange eine runde und einfältige Antwort, da antwortete Luther ruhig und fest: „Nun, so will ich eine Antwort geben, die weder Hörner noch Zähne haben soll: Dem Papst und den Konzilien glaube ich nicht; überführt bin ich nicht; widerrufen kann ich nicht. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen.“ Das Große in dem Betragen Luthers erregte bei allen Anwesenden, selbst bei seinen Gegnern, Bewunderung, aber vor allem war sein fürstlicher Herr, Friedrich der Weise, stolz darauf, sich eines solchen Mannes und einer solchen Sache angenommen zu haben, und es wurde sein Entschluss fester, beide in Zukunft noch kräftiger zu unterstützen. Selbst der Kaiser bekannte: „Der Mönch redet unerschrocken und mit getrostem Mut.“ Die welschen Prälaten dringen auf Luthers Verderben, die deutschen erwirken vom Kaiser noch drei Tage Bedenkzeit, vielleicht, dass Luther durch gütliches Zureden noch zu einer milderen Erklärung gestimmt werden möge. Er beharrt aber auf seiner gegebenen Erklärung: „Ist meine Sache nicht aus Gott, so wird sie in zwei oder drei Jahren untergehen; ist sie aber aus Gott, so werdet ihr sie nicht dämpfen.“ So reiste er am 26. April wieder ab, unter kaiserlichem Geleit. Die Römer hatten den Kaiser bereden wollen, einem Ketzer brauche man nicht Wort zu halten, er aber antwortete kaiserlich: „Was man zusagt, das muss man halten; wenn auch alle Welt lügt, so muss es doch ein Kaiser nicht.“
Nach: Ernst Kaiser: Zwei berühmte Männer unserer Heimat. Ein Lebensbild von Joseph Meyer und Ludwig Nonne. –Für Schule und Haus erzählt.
In: Heimatkundliche Lesebogen. (Die Heimatkundlichen Lesebogen werden auf Initiative von Schuldirektor a. D. Otto Schön mit Genehmigung der Sowjetischen Militäradministration in Thüringen (SMATh) ab Februar/März 1946 herausgegeben.)
Zum Werk
Anlässlich der dreitägigen Feierlichkeiten zum 300-jährigen Reformationsjubiläum im Jahr 1817 gibt Dr. Carl Ludwig Nonne das „Reformationsbüchlein“ heraus, das in den folgenden 100 Jahren in dreizehn Auflagen erscheint. Hierbei handelt es sich um ein Lehrbuch für den Religionsunterricht an den Schulen.